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Ultra-orthodoxe jüdische Frauen warten in einem Impfzentrum auf ihre Immunisierung. In Israel ist das Impfprogramm bereits weit fortgeschritten und die Covid-19-Inzidenz sinkt.
© REUTERS/Ronen Zvulun

Astrazeneca und Biontech: Wie gut die Impfstoffe wirklich schützen

Klinische Studien mit zehntausenden Beteiligten sind immer noch nur Stichproben. Studien aus Israel und Schottland zeigen, was Impfprogramme wirklich bewirken.

Seit dem für die Covid-19-Vakzine des schwedisch-britischen Pharmaherstellers Astrazeneca verhängten Impfstopp stehen die Nebenwirkungen der Impfungen im öffentlichen Interesse. Doch liegen nun auch erste Studien vor, die zeigen, wie es sich mit der erwünschten Wirkung in breit angelegten Impfprogrammen verhält: dem Schutz vor Covid-19.

Damit ein Impfstoff zugelassen werden kann, wird seine Wirksamkeit zuerst in einer sogenannten Phase-III-klinischen Studie ermittelt. Dazu werden Freiwillige nach einem Zufallskriterium in zwei Gruppen aufgeteilt: die eine Gruppe erhält den Impfstoff, die andere eine Placebo-Vakzine. Weder die geimpften Personen noch die Impfärzte wissen, ob in einer Ampulle Impfstoff oder eine Flüssigkeit ohne Wirkung vorhanden ist.

In bestimmten Abständen wird überprüft, wie viele Personen sich mit Sars-CoV-2 infiziert haben oder an Covid-19 erkrankt sind. Ist die im Prüfprotokoll vorgesehene Zeitspanne abgelaufen, wird die Codierung aufgehoben, und die prozentuale Häufigkeit von Infektion und Erkrankung in der Impf- und Kontrollgruppe miteinander verglichen.

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Besser als oder gleich gut wie in Studien

Da in der Pandemie die Zeit drängt und die Wirksamkeit des Impfstoffs in einem möglichst kurzen Zeitraum bestimmt werden musste, wurde die Zahl der Impflinge möglichst klein bemessen. In der Phase-III-Studie des Biontech-Impfstoffs erhielten rund 11.000 Personen die Covid-19-Vakzine und eine entsprechende Zahl den Placebo-Impfstoff.

Eine in Bezug auf die Gesamtbevölkerung so kleine Stichprobe hat zwei gravierende Nachteile: Erstens, es lassen sich keine Untergruppen bilden. Es lässt sich also beispielsweise nicht überprüfen, ob die Wirksamkeit eines Impfstoffs in allen Altersgruppen gleich gut ist. Zweitens ist – aufgrund einer statistischen Gesetzmäßigkeit – bei einer kleinen Stichprobe der Fehlerbereich der ermittelten Impfstoffwirksamkeit sehr groß.

Um eine zuverlässige Aussage über die Wirksamkeit zu erhalten, ist eine sogenannte Phase-IV-Studie notwendig, bei denen der Impferfolg bei mehreren Hunderttausend oder Millionen Personen gemessen wird. Die Maßzahl wird als Schutzwirkung unter Bedingungen der realen Welt, im Fachjargon Effektivität, bezeichnet.

Zwei in hochkarätigen Fachzeitschriften, dem „New England Journal of Medicine“ und dem „British Medical Journal“, veröffentlichte Phase-IV-Studien aus Israel und Schottland belegen, dass bei dem Biontech-Impfstoff die Effektivität ähnlich hoch ist wie die in der Phase-III-Studie errechnete Wirksamkeit.

Die Astrazeneca-Vakzine schnitt unter den Bedingungen der realen Welt sogar deutlich besser ab, als es die Daten aus der für die Zulassung notwendigen Phase-III-Studie vermuten ließen. Das Schutzpotential des Astrazeneca-Impfstoffs war aufgrund der verhältnismäßig kleinen Stichprobe der Zulassungsstudie unterschätzt worden.

Fortschreitendes Impfprogramm, sinkende Inzidenz

Wie aufwendig es ist, die Wirksamkeit eines Impfstoffs unter reale-Welt-Bedingungen zu bestimmen, zeigt die israelische Studie. Alle Mitglieder der größten Krankenkasse des Landes, die zwischen dem 20. Dezember und dem 1. Februar mit der Biontech-Vakzine geimpft worden waren, etwa 596.000 Personen, wurden in die Studie aufgenommen. Als Vergleich dienten 596.000 Mitglieder derselben Krankenkasse, die in dem Zeitraum noch nicht geimpft worden waren.

Bei den Geimpften und den nicht Geimpften wurde in regelmäßigen Abständen überprüft, ob sie sich mit Sars-CoV-2 infiziert hatten, leicht (keine Behandlung notwendig) oder mittelschwer (Krankenhausaufenthalt) erkrankt waren oder intensiv-medizinisch behandelt werden mussten. Durch ein sogenanntes Matching wurde garantiert, dass Menschen aller Altersgruppen und Personen mit verschiedenen Vorerkrankungen in derselben Häufigkeit in beiden Gruppen vorhanden waren.

Bereits drei bis vier Wochen nach der ersten Impfdosis zeigte sich eine signifikante Schutzwirkung der Biontech-Vakzine: das Risiko einer Infektion mit Sars-CoV-2 sank um 60 Prozent und das einer leichten Erkrankung um 66 Prozent. Das Risiko eines stationären Krankenhausaufenthaltes verminderte sich um 78 Prozent und die Wahrscheinlichkeit einer Behandlung auf der Intensivstation um 80 Prozent. Eine Woche nach Verabreichung der zweiten Dosis lag die Effektivität der Impfung für eine Verhinderung der Infektion, einer leichten und eine sehr schweren Erkrankung bei deutlich über 90 Prozent. Die Schutzwirkungen waren für alle Altersgruppen sehr ähnlich.

Als in Israel Ende Dezember mit der Impfung begonnen wurde, lag die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 bei 364. Die Maßzahl stieg Ende Januar auf 518 und fällt seitdem kontinuierlich ab, obwohl nahezu alle Kontaktbeschränkungsmaßnahmen aufgehoben wurden. Derzeit liegt sie bei 182. Die Impfstrategie erweist sich als erfolgreich.

Neubewertung zugunsten der Massenimpfung

Die schottische Effektivitätsstudie war ähnlich angelegt, ist aber noch aussagekräftiger, da rund 1,2 Millionen Impfungen analysiert wurden. Jeweils etwa die Hälfte der Impfungen wurde mit dem Astrazeneca-Impfstoff und die andere mit der Biontech-Vakzine durchgeführt. Gemessen wurde die Effektivität der Impfstoffe in Bezug auf die Vermeidung einer schweren Covid-19-Erkrankung mit intensivmedizinischer Behandlung in einem Zeitraum von vier bis fünf Wochen nach der ersten Impfdosis.

Während die Schutzwirkung des Biontech-Impfstoffs nach einer Impfdosis 85 Prozent betrug, lag die Maßzahl für die Astrazeneca-Vakzine bei 94 Prozent – eine Verbesserung von etwa 25 Prozent gegenüber der in der Phase-III-Studie ermittelten Schutzwirkung. Der zahlenmäßige Unterschied ist allerdings statistisch nicht signifikant. Tendenziell war die Schutzwirkung in der Gruppe der über 65-Jährigen, die für schwere Krankheitsverläufe besonders anfällig sind, geringer als in der Altersgruppe der 18- bis 64-Jährigen.

Aziz Sheikh vom Usher Institute der Universität Edinburgh, der Leiter der Studie, hält die Schutzwirkung bei älteren Personen gleichwohl für „sehr ermutigend“.  Er räumt aber gleichzeitig ein, dass die Daten der Studie nicht ausreichten, um zu beweisen, dass die Vakzine bei den über 65-Jährigen genauso gut wirksam ist wie bei jüngeren Menschen.

Die Ständige Impfkommission in Deutschland hatte ursprünglich davon abgeraten, Menschen über 65 Jahre mit dem Astrazeneca-Impfstoff zu impfen, weil keine zuverlässigen Daten vorhanden seien. Ihre Kehrtwende vom 4. März, diesen Impfstoff doch für die Älteren freizugeben, lässt sich durch die schottische Studie also nicht legitimieren. Die neue Empfehlung ist vermutlich der Einsicht geschuldet, dass das Ziel, möglichst rasch 70 Prozent der Bevölkerung zu immunisieren, nur erreicht werden kann, wenn auch Personen über 65 mit der Astrazeneca-Vakzine geimpft werden. Von der derzeitigen Impfpause für das Präparat war damals noch nicht auszugehen.

Untersuchung in Deutschland schwer möglich

Die schottische Studie belegt aber, dass die britische Regierung mit ihrer Impfstrategie richtig lag. Während in Deutschland bei jeder Erstimpfung die zweite Impfdosis im Impfzentrum zurückgelegt wurde, die Anzahl der Impfungen pro Tag also durch den verfügbaren Impfstoff begrenzt wurde, machten es die Briten genau umgekehrt: jede verfügbare Dosis wurde für die Erstimpfung eingesetzt und die zweite Impfung erst zwei bis drei Monate später durchgeführt, als die Impfstoffe weniger knapp waren. Parallel zur raschen Durchimpfung der britischen Bevölkerung – derzeit sind auf der Insel 20 Millionen Personen mindestens einmal geimpft, in Deutschland dagegen nur rund fünf Millionen – sank die Häufigkeit der Todesfälle bei älteren Menschen: Von allen durch Covid-19 Anfang Dezember verursachten Todesfällen stellten die über 75-Jährigen 74 Prozent. Ende Februar war die Häufigkeit auf 54 Prozent gesunken, Tendenz weiter fallend. Und das, obgleich sich die Variante B.1.1.7, die deutlich infektiöser ist und auch häufiger zum Tode führt, zwischenzeitlich in Schottland ausgebreitet hat.

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Die Effektivitätsstudien in Israel und in Schottland konnten nur deshalb in so kurzer Zeit durchgeführt werden, weil in beiden Ländern sämtliche Gesundheits- und Krankheitsdaten einer Person in einer zentralen Datenbank gespeichert werden. In Deutschland ist diese Datengrundlage nicht so gut zugänglich.

Die Impfdaten werden getrennt von den Daten der Diagnose einer Sars-CoV-2-Infektion wie auch von den Daten einer Erkrankung an Covid-19 gespeichert. Letztere werden wiederum getrennt nach ambulanter und stationärer Behandlung gespeichert. Teilweise liegen die Daten beim Robert-Koch-Institut, in den Gesundheitsministerien der Länder, bei den einzelnen Krankenkassen oder anderen Institutionen. Das macht es schlechterdings unmöglich, die Effektivität der derzeit in Deutschland eingesetzten Impfstoffe zu bestimmen und die Werte miteinander zu vergleichen.

Hermann Feldmeier

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