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Eine Impfspritze wird aufgezogen.
© Daniel Karmann/dpa

Sechs Forderungen vor dem Corona-Impfgipfel: So soll Tempo in die Immunisierungs-Kampagne kommen

Bund und Länder beraten heute, wie mehr Menschen schneller geimpft werden können. Experten haben im Vorfeld Ideen präsentiert. Ein Überblick.

Die Infektionszahlen steigen sprunghaft. Am Freitagmorgen meldete das Robert Koch-Institut (RKI) eine Sieben-Tage-Inzidenz von 95,6. Deutschland befindet sich, darin sind sich die meisten Experten einig, bereits in der dritten Welle, in der noch dazu die sehr viel ansteckendere Virusvariante B.1.1.7 inzwischen dominierend ist.

Gleichzeitig läuft die Impfkampagne noch immer schleppend. Tagesspiegel-Daten zufolge gab es in der seit Weihnachten laufenden Kampagne erst rund 10,1 Millionen Impfungen.

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Doch nur durch ein deutlich höheres Tempo beim Impfen, dürfte sich in Deutschland absehbar wirklich wieder mehr Normalität herstellen lassen.

Nachdem der Astrazeneca-Impfstoff seit Donnerstagabend auch in Deutschland wieder freigegeben ist, wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) ab 15 Uhr bei einem digitalen Impfgipfel mit der Ministerpräsidentenrunde beraten, wie schneller mehr Impfstoff an und in die Bundesbürger gebracht werden kann.

Dazu liegen verschiedene Vorschläge auf dem Tisch – ein Überblick:

1. Impfungen durch Haus- und Betriebsärzte

Eine der wichtigsten Forderungen ist schon seit einiger Zeit, dass Haus- und Betriebsärzte so schnell wie möglich in die Impfkampagne eingebunden werden sollten. Spahn hat hier bisher gebremst. Es gebe dafür noch nicht genug Impfstoff. Daher hatte man sich bisher auf einen flächendeckenden Start ab Mitte April geeinigt. Durch die durch die Astrazeneca-Probleme bedingte Impfpause könnte sich dies nun ändern.

Nachdem bereits die niedergelassenen Ärzte selbst und etliche Politiker quer durch die Parteien verlangt hatten, die Hausärzte einzubinden, forderte am Freitag auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund Bund und Länder auf, frühzeitig mit den Corona-Impfungen in den Praxen zu beginnen.

„Auch wenn derzeit noch nicht genug Impfdosen vorhanden sind, sollten bestimmte Kontingente alsbald über die Apotheken an die Hausärzte gehen“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

„Wir werden in absehbarer Zeit eine so große Menge an Impfdosen zur Verfügung haben, dass wir diese nicht mehr allein in den Impfzentren verimpfen können.“ Die neue Impfstrategie solle auch die Betriebsärzte einbinden, die gerade bei großen Unternehmen eine Vielzahl von Menschen impfen könnten.

Diese Ansicht teilt auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Haus- und Betriebsärzte müssten „umgehend mit ins Boot“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Sie kennen ihre Patienten, sie wissen, wen sie wie aufklären müssen.“

2. Priorisierung aufheben oder aufweichen

Wenn die Hausärzte eingebunden werden, müsse auch die Impfpriorisierung aufgehoben werden, lautet eine vielfach geäußerte Forderung. Der CDU-Gesundheitsexperte Erwin Rüddel bekräftige dies vor dem Impfgipfel.

Er erwarte mehr Tempo durch die Einbindung der Hausärzte, sagte der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Bundestags, der „Passauer Neuen Presse“. „Die Ärzte kennen ihre Patienten und nehmen selbst eine Priorisierung vor", sagte Rüddel.

Auch die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, plädiert für mehr Flexibilität bei der Impf-Reihenfolge. Die Priorisierung dürfe „kein Knebel“ sein, sagte sie in der ARD. Das Impfen müsse mit einem gewissen Pragmatismus und mit Flexibilität laufen.

„Wir alle wissen, dass wir jetzt schnell voranschreiten müssen, damit wir dann die Priorisierung gar nicht mehr brauchen und öffnen können.“ Noch, und gerade jetzt in der dritten Welle sei es „richtig und wichtig“, zunächst die zu schützen, die am meisten gefährdet seien. „Gleichzeitig müssen wir Meter machen.“

Sobald genug Impfstoff vorhanden sei, sollte man daher in die niedergelassenen Praxen gehen und dort den Ärzten „ein bisschen Ermessenspielraum“ geben. Es hapere nicht an den ethischen Maßstäben als solche, sondern an der Umsetzung.

Eine Herausforderung sei etwa der Datenschutz. Dieser dürfe nicht ignoriert werden. Man müsse ihn aber funktionaler machen und anpassen „an das, was jetzt passiert und nicht das, wovor wir uns vor 20 Jahren Sorgen gemacht haben“.

Es gibt allerdings auch zahlreiche Stimmen, die vor einer zu schnellen Aufhebung der Priorisierung warnen. Bundesfamilien- und Seniorenministerin Franziska Giffey (SPD) sagte in der vergangenen Woche: „Ältere Menschen müssen bei der Impfung ganz besonders im Blick bleiben, weil sie die am stärksten gefährdete Gruppe sind – so sieht es auch die Impfverordnung vor“. Diese Priorisierung habe sich bereits jetzt bewährt, denn die schnelle Impfung in Pflegeeinrichtungen zeige Wirkung.

Auch der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko) am Robert Koch-Institut, Thomas Mertens, warnte: „Das Problem ist, dass es passieren kann, dass Menschen zurückbleiben, die wirklich ein sehr hohes Risiko für schwere Erkrankungen, für intensivpflichtige Therapien und Tod haben, und das ist das, was wir eigentlich vermeiden wollen.“

3. Zweite Impfdosis erst später geben

Bisher müssen die in Deutschland bisher zur Verfügung stehenden Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca zweimal gespritzt werden. Bei Biontech/Pfizer bekommt der Patient im Abstand von etwa drei Wochen jeweils eine Dosis. Beim Produkt von Moderna sind es rund vier, bei Astrazeneca mindestens vier Wochen.

Nicht nur, weil auf einen Schlag mehr Impfstoff für mehr Bürger zur Verfügung stünde, gibt es auch die Forderungen, die Intervalle zwischen Erst- und Zweitimpfung zu strecken.

So wurde in Mecklenburg-Vorpommern bereits am vergangenen Wochenende beschlossen, dass die Reserve für die zweite Dosis reduziert werden soll. So solle die Zahl der Erstimpfungen um etwa 25 Prozent erhöht werden. Zudem sollen die Intervalle bis zur zweiten Impfung ausgedehnt werden

Vorläufige Forschungsdaten legen zudem nahe, dass es sinnvoll sein könnte, den Abstand auszudehnen. So zeigte eine Analyse mehrerer schottischer Universitäten und der Gesundheitsbehörde Public Health Schottland, dass schon die erste der zwei Impfungen mit dem Präparat von Astrazeneca das Risiko eines Klinikaufenthalts wegen Covid-19 wohl um bis zu 94 Prozent reduzieren.

Das Vakzin von Biontech und Pfizer reduziert das Risiko einer Hospitalisierung mit der ersten Dosis demnach um rund 85 Prozent. Die Werte gelten für die 4. Woche nach Erhalt der ersten Dosis, verglichen wurde, wie viel Prozent weniger Klinikeinweisungen es bei erstmals Geimpften als bei noch nicht geimpften Menschen gab.

Der Virologe Alexander Kekulé forderte, beim Impfen auf eine „Notstrategie“ umzusteigen, um die Unterbrechung bei den Astrazeneca-Impfungen schnell aufzuholen. Er warb in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ dafür, alle Älteren zunächst nur einmal zu impfen. „Das schafft eine Teilimmunität, die schon sehr weitgehend vor Erkrankungen und noch zuverlässiger vor Tod schützt“, sagte der Direktor des Instituts für Virologie der Universität Halle-Wittenberg.

Dass die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna derzeit nur für Zweifach-Impfungen zugelassen sind, sollte aus seiner Sicht überdacht werden. Es koste in der gegenwärtigen Lage „viele Menschenleben, wenn wir die kostbaren Dosen für Zweitimpfungen verwenden, statt damit doppelt so viele Menschen zu schützen“, sagte Kekulé. Auch die Briten hätten zunächst nur einmal geimpft und die Pandemie so unter Kontrolle gebracht. Dieser Erfolg sei inzwischen ausreichend durch Studien belegt.

Der Impfstoff von Biontech/Pfizer verhindert einer Analyse britischer Daten zudem auch schon bloße Ansteckungen mit dem Coronavirus. Das Risiko für eine Infektion sinke nach der ersten der beiden vorgesehenen Dosen wohl um rund 70 Prozent, nach der zweiten um etwa 85 Prozent, jeweils verglichen mit dem Risiko ungeimpfter Menschen, so die britische Gesundheitsbehörde Public Health England in der letzten Februarwoche.

4. Weitere Impfstoffe kaufen

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow will sich bei dem Impfgipfel von Bund und Ländern für den russischen Impfstoff Sputnik V starkmachen. „Wir plädieren erst mal dafür, dass wir wieder in Ruhe in das Verimpfen von Astrazeneca einsteigen können. Und ich persönlich plädiere auch dafür, dass die Bundesregierung jetzt die Vorverträge für Sputnik V fertig macht“, sagte der Linken-Politiker in der ARD.

Es sei einfach notwendig, dass man in Deutschland auch dieses Vakzin nutzen könnte, wenn es die europäische Arzneimittelbehörde EMA zulasse. Aber man dürfe nicht warten, bis es die EMA erst zugelassen habe. „Bei anderen Vakzinen haben wir das auch nicht gemacht.“

Vorbehalte gegen den russischen Impfstoff habe er nicht. „Es geht darum, dass wir viel mehr Vakzine brauchen.“ Andere europäische Staaten seien schon längst bei Vorbereitungen oder sogar bei Impfungen mit Sputnik V wie Ungarn und die Slowakei.

In andere Länder wie hier Tunesien wird das russische Mittel schon geliefert.
In andere Länder wie hier Tunesien wird das russische Mittel schon geliefert.
© Fethi Belaid/AFP

Bayern prüft nach Angaben von Gesundheitsminister Klaus Holetschek bereits die Produktion des russischen Impfstoffs Sputnik V. Holetschek sagte beim Besuch eines Unternehmens in Schwaben, wenn das Mittel in der EU zugelassen werde, würde er sich freuen, wenn es auch aus Bayern kommen könnte. Das Unternehmen R-Pharm investiert nach eigenen Angaben derzeit mehr als 30 Millionen Euro in eine impfstofftaugliche Produktion.

Auch Sachsen ist sehr an dem russischen Impfstoff, für den ein Zulassungsantrag bei der EMA läuft, interessiert. „Wir stehen dem offen gegenüber. Natürlich muss er wie alle Impfstoffe geprüft sein, und wenn er zugelassen wird, dann werden wir auch diesen Impfstoff hier gerne verimpfen“, sagte Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD).

Gesundheitsminister Spahn sprach sich vor dem Gipfel bereits für zügige Vereinbarungen aus, um Sputnik V zu kaufen – notfalls auch im nationalen Alleingang ohne europäische Partner. Er könne sich „vorstellen, dass wir Verträge zügig abschließen“, sagte Spahn. Sein Ministerium sei „in engem Austausch“ mit den russischen Stellen, dabei gehe es auch um ein so genanntes Memorandum of Understanding, also eine vorvertragliche Absichtserklärung.

5. Weniger Bürokratie

Nicht nur Hausärzte warnen davor, dass die Bürokratie das Impftempo bremsen werde, selbst wenn mehr Impfstoff zur Verfügung stehe. „Pandemie und Bürokratie verstehen sich nicht“, sagte Bayerns Gesundheitsminister Holetschek. Es sei daher wichtig, genau zu schauen, an welchen Stellen noch Hemmnisse beseitigt werden könnten.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist für mehr Flexibilität.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist für mehr Flexibilität.
© Wolfgang Kumm/dpa

Auch die Amtsärzte in Deutschland kritisieren eine mangelnde Flexibilität bei der Ausweitung der Impfungen. „In Deutschland wollen wir immer alles ganz besonders ordentlich und gründlich machen“, sagte die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Ute Teichert.

Das sehe man jetzt bei den Impfungen: Priorisieren, Einladen, Registrieren und Dokumentieren nähmen viel zu viel Zeit und Energie in Anspruch. „Beim Impfen stehen uns Gründlichkeit und Perfektionismus im Moment im Weg“, sagte Teichert. „Wir müssen unkomplizierte Lösungen finden.“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief ebenfalls zu mehr Pragmatismus im Kampf gegen die Pandemie und mehr Flexibilität beim Impfen auf. Natürlich müsse es beim Impfen gerecht zugehen und natürlich müssten vulnerable Gruppen zuerst geimpft werden, sagte Steinmeier beim digitalen Kongress „Zwischen den Zeiten“ der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Aber unser Ehrgeiz, alles zur Perfektion zu treiben – gepaart mit der Ängstlichkeit beim Experimentieren – steht uns häufig genug im Weg.“

In Deutschland wolle man es besonders gut machen, sichere jede Maßnahme mit unzähligen Regeln ab, sagte Steinmeier. „Etwas mehr Pragmatismus täte uns gut. Erst recht, wenn in den kommenden Wochen mehr Impfstoff zur Verfügung steht.“

Das Ärmelwappen eines Soldaten, der im Anti-Corona-Einsatz ist.
Das Ärmelwappen eines Soldaten, der im Anti-Corona-Einsatz ist.
© Imago Images/Eibner Pressefoto/Fleig

6. Bundeswehr-Impfungen rund um die Uhr

Die Bundeswehr unterstützt den Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie mit einer Taskforce bereits durch Logistik, Hilfe in Gesundheitsämtern und Impfzentren, von denen sie auch selbst welche betreibt.

Am Donnerstag bot Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nun an, den Anti-Corona-Einsatz der Truppe auszuweiten. „Wir haben uns bereits seit November 2020 mit weiteren Kräften der Bundeswehr auf die zusätzliche Unterstützung für die Impfung der Bevölkerung eingestellt“, sagte sie der Wirtschaftswoche.

Die Bundeswehr könne binnen kürzester Zeit einsatzfähig sein. Über die Einrichtung müsste Bundesgesundheitsminister Spahn (CDU) entscheiden.

„Wir können mit der Bundeswehr 28 Impfzentren mit bis zu drei Impfstraßen schichtfähig – das heißt sieben Tage die Woche, Tag und Nacht – betreiben“, erklärte Kramp-Karrenbauer. So könnten täglich zusätzlich bis zu 20.000 Impfdosen verabreicht werden.

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