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Sind große Hänger: Orang-Utans
© Illustration: Andree Volkmann

Berliner Schnauzen (51): Der Orang-Utan

Im Januar wurde sie geboren und von ihrer Mutter nicht angenommen - das Orang-Utan-Mädchen Rieke. Ein letzter Besuch vor ihrer Abreise nach England

Jetzt ist sie weg – und wir sind wieder allein, allein. Um mal einen Hit der Fantastischen Vier zu zitieren. Das kleine Orang-Utan-Mädchen Rieke hat Berlin verlassen, weil es von seiner Mutter zurückgewiesen wurde. Der Liebling der Zoobesucher ist seit zwei Wochen im britischen Affenpark „Monkey World“, wo Rieke hoffentlich zu einer feschen Dame mit schickem braunroten Fell heranwachsen wird.

Wie konnte es zu diesem Drama kommen? André Schüle ist Tierarzt im Zoo, verantwortlich für die Primaten. Am 12. Januar erhielt er um sieben Uhr morgens einen Anruf des Tierpflegers, der aus dem Affenhaus ein kräftiges Geschrei gehört hatte. Als er nachsah, fand er ein kreischendes Bündel Orang-Utan: die kleine Rieke, vermutlich zwischen 3 und 5 Uhr morgens geboren. Ihre Mutter Dschasinga, zwölf Jahre alt, saß mit dem Rest der vierköpfigen Affengruppe im angrenzenden Gehege, tat so, als ginge sie das Neugeborene nichts an.

Es ist ihr erstes Kind, Dschasinga fremdelte, ließ es schutzlos zurück. „In der freien Wildbahn wäre das ein Todesurteil“, sagt André Schüle. Die Menschenaffen leben in den Urwäldern Sumatras und Borneos. Nebelparder und Tiger gehören zu den natürlichen Feinden, die Raubkatzen wären sicherlich auf das Waisenkind aufmerksam geworden.

Im Zoo versuchten die Pfleger auf Anraten des Tierarztes eine Familienzusammenführung. Zuerst wurde die Gruppe durch einen Schieber vom Baby getrennt, die Pfleger packten das kleine Äffchen in weiche Holzwolle, verstreuten Futter drum herum und lockten die junge Mutter an. Dschasinga nahm zwar das Obst, vom schreienden Knäuel wollte sie jedoch nichts wissen. Schüle blieb hartnäckig. Der Tierarzt narkotisierte die Mutter, setzte ihr Rieke an die Brust. Gierig saugte das hungrige Baby die Milch auf, klammerte sich fest an das Fell der Mutter.

Im Urwald ist der Klammerreflex überlebenswichtig. Orang-Utans tragen bis zu vier Jahren ihre Sprösslinge mit sich herum, sie klettern mit ihnen in den Baumkronen, während die Babys im Fell hängen. Ihre Vordergliedmaßen sind kräftig ausgebildet. Sie können als ausgewachsene Tiere 45 Minuten an zwei Armen hängen – und dabei entspannen.

Als Dschasinga erwachte, sah sie das Wesen an ihrer Brust. Doch der Mutterinstinkt war nicht geweckt. Sie strich das Jungtier ab, „ein kraftvoller Akt“, sagt der Tierarzt, denn einfach lässt sich ein Baby nicht abschütteln. Er muss es wissen, er hat in den vergangenen Wochen ein paarmal Rieke betreut, sie an seinem Körper getragen. Nie lockerte sich ihr Griff.

Um 17 Uhr des 12. Januar fassten Tierpfleger und Kuratoren den Beschluss: Die Sicherheit des kleinen Affen geht vor, er muss mit der Flasche aufgezogen werden. Seit jenem Tag suchte der Zoo nach einer Lösung, die für den Orang-Utan besser war als eine Handaufzucht.

Nun ist Rieke in England angekommen. Ein erfahrenes Orang-Utan-Weibchen zieht sie auf. Wenn sie sieben wird, erreicht sie die Geschlechtsreife, lernt vielleicht eines dieser zweimal so großen Männchen mit langen Zottelhaaren und dicken Backenwülsten kennen, beides Zeichen unwiderstehlicher Anziehung unter Orangs. Eine schöne Hoffnung: Rieke lebt in Monkey World – und ist nicht mehr allein, allein.

ORANG-UTAN IM ZOO

Lebenserwartung:  50 Jahre

Fütterungszeiten:  tägl. 13.30 Uhr

Interessanter Nachbar: Bonobo, Faultier

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