Streit ums Promotionsrecht für Fachhochschulen: „Unsere Forschungsstärke ist vielfach bewiesen“
50 Jahre nach der Gründung der Fachhochschulen sei höchste Zeit für ein "adäquates Promotionsrecht", sagt Martin Sternberg, Leiter des Graduierteninstituts NRW.
Herr Sternberg, vor 50 Jahren entstanden in Deutschland die ersten Fachhochschulen. Was wünschen sich die Hochschulen für angewandte Wissenschaft (HAW), wie sie sich inzwischen lieber nennen, zum runden Geburtstag?
Die HAW haben sich in den letzten 50 Jahren zu einer eigenen Hochschulform entwickelt, die bei Studierenden und Arbeitgebern große Anerkennung findet. Wir wünschen uns auch von der politischen Seite eine entsprechende Anerkennung, die sich in einer vernünftigen Ausstattung, genug Personal und einem adäquaten Promotionsrecht äußern muss.
Das derzeit umstrittenste Thema ist das Promotionsrecht für die Fachhochschulen. Das von Ihnen geleitete Graduierteninstitut der Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen wird jetzt zum Promotionskolleg. Dort können die Hochschulen ohne Mitwirkung der Unis ihre Absolventen zum Doktortitel führen. Unipräsidenten warnen vor der „Low Quality Promotion“, weil die Dissertationen am Kolleg „in einem Kontext der Lehre stehen“ sollen. Was halten Sie dem entgegen?
Der „Kontext der Lehre“ bezieht sich in der Gesetzesbegründung darauf, dass Promotionen in enger Verbindung mit Hochschulen erfolgen sollen, was auch die Parlamentarier bestätigt haben. Das trifft für Universitäten genauso zu. Die Formulierung dient der Abgrenzung zu den außeruniversitären Forschungsinstituten, die ebenfalls ein Promotionsrecht anstreben könnten, denen aber die Lehre fehlt. Aus dem Lehrkontext für die HAW-Promotion eine niedrige Qualität abzuleiten, ist schlicht Unsinn. Die Befürchtungen in den eigenen Reihen der HAW gehen eher dahin, dass das Promotionskolleg NRW als „Newcomer“ zu hohe Qualitätsanforderungen stellen könnte. Wenn die Universitäten sich um die Qualität der Promotion sorgen, finden sie bei sich selber ein reiches Betätigungsfeld.
Im 2016 gegründeten Graduierteninstitut haben Sie kooperative, also gemeinsame Promotionsverfahren mit den Unis vorangebracht. Warum jetzt die schnelle Weiterentwicklung zum Promotionskolleg?
Es hat sich deutlich gezeigt, dass kooperative Promotionen nicht ausreichen. Die Universitätskollegen und -kolleginnen fragen: Was bringt mir die Betreuung der kooperativen Promotion? Geld, Stellen, Ehre? Das passt nicht immer. Da bleiben viele hervorragende Promotionsprojekte auf der Strecke. Viele an der Uni sind auch schlicht ausgelastet und können nicht mehr Promovierende betreuen.
Dem Kolleg soll das Promotionsrecht erst nach erfolgreicher Begutachtung durch den Wissenschaftsrat verliehen werden. Wie soll das ablaufen?
Das steht noch nicht endgültig fest. Wir werden das Kolleg möglichst zum Beginn des kommenden Jahres gründen und zunächst mit den kooperativen Promotionen in Zusammenarbeit mit den Unis fortfahren, parallel aber die neuen Strukturen aufbauen. Zu den Evaluationskriterien könnte dann zählen, wie stark die Ausdifferenzierung innerhalb der Disziplinen ist, ob an den beteiligten Fachbereichen in Forschungsclustern zusammengearbeitet wird und wie strukturiert die Doktorandenausbildung bereits ist. Hinzukommen sollten eine qualitätsgesicherte Betreuung und Begutachtung, aber auch die Qualifizierung der HAW-Betreuenden sowie nationale und internationale Vernetzung.
Universitäten müssen sich einer solchen Qualitätsprüfung nicht unterziehen. Wäre das angesichts der Plagiatsskandale und Zweifeln am wissenschaftlichen Gehalt vieler juristischer und medizinischer Dissertationen aus Ihrer Sicht an der Zeit?
Der Wissenschaftsrat macht ja auch nichts anderes, als nationale und internationale Wissenschaftler*innen um Begutachtung zu bitten. Das können die Universitäten auch selbst. Sie sollten es allerdings auch tun.
Warum geht NRW nicht den Weg von Hessen, wo „forschungsstarke Fachrichtungen“ an einzelnen Fachhochschulen seit 2017 das eigenständige Promotionsrecht erhalten können? Ein Zugeständnis an die Kritiker?
Der Ansatz, Promotionen von HAW eines großen Bundeslandes in einem Promotionskolleg mit Fachbereichen zu bündeln, bietet ganz andere Möglichkeiten der Forschung, der Doktorandenausbildung und der Qualitätssicherung. Das kann ein großer wissenschaftspolitischer Wurf werden – mit Vorbildfunktion für ganz Deutschland.
In der Grundfinanzierung der FHs sind in der Regel kaum Mittel für Forschung vorgesehen, es fehlt Geld für teure Laborausstattung. Ist die „Forschungsstärke“ dieses Hochschultyps da nicht sehr relativ?
Die mir bekannten Berufungsvereinbarungen von Professor*innen an HAW beinhalten alle die Forschung als Dienstaufgabe. Tatsächlich aber bedarf es besonderer Anstrengungen, um die notwendige Forschungsinfrastruktur und das Personal aus Hochschulmitteln, vor allem aber aus Fördermitteln von öffentlichen und privaten Fördergebern zu beschaffen. Dies gelingt erstaunlich gut, wie die erheblich steigenden Drittmitteleinnahmen beweisen. Unter den durch die Lehrverpflichtung und die Finanzierung gegebenen Möglichkeiten wird aber nur ein Teil der HAW-Kolleg*innen Forschung auf einem solchen Niveau betreiben können, wie es für die Betreuung von Promovierenden notwendig ist. Nur solche Forschenden können Mitglied im Promotionskolleg NRW werden.
Mit dem Schwerpunkt auf der Lehre hängt auch das höhere Lehrdeputat von 18 Stunden zusammen, an der Uni sind es nur acht bis zehn Semesterwochenstunden. Und trotzdem soll es zu vergleichbaren Forschungsleistungen kommen?
… was in vielen Kooperationen bewiesen ist. Wir halten das hohe Lehrdeputat nicht mehr für angemessen, müssen aber damit umgehen. Die erfolgreich forschenden Kolleg*innen erhalten Lehrdeputatsermäßigungen, um Zeit für Forschung und die Betreuung von Doktorand*innen zu haben.
Von FH-Verbänden, Gewerkschaften und etwa den Grünen in NRW wird gefordert, das Lehrdeputat zu senken. Dann aber würde die FH ihren Vorteil in der Lehre einbüßen oder sehr viel höher Budgets brauchen, um mehr Professuren einzurichten. Ein Dilemma?
Ich denke, es ist Zeit für eine maßvolle Senkung des Lehrdeputats. Auch die Lehre an den HAW benötigt eine Forschungsbasierung, anders als vor 50 Jahren. Das sollte auch finanzierbar sein. Die Qualifizierungsanforderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen sind größer geworden.
Ein Argument für die FH-Promotion ist die Akademisierung von Gesundheitsberufen, die an Unis nicht vertreten sind. Wäre es bei solchen neuen Fachgebieten nicht besser, wenn immer eine Medizinprofessur oder eine Sozialwissenschaftlerin zur Qualitätskontrolle an den Verfahren beteiligt wäre?
Diese jungen Wissenschaftsbereiche müssen sich entwickeln und haben es oft besonders schwer, qualifizierte Professor*innen zu finden und zu halten. Eine Zusammenarbeit mit korrespondierenden universitären Fakultäten kann hilfreich sein, oft sind auch Hochschuleinrichtungen im Ausland schon weiter. Generell plädiere ich sehr für externe Elemente der Qualitätssicherung, nicht nur bei den Gesundheitsberufen. Übrigens gehe ich davon aus, dass auch mit einem promotionsberechtigten Promotionskolleg NRW weiterhin viele kooperative Promotionen „klassischer“ Machart erfolgen werden. Und das auch unter dem Dach des Promotionskollegs.
Vorbild für die Durchsetzung des Promotionsrechts sind für Sie die Technischen Hochschulen, die vor 120 in den Universitätsrang erhoben wurden. Inwiefern?
Am Ende des 19. Jahrhunderts haben die Universitäten sich erbittert gegen ein Promotionsrecht für die damaligen Technischen Hochschulen gewehrt. Sie wurden seinerzeit mit Forsthochschulen, medizinischen Hochschulen und so weiter zu den „Fachhochschulen“ gezählt. Am Ende hat die Entwicklung ihnen nicht geschadet und das Wissenschaftssystem und die Gesellschaft haben vom Promotionsrecht der THs profitiert. Das wiederholt sich jetzt mit den HAW.