Beim Infektionsschutz in der Schule geht's durcheinander: So (un)vorbereitet sind die Länder für den Schulbeginn
Maske auf oder nicht? Nicht nur in der Frage unterscheiden sich die Pläne der Länder für den Schulbetrieb erheblich. Ein Überblick, was Lehrende und Lernende erwartet.
Die ersten Schülerinnen und Schüler sind zurück: In Mecklenburg-Vorpommern ist der Unterricht in dieser Woche wieder losgegangen, in der kommenden startet unter anderem in Berlin wieder die Schule.
Nach dem Corona-Ausnahmezustand im vergangenen Halbjahr sollen alle Schülerinnen und Schüler wieder im Regelbetrieb lernen. „Schulschließungen werden nur die Ultima Ratio sein“, gab unlängst Sachsens Kultusminister Christian Piwarz für das neue Schuljahr aus.
Doch mit den steigenden Infektionszahlen steigt auch die Nervosität, wie gut die Schulen tatsächlich auf den Regelbetrieb vorbereitet sind. Die Länder wiederholen mantraartig ihre „strikten“ Hygienekonzepte, die den Unterricht jetzt erst möglich machen würden.
Der Mitte Juli vorgestellte Muster-Hygieneplan der Kultusminister war indes recht vage gehalten. Schließlich sollten die Länder flexibel auf unterschiedliche Infektionslagen reagieren können. Eine Abfrage des Tagesspiegels bei allen Ländern zeigt, dass sie nun sehr unterschiedliche Vorgaben machen - und von „strikt“ nicht immer die Rede sein kann
Welche Länder planen Maskenpflicht in der Schule?
Mund und Nase in der Schule bedecken – das Thema wird aktuell kontrovers diskutiert. Zuletzt forderte Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) alle Länder auf, eine Maskenpflicht in der Schule einzuführen. Von einer solchen Einheitlichkeit kann bislang keine Rede sein. Von streng bis lax variieren die Vorschriften erheblich.
NRW erließ am Montag die bislang strengste Maskenpflicht: Diese gilt im Gebäude und auf dem Hof – und ab Klasse Fünf sogar während des Unterrichts, was sonst bislang nirgendwo geplant ist. Allerdings ist die Regel nur bis zum 31. August befristet. Danach will NRW das Infektionsgeschehen „neu bewerten“.
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Ansonsten sieht nur Bayern für alle eine Maskenpflicht im Gebäude und auf dem Hof vor – die Mund-Nasen-Bedeckung dürfen Schülerinnen und Schüler dort erst abnehmen, „sobald diese ihren Sitzplatz im jeweiligen Unterrichtsraum erreicht haben“, heißt es im bayrischen Hygieneplan. Baden-Württemberg ist ähnlich strikt, allerdings wird eine Ausnahme für Grundschulen gemacht.
In Berlin sollen Mund und Nase bekanntlich im Schulgebäude, nicht aber auf dem Hof bedeckt sein. Und auch während des Unterrichts selbst müssen die Schülerinnen und Schüler keine Masken tragen. Für den Fall, dass die Infektionszahlen im neuen Schuljahr deutlich steigen sollten, schloss Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) das für die Zukunft aber nicht aus. Hier die Übersicht über die Vorgaben in allen Ländern:
Fünf Länder sehen keine Maskenpflicht vor. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) etwa hält eine landesweite Verpflichtung „in der derzeitigen Infektionslage nicht für verhältnismäßig“, auch wenn sie „dringend empfehle“ eine Maske zu tragen, insbesondere bis sich die Lage nach den Sommerferien etabliert hat.
Womöglich könnte sich in einigen dieser Länder auch noch etwas ändern. Sachsen-Anhalts Bildungsminister Marco Tullner (CDU) etwa hat eine Maskenpflicht noch nicht vorgesehen, will sich aber vor dem Schulbeginn Ende August mit dem Sozialministerium in der Frage erneut abstimmen: „Wir beobachten die Entwicklung und vor allem die Erfahrungen der Länder, die nun mit dem Schulbetrieb bereits beginnen“, sagt Tullner.
Und auch Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerin Bettina Martin (SPD) hat angekündigt, dem Kabinett eine Maskenpflicht „außerhalb der Klassenräume“ an weiterführenden Schulen vorzuschlagen. Es soll am Dienstag darüber entscheiden.
Die Abstandsregeln sind aufgehoben
Auch Britta Ernst (SPD), Bildungsministerin in Brandenburg, kündigte am Dienstagmorgen auf "Radio Eins" an, womöglich schon an diesem Dienstag doch über eine Maskenpflicht auf den Gängen zu entscheiden.
Klar ist aber auch: Im Unterricht wird – bis auf NRW - nirgendwo eine Maske vorgeschrieben, was nicht völlig konsequent ist. Zumal die gängigen Abstandsregeln ja ausgerechnet im Klassenraum aufgehoben sind. Anders wäre der Regelbetrieb nämlich nicht zu organisieren, weil bei verkleinerten Gruppen zusätzliche Lehrkräfte und Räume benötigt würden, die kein Land stellen kann.
Auf die feste Lerngruppe kommt es an
Mögliche Infektionen wollen die Länder durch das Bilden von festen Lerngruppen, so genannten Kohorten, eingrenzen. Diese Gruppen sollen sich möglichst auf dem Schulgelände nicht begegnen – oder eben durch Masken voreinander geschützt werden, sollten sie in gemeinschaftlich genutzten Sammelräumen wie Foyers oder Aufgängen aufeinandertreffen (so jedenfalls das Argument der Maskenplicht-Länder).
Kommt es zu Coronafällen, muss dann jeweils nur die feste Lerngruppe in Quarantäne und nicht gleich die ganze Schule, lautet die Überlegung hinter dem Kohortenprinzip.
So unterschiedlich groß sind die Kohorten in den Ländern
Doch auch bei der Frage, wie groß die festen Lerngruppen sein dürfen, liegen die Länder auseinander. Relativ streng wollen erneut Bayern und Baden-Württemberg vorgehen. „Wo immer möglich, sollte sich der Unterricht auf die reguläre Klasse oder die Lerngruppe beschränken“, heißt es aus Baden-Württemberg. Die Kurse der Oberstufe, wo Schülerinnen und Schüler sich oft in jedem Kurs neu mischen, sollen aber ermöglicht werden.
Auch in Bayern gilt eine Klasse immer noch als Kerngröße. Kommen in einer Lerngruppe Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Klassen einer Jahrgangsstufe zusammen, müssen Schulen auf eine „blockweise“ Sitzordnung der Teilgruppen im Klassenzimmer achten.
Werden doch jahrgangsübergreifende Gruppen gebildet, „greift wie bisher der Mindestabstand von 1,5 Metern“, heißt es im Hygieneplan.
Sachsen verzichtet ganz auf das Prinzip
Andere Länder sind deutlich großzügiger:
- Das gilt vor allem für Sachsen: Es verzichtet komplett aufs Kohortenprinzip. Die Unterrichtsplanung mit übergreifenden Kursen, Arbeitsgemeinschaften und Ganztagsbetreuung erleichtert das enorm. Bei Corona-Infektionen an einer Schule dürfte das aber auch bedeuten, dass potenziell sehr viel größere Gruppen in Quarantäne gehen müssen - und sich auch viel mehr anstecken könnten.
- Mecklenburg-Vorpommern fasst in der Grundschule die Klassen Eins bis Vier zu einer Kohorte zusammen, danach jeweils zwei Klassenstufen. An beruflichen Schulen sind dort Gruppen bis 400 Schülerinnen und Schüler möglich.
- In mehreren Ländern wie etwa im Saarland, in Bremen und in Niedersachsen gilt eine gesamte Klassenstufe als Kohorte.
- Schleswig-Holstein wiederum geht einen Mittelweg: Es fordert „möglichst kleine“ Kohorten, was aber zum Beispiel für die Ganztagsbetreuung durchbrochen werden kann, wo auch übergreifende Jahrgänge möglich sein sollen. Jede Ausnahme muss dokumentiert werden. Um die Kohorten voneinander fernzuhalten, sollen für sie Unterrichtsbeginn und Pausen möglichst entzerrt werden.
- Wie Berlin das Kohortenprinzip halten will, ist bisher nicht bekannt. An diesem Dienstag berät der Senat über das Hygienekonzept in den Schulen.
- Auch Sachsen-Anhalt erstellt aktuell noch seine Hygienepläne, Schulstart ist dort Ende August.
Beim Lüften sind sich alle einig
Lüften, lüften, lüften, um die gefürchteten Aerosole aus dem Klassenzimmer zu halten: Das ist ein Punkt, auf den sich alle Länder einigen und auf den den sie offenbar - ohne es so explizit auszusprechen - die größte Hoffnung beim Infektionsschutz setzen.
Die Kultusministerkonferenz hatte vorgegeben, mindestens alle 45 Minuten eine „Stoßlüftung bzw. Querlüftung durch vollständig geöffnete Fenster über mehrere Minuten vorzunehmen, wenn möglich auch öfter während des Unterrichts“. Das findet sich jetzt so auch in den Länderbestimmung wieder.
Es bleibt die Frage, inwieweit das realistisch ist – nicht zuletzt, wenn es im Winter wieder kälter wird. Lehrer- und Elternverbände haben bereits Bedenken angemeldet: Nicht in allen Räumen gebe es überhaupt Fenster, und in höheren Stockwerken dürften diese wegen Sichterheitsbedenken oft nur auf Kipp geöffnet werden.
Auf eine entsprechende Nachfrage, ob diese Kritik nachvollziehbar sei, gehen nur wenige Länder ein – und wenn, dann mit Unverständnis. „Von verbreiteten Lüftungsproblemen in Thüringen aufgrund nicht funktionierender Fenster ist dem Bildungsministerium nichts bekannt“, erklärt etwa das Ministerium in Erfurt. Zuständig für die Umsetzung der Hygienekonzepte sind aber in jedem Fall eh die Schulen.
Plan B mit Fernunterricht
Was passiert, wenn die zweite Welle mit Wucht kommt, es womöglich wieder zu landes- oder gar bundesweiten Corona-Einschränkungen kommt?
Alle Länder geben an, dass sie einen Plan B (und manche sogar Plan C und D) für diese Szenarien vorhalten wollen, Schulen dann also wieder ihre Maßnahmen verschärfen oder sogar in den Fernunterricht müssen.
Doch bisher sind die Pläne unterschiedlich konkret ausgestaltet. Bayern definiert als einziges Land feste Kennwerte, ab denen die jeweiligen Stufen gelten sollen:
- Stufe 1 betrifft einzelne Coronafälle innerhalb einer Klasse beziehungsweise Schule: Dann soll zeitlich befristet der Präsenzunterricht der betreffenden Klasse oder Schule eingestellt werden und diese in das Distanzlernen wechseln.
- Stufe 2 gilt ab 20 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in einer Woche in einem Landkreis beziehungsweise einer kreisfreien Stadt: Den Mundschutz müssen Schülerinnen und Schüler dann auch in der Klasse tragen, sie dürfen ihn nur beim Sprechen ablegen; alternativ muss der Mindestabstand von 1,5 Metern wieder eingeführt werden.
- Bei Stufe 3 (35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern und Landkreis) wird der Mindestabstand zwingend wieder eingeführt, Klassen geteilt und die Gruppen im Wechsel vor Ort und in der Ferne unterrichtet.
- Für Stufe 4 (50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern und Landkreis) wird der Präsenzunterricht im gesamten Landkreis eingestellt. Bayern behält sich auch vor, je nach Intensität des Infektionsgeschehens die jeweiligen Stufen landesweit inkraft zu setzen.
Anderswo ist nicht so detailliert vorgegeben, wann welche Stufe zu greifen hat – wohl auch, weil die Besiedlungsdichte selbst innerhalb eines Kreises sehr unterschiedlich sein kann und die Behörden sich Flexibilität bewahren wollen.
So bereitet Niedersachsen ein Szenario B („Schule im Wechselmodell“) und ein Szenario C („Quarantäne und Shutdown“) vor, auch Hessens Bildungsverwaltung sieht mehrere Szenarien vor. Thüringen hat ein Ampelsystem.
"Präsenzbetrieb hat Priorität"
Schleswig-Holstein definiert sehr genau, welche Gruppen bevorzugt Präsenzzeiten erhalten sollen, falls es zu Einschränkungen kommt: Etwa neue Jahrgänge an Schulen, Prüfungs- und Übergangsjahrgänge sowie Oberstüflerinnen und Oberstüfler. „Präsenzbetrieb hat für uns Priorität. Wenn das Pandemie-Geschehen Schulschließungen wieder notwendig machen sollte, dann regional und zeitlich begrenzt und nicht flächendeckend wie im vergangenen Schuljahr“, sagt Bildungsministerin Prien.
Andere Länder wie Sachsen-Anhalt teilen wiederum nur sehr allgemein mit, dass Schulen "gehalten" sind, sich auf unterschiedliche Szenarien vorzubereiten. Ob die Länder hier Vorgaben machen, bleibt unklar.
Und Berlin? Sollte in der Stadt das Infektionsgeschehen wieder „erheblich“ steigen, „ist eine Rückkehr zum Modell von Präsenzunterricht und schulisch angeleitetem Lernen zu Hause möglich“, erklärt ein Sprecher von Bildungssenatorin Sandra Scheeres. „Alle Schulen bereiten sich darauf konzeptionell vor.“
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Vieles hängt davon ab, was die Schulen im vergangenen Halbjahr gelernt haben
Lerngruppen in Klassenstärke seien dann zu halbieren, es bleibe das Ziel, „unter voller Ausschöpfung des einsetzbaren pädagogischen Personals mindestens die Wochenstundentafel der jeweiligen Jahrgangsstufe im Präsenzunterricht abzudecken“.
Im Fall des Falles wird viel davon abhängen, ob Schulen von dem Ausnahmezustand des Frühjahrs gelernt haben, Pläne für das Distanzlernen inzwischen systematisiert wurden, Lehrkräfte alle ihre Schülerinnen und Schüler besser erreichen.
Unter anderem Baden-Württemberg hat daher Qualitätskriterien für den Fernunterricht festgelegt – Lehrkräfte sollen zum Beispiel dokumentieren, dass sie ihren Schülerinnen und Schülern regelmäßig auch Rückmeldungen auf ihre Aufgaben geben. Und Bremen gibt allen Beteiligten mit auf den Weg, sich um ein „soziales Miteinander“ in der Distanzbeschulung zu kümmern – etwa durch wertschätzende Sätze in der Kommunikation.
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