Prozess in den USA: Tierisch menschlich - sind Schimpansen Objekt oder Person?
Aktivisten streiten in den USA dafür, dass Schimpansen zumindest teilweise den Menschen gleichgestellt werden. Ein Gericht hat anders entschieden. Worum ging es den Klägern?
Tommy hat verloren, mal wieder. Die Karriere des etwa 20-Jährigen begann als Zirkusschimpanse, gemeinsam mit seinem Besitzer David Sabo und seiner Truppe tingelte er durch die USA. Sabo ist längst tot. Tommy lebt seitdem in einem kleinen Käfig in einer fensterlosen Scheune in Gloversville, New York. Er gehört nun „Santa's Hitching Post“, einer Firma, die Rentiere für Weihnachtswerbung und -shows verleiht. Steven Wise, der Präsident des „Nonhuman Rights Projects“, hat ihn dort besucht. Tommy sollte als Person anerkannt werden, meint der Jurist. Er sei kein Gegenstand, sondern habe das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit. Das will er für Tommy und andere Schimpansen vor Gericht erstreiten. Bisher lehnten alle Richter dieses Ansinnen ab. Auch Tommys Vertreter scheiterten am Donnerstag im Berufungsverfahren.
Wie begründet das Gericht in Albany seine Entscheidung?
Verhandelt wurden nicht die Haltungsbedingungen und ob sie dem Tierschutz genügen, betonten die Richter. Wie der Käfig in Gloversville aussieht, ist daher für den Fall unerheblich. Vielmehr ging es um die grundsätzliche Frage, ob Schimpansen zumindest teilweise dem Menschen gleichgestellt werden. Die Tierrechtler hätten nicht behauptet, dass geltende Gesetze zur Haltung wilder Tiere verletzt wurden. Vielmehr seien die Tierschutzrichtlinien selbst unzureichend.
In ihrer Klage beziehen sich die Tierrechtler auf das englische Gewohnheitsrecht, insbesondere auf die „Habeas Corpus“-Akte aus dem Jahr 1679. Darin ist das Recht jedes Gefangenen festgeschrieben, dass seine Verhaftung vor einem Gericht geprüft werden sollte. Auf dieser Grundlage wurde 1772 der schwarze Sklave James Somerset befreit. Ein Gericht gestand ihm zu, dass er kein Eigentum ist. Die Tierrechtler wollen nun einen ähnlichen Präzedenzfall für besonders intelligente Tierarten schaffen, die Definition der „Person“ soll ihrer Ansicht nach erweitert werden. Die Richter in Albany lehnten das abermals ab. Tiere gelten nach US-Recht weiterhin als Objekte.
Zwar hätten die Kläger zahlreiche Belege dafür vorgelegt, dass Schimpansen zu komplexen kognitiven Leistungen fähig sind. Historisch sei die Zuschreibung von Rechten aber eng mit Pflichten verknüpft. Die Gegenseitigkeit sei ein Prinzip des Gesellschaftsvertrages. „Es versteht sich von selbst, dass Schimpansen keine rechtlichen Verpflichtungen eingehen, sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen oder für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden können“, schreiben die Richter im Urteil. Deshalb könnten ihnen auch keine Rechte zugestanden werden, die für Menschen gelten. Die Tiere seien dennoch nicht schutzlos. Im Gegenteil, Schimpansen würden streng geschützt. Im Bundesstaat New York sei es zum Beispiel nicht gestattet, Schimpansen als Haustiere zu halten.
Unterstützen Wissenschaftler das „Nonhuman Rights Project“?
Ja, die berühmte Primatologin Jane Godall ist sogar im Beirat. Das Projekt stützt seine Argumentation auf neue Studien, die die kognitiven Leistungen von Schimpansen beweisen. Für Tommy haben die Aktivisten unter anderem eidesstattliche Erklärungen von bekannten Forschern wie Christophe Boesch vom Max- Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, Tetsuro Matsuzawa von der Universität Kyoto und Mathias Osvath von der Universität Lund eingeholt. Sie bezeugen, wie ähnlich unsere nächsten Verwandten dem Menschen sind. „Die Liste dessen, was für den Menschen einzigartig ist, wird jedes Jahr kürzer“, schreibt Osvath. „Die Fähigkeiten der Schimpansen haben uns in den letzten 20 Jahren immer wieder überrascht“, sagt Boesch. „Allmählich müssen wir uns fragen: Was folgt daraus?“ Seiner Ansicht nach leben zu viele Schimpansen unter Bedingungen, die nicht ihren Fähigkeiten entsprechen.
Was macht Schimpansen aus Sicht der Forscher so „tierisch menschlich“?
Schimpansen haben sogar ein Arbeitsgedächtnis, das dem menschlichen klar überlegen ist, sagt Tetsuro Matsuzawa. Er erforscht seit Jahrzehnten die Schimpansin Ai und ihre Familie. Die Videos, die er auf Konferenzen vorführt, sorgen jedes Mal für Erstaunen. Jedem Zuschauer ist klar: Wenn ich mir diese Schriftzeichen und Zahlenfolgen merken sollte, würde ich versagen.
In seiner eidesstattlichen Erklärung schreibt Boesch Schimpansen nicht nur die Fähigkeit zur Empathie, ein Verständnis von Tod und die Weitergabe kultureller Errungenschaften zu. Sie seien auch „Lebewesen in der Zeit“, jeweils mit eigener Autobiografie. Osvath ist aufgrund minutiös protokollierter Beobachtungen davon überzeugt, dass Schimpansen – anders als Kleinkinder – in Gedanken auf Zeitreise gehen. Sie seien autonome Wesen, die bewusst planen können. Die Erinnerung von Schimpansen und Orang Utans reiche mindestens drei Jahre zurück, schreiben außerdem Josep Call vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie und seine Kollegen im Fachblatt „Current Biology“.
Nicht jeden Forscher überzeugen diese Studien. „Ich schließe nicht aus, dass manche Tiere in Gedanken Zeitreisen unternehmen. Wir müssen aber damit rechnen, dass sie sich grundlegend und nicht nur graduell von unseren unterscheiden“, sagt Thomas Suddendorf von der Universität von Queensland in Australien. „Das muss man systematischer und ohne fertige Meinung untersuchen. Im Moment teilt sich das Feld in Romantiker und Spielverderber.“ Die einen tendierten dazu, ihre Ergebnisse zu weitgehend zu interpretieren. Die anderen versuchen, alles als assoziatives Lernen (wie bei Pawlows Hunden) und reines Faktenwissen abzustempeln. „Wir haben die Fähigkeit, verschachtelte Szenarien zu entwerfen und einen Drang, uns auszutauschen. Das ermöglicht Lernen über Generationen hinweg“, sagt Suddendorf. Seiner Meinung nach können das nur Menschen.
Welche Strategie verfolgen die Kläger?
Es geht nicht nur um Tommy und sein Wohlergehen. Das „Nonhuman Rights Project“ will einen Präzedenzfall schaffen, auf den es sich bei Folgeklagen immer wieder beziehen kann. Hat ein Gericht die Argumentation für einen Schimpansen akzeptiert, haben Richter später große Schwierigkeiten, ähnliche Klagen im Namen intelligenter Tierarten wie Elefanten, Delfine oder Graupapageien abzulehnen, hoffen die Tierrechtler.
Gibt es solche Initiativen nur in den USA? Oder auch in Deutschland?
In Deutschland fordert das „Great Ape Project“ Grundrechte für Menschenaffen. In einer Streitschrift, die im Mai 2014 erschienen ist, prangern die Aktivisten um Colin Goldner die Haltungsbedingungen in deutschen Zoos an und provozierten damit viel Widerspruch. Goldner hatte die Zoos besucht, aber weder hinter die Kulissen geschaut noch mit den Verantwortlichen gesprochen. Selbst Leipzig, mit der weltweit größten Menschenaffenanlage als Leuchtturm unter den Zoos gefeiert, findet er nur „akzeptabel“.
Zwar gebe es kein Zoo zu, doch Psychopharmaka gehörten in den Tiergärten zum Alltag, behauptet Goldner. „Man kann an den Augen der Affen erkennen, auf welchem Trip sie sind“, sagt er. Die Pupille und der Blick verrate es jedem, der genau genug beobachtet. Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité, hält das für „Unsinn“. Bestenfalls könne man vermuten, ob ein Mensch, geschweige denn ein Menschenaffe irgendein aufputschendes oder beruhigendes Medikament bekommen hat.
Auch Martin Brüne von der Ruhr-Universität Bochum, der psychopathologische Phänomene bei Menschenaffen erforscht, ist skeptisch, ob man bei einem Zoobesuch „im Vorbeigehen“ erkennen kann, dass ein Tier Psychopharmaka geschluckt hat. Am ehesten sei das möglich, wenn man das Tier über einen längeren Zeitraum beobachtet und sein normales Verhalten kennt. Wissenschaftlich haltbar sei eine „prima vista“-Diagnose durch die Gitterstäbe nur dann, wenn eine massive Sedierung vorliegt und andere Erklärungen für Verhaltensauffälligkeiten ausgeschlossen werden können.
Im Gegensatz zum „Nonhuman Rights Project“ setzt das „Great Ape Project“ auf eine emotionale Kampagne statt auf naturwissenschaftliche Argumente.
Angenommen die Tierrechtler wären erfolgreich. Was hätte das für Folgen?
Es geht – wie das New Yorker Gericht betont – bei den Klagen nicht um den Tierschutz. In den USA gibt es nur noch in Ausnahmefällen Tierversuche mit Menschenaffen, in Europa sind sie seit Jahren verboten. Es werden höchstens Verhaltenstests durchgeführt, an denen die Tiere freiwillig teilnehmen können.
Die Tierrechtler gehen einen Schritt weiter. Sie akzeptieren nicht, dass die Tiere in Gefangenschaft leben, etwa in Zoos, wo sie Menschen unterhalten. Da sie die Schimpansen nicht einfach freilassen können, schlagen sie umzäunte Schutzgebiete vor, in denen die Tiere in den Ruhestand gehen können. Dort hätten die Schimpansen mehr Platz und seien zumindest vor neugierigen Blicken abgeschirmt.
„Ein Zoo bleibt ein Zoo“, sagt auch Boesch, der Schimpansen im Tai-Forest in Westafrika erforscht. Selbst wenn die Haltungsbedingungen vorbildlich sind. „Wir sollten vor allem ihre natürlichen Lebensräume schützen. Dort, wo es noch wild lebende Menschenaffen gibt.“
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