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Mehrere Tage mussten die Impfungen mit Astrazeneca in Deutschland pausieren.
© Soeren Stache/dpa

Ursache von tödlichen Astrazeneca-Nebenwirkungen: So könnten sich Blutgerinnsel im Hirn verhindern lassen

Der Astrazeneca-Impfstoff gegen Covid-19 wurde zeitweise zurückgehalten. Nun erklären Forschungsteams den Mechanismus der möglichen Nebenwirkung.

Ein Wissenschaftler der Universitätsmedizin Greifswald (UMG) hat wie auch andere Forscher weltweit einen möglichen Mechanismus beschrieben, wie die Astrazeneca-Impfung gegen Covid-19 möglicherweise Thrombosen verursachen kann.

Dem Leiter der UMG-Abteilung Transfusionsmedizin, Andreas Greinacher, zufolge könnten in seltenen Einzelfällen über die Immunantwort des Körpers die Blutplättchen aktiviert werden, was wiederum zu den schwerwiegenden Hirnvenenthrombosen mit Blutplättchenmangel führen könnte, hieß es am Freitag von der UMG. Die Blutplättchen verhalten sich dann vereinfacht gesagt wie bei einer Wundheilung, sie verklumpen und lösen Gerinnsel im Gehirn aus.

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Vergleichbar ist das nach Angaben der Forscher mit einer bereits bekannten Komplikation bei der Gabe von Heparin - der heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT). Der Wirkstoff Heparin verhindert, dass das Blut im Körper gerinnt. Der Körper bildet selbst Heparin, es kann aber auch bei einer Therapie künstlich zugeführt werden.

Das Labor der Greifswalder Forscher konnte diesen HIT-Mechanismus bei vier Patienten mit einer Hirnvenenthrombose nach einer Astrazeneca-Impfung nachweisen. Wie bei der klassischen heparininduzierten Thrombozytopenie treten diese Antikörper demnach vier bis 16 Tage nach der Impfung auf. Die Forscher schließen aber nicht grundsätzlich aus, dass es auch andere Ursachen geben könnte.

"Eindeutige Hinweise für eine immunologisch verursachte Thrombose"

Über eine ähnliche Vermutung hatten am Donnerstag bereits Forscher in Norwegen berichtet: Pal Andre Holme vom Universitätsklinikum Oslo hatte ebenfalls gesagt, er vermute, dass die Bildung der Gerinnsel über eine starke Immunantwort und dabei entstehende Antikörper, die an die Blutplättchen andocken und diese aktivieren, laufen könnte. Experten betonen, dass solche Ideen zum möglichen Ablauf bisher rein spekulativ sind.

Die Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung beurteilt die Sachlage so: „Wir sehen inzwischen eindeutige Hinweise dafür, dass die Sinusthrombose eine immunologisch verursachte Thrombose ist, die mit einer Thrombozytopenie einhergeht“, sagte Johannes Oldenburg, Vorstandvorsitzender der Gesellschaft dem Science Media Center Deutschland.

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Gefährdete Impflinge könnten mit Screeningtests erkannt werden und im Falle des einsetzenden Blutplättchenmangels, der Thrombozytopenie, behandelt werden. „Unter den vorliegenden Rahmenbedingungen, also der Möglichkeit spezifisch zu testen und zu therapieren, überwiegt der Nutzen einer Impfung mit dem Astrazeneca-Impfstoff bei weitem das Risiko, durch die Impfung schweren Schaden zu erleiden“, urteilt Oldenburg.

Die Greifswalder Forscher entwickelten ein Testverfahren, um die auslösende Ursache von Hirnvenenthrombosen nachzuweisen. Dabei werden Betroffene erkannt, allerdings keine Risikopatienten. Patienten könnten zudem durch die Gabe von hochdosierten intravenösen Immunglobulinen (IVIG) behandelt werden. Die Ergebnisse sind noch nicht wissenschaftlich geprüft.

Geimpfte sind keine repräsentative Gruppe

Fälle von Hirnvenenthrombosen mit Blutplättchenmangel in zeitlichem Zusammenhang mit einer Impfung hatten zum Stopp der Astrazeneca-Impfungen geführt. Hinweise darauf, dass die Impfungen tatsächlich die Vorfälle verursachten, hat die Europäische Arzneimittelbehörde EMA nicht gefunden.

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„Jedoch muss gesagt werden, dass insbesondere Frauen jünger als 55 Jahre ein leicht erhöhtes Risiko für Sinusthrombosen und generalisierte Thrombenbildung aufweisen“, sagt Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin der München Klinik Schwabing. Der Impfstoff soll nun mit der Warnung versehen werden, dass er in seltenen Fällen Hirnvenenthrombosen bei Frauen unter 55 Jahren verursachen könnte.

Die Identifizierung jüngerer Frauen als Risikogruppe könnte allerdings auch darauf beruhen, dass im Gesundheitssektor insbesondere viele jüngere Frauen tätig sind und sie präferiert geimpft worden sind, sagt Wendtner.

Die EMA bekräftigte am Donnerstag die Sicherheit des Impfstoffs. Die Impfungen in Deutschland sollten am Freitag wieder aufgenommen werden. (mit dpa/AFP)

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