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Die Hoffnung auf mehr Bewegungsfreiheit ruht auf einem positiven Antikörpertest: Weist er nach, dass jemand gegen Sars-CoV-2 immun ist, kann er nicht erneut infiziert werden und andere nicht anstecken - wahrscheinlich.
© imago images/Christian Ohde

Die Sehnsucht, sich angesteckt zu haben: Sind Coronavirus-Infizierte später immun – oder nicht?

Wenn die körpereigene Abwehr einen Erreger in den Griff bekommt, dann sehr oft für lange Zeit oder für immer. Aber bei Sars-CoV-2 sind hier viele Fragen offen.

Die Coronakrise ist nicht nur voller Chaos und Tragik, sondern auch voller Paradoxien und Absurditäten. Etwa die, dass sich eigentlich niemand infizieren will, aber eigentlich alle gern infiziert gewesen sein möchten. Denn wer schon vor Wochen angesteckt wurde, wem es aber trotzdem noch oder wieder gut geht, sollte immun gegen Sars-Cov-2 sein – und damit für lange Zeit oder gar für immer gefeit gegen Covid-19 sein.

Aber kann man gegen das neue Coronavirus immun werden? Wenn ja, wie lange hält das dann vor? Was lassen sich daraus für die mögliche Rückkehr in ein normales gesellschaftliches und ökonomisches Leben für Schlussfolgerungen ziehen?

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Die Erkrankung, die heute Covid-19 heißt, ist erst seit ziemlich genau drei Monaten überhaupt bekannt und langfristige wissenschaftliche Daten gibt es dementsprechend noch nicht. Das gilt auch für Informationen über die Immunität derjenigen, die Covid-19 mit oder ohne Symptome durchgemacht haben.

Fragt man beim Robert-Koch-Institut nach, bekommt man die Antwort: „Man geht von einer Immunität aus, wie lange sie dauert ist noch unbekannt, der Erreger ist ja noch nicht sehr lange in der Welt.“ Tatsächlich arbeiten Wissenschaftler derzeit intensiv nicht nur an Therapien und Impfungen, an Modellierungen und Gensequenzen, sondern auch an der Immunitätsfrage.

Gegen das Coronavirus immune Rhesusaffen

Bewusst und gezielt einer neuen Ansteckung ausgesetzt hat sich bisher noch niemand. Meldungen, dass Einzelpersonen sich erneut infiziert haben könnten, gibt es. Sie sind aber nicht verlässlich, weil einerseits unklar ist, ob diese Leute das Virus wirklich schon richtig los waren und andererseits in Ausnahmefällen die Möglichkeit besteht, dass ein Test auch anschlägt, obwohl gar kein Virus da war.

Erste Versuche mit Rhesusaffen haben zumindest ergeben, dass zwei Tiere, die infiziert waren, nicht erneut erkrankten. Eine Gruppe chinesischer Wissenschaftler hatte vier Tiere infiziert. Alle zeigten Symptome schon nach wenigen Tagen, erholten sich aber wieder.

Zwei bekamen dann eine erneute Dosis des gleichen Virenstammes verabreicht. Zwar reagierten sie mit einer Erhöhung der Körpertemperatur, doch sie erkrankten nicht noch einmal. Und keinerlei Virenvermehrung konnte an ihnen festgestellt werden.

Antikörper gegen Corona und sich erinnernde Zellen

Auch bei Menschen werden Antikörper nachgewiesen, sonst könnte es die derzeit in der Entwicklung befindlichen und teilweise auch schon vermarkteten Antikörpertests gar nicht geben. Und auch die Entwicklung einer Impfung wäre dann gar nicht möglich.

Zwar ist das schlichte Vorhandensein dieser Abwehrmoleküle keine Garantie, dass Menschen nicht vielleicht doch erneut erkranken könnten. Die bisherigen Erfahrungen mit dem Virus legen aber nahe, dass Menschen zumindest eine gewisse Zeit gegen Sars-CoV-2-Erreger gefeit sein dürften, wenn sie eine Infektion hinter sich haben. Dann würde ein gewisser Vorrat an Antikörpern stets im Blut patrouillieren.

Bei einem erneuten Kontakt mit dem Erreger könnten diese nicht nur Viren ausschalten. Sondern Zellen des Immunsystems, die Informationen über den Eindringlich gespeichert haben, würden bei erneuten Kontakt mit dem Erreger auch sehr schnell neue Antikörper nachliefern können.

Ungleicher Schutz bei Infektionen

Doch ob all jene, die die Infektion hinter sich haben, dazu im gleichen Maße in der Lage wären, ist eine zusätzliche Unbekannte. Bei wem sie mild oder gar symptomfrei verlief, bei der oder dem könnte das Immunsystem möglicherweise keine so gute Erinnerung im Knochenmark hinterlegt haben.

Tatsächlich gilt bei Infektionskrankheiten zwar nicht immer, aber doch sehr oft, dass die Schwere der Erkrankung im direkten Zusammenhang mit dem Ausmaß der Immun-Erinnerung und der Fähigkeit des Abwehrsystems steht, den Erreger erneut auszuschalten.

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Das Immunsystem erinnert sich ohnehin nicht an alle Keime gleich intensiv. Eine Infektion mit dem Polio-Virus etwa schützt in der Regel das ganze Leben lang vor einer Neuansteckung. Bei Windpocken ist es ähnlich, doch schon hier ist der Schutz nicht hundertprozentig.

Wer sie durchgemacht hat, kann aufgrund der Neuvermehrung von Viren, die in ihm oder ihr überdauert haben, erneut erkranken – dann an Gürtelrose. Und gerade für jene – nicht zur Sars-Untergruppe gehörenden und längst nicht so gefährlichen – Coronaviren, die schon lange als Erkältungserreger bekannt sind, ist eben auch bekannt, dass sie meist nach ein paar Jahren die selbe Person wieder krankmachen können.

Das große Coronavirus-FAQ 90 wichtige Fragen und Antworten
Das große Coronavirus-FAQ 90 wichtige Fragen und Antworten
© Montage: Tagesspiegel/Cremer

Eine andere theoretische Möglichkeit, sich mit Sars-CoV-2 erneut zu infizieren, wäre die, dass für die Neuansteckung eben nicht genau das gleiche Sars-CoV-2-Virus verantwortlich wäre, sondern ein anderer Virenstamm. Der könnte inzwischen durch Mutation entstanden sein.

Wissenschaftler wie etwa Charité-Virologe Christian Drosten halten das für möglich. Es ist aber zumindest deutlich weniger wahrscheinlich als etwa bei Influenzaviren. Denn Viren der Sars-Familie haben ein paar Eigenschaften, die bei ihnen die Mutationsrate im Vergleich zu Influenza deutlich senken.

Coronaviren-Sex

Bei ihnen gibt es vor allem einen Mechanismus, der beim Abschreiben des eigenen Erbmaterials in der Wirtszelle zumindest noch einmal eine Art Korrekturprogramm über die Sequenz gehen lässt. Das senkt die Rate des falschen und letztlich Mutanten ermöglichenden Abschreibens deutlich. Was Coronaviren allerdings bevorzugt tun, ist – wenn andere Coronaviren in der Nähe sind – mit diesen ihr Erbmaterial in einer Art Viren-Sex auszutauschen, was ebenfalls neue, für das Immunsystem unbekannte Stämme generieren könnte.

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Wichtig ist aber auch, dass lange nicht alle Mutationen dazu führen, dass es nun neue, ebenfalls ansteckenden Viren gibt. Und selbst wenn, können selbst diese Mutanten sehr oft noch durch den Immunmechanismus erkannt werden. Die allermeisten Mutationen sind aber ohnehin neutral, oder sogar schädlich für die Viren. Bisher ist das Virus auf seinem Weg um die Welt vergleichsweise wenig mutiert. Das macht nicht nur Hoffnung für jene, die Covid-19 schon hinter sich haben, sondern auch für die Impfstoff-Entwicklung.

Allerdings wird es wahrscheinlich noch mindestens ein Jahr dauern, bis es diese Möglichkeit, Menschen immun gegen Covod-19 zu machen ohne dass diese sich mit dem potenziell tödlichen Erreger infiziert haben müssen. Bis dahin können die Antikörper, die Genesene im Blut haben, aber vielleicht Patienten helfen.

Das Prinzip Blutplasma

Das Prinzip hier: Wer die Infektion überstanden hat, spendet Blut. Das Blut wird so aufgereinigt, dass es keine Zellen mehr enthält. In ihm vorhanden sind aber noch die deutlich kleineren Antikörper. Per Infusion können Patienten dieses "Blutplasma" dann verabreicht bekommen. Die Antikörper müssten dann in der Lage sein, die Viren zu bekämpfen. In China wurden bereits Erkrankte mit Blutplasma solcher Personen behandelt.

Hintergrund-Informationen zum Coronavirus:

Den Erkrankten ging es daraufhin bald besser. Ob und und in welchem Ausmaß die Patienten von den fremden Antikörpern profitiert haben, ist aber unklar. Denn es ist ja auch möglich, dass sie sich auch ohne diese Therapie vergleichbar gut erholt hätten. Weitere Limits dieses Ansatzes sind, dass, anders als ein aktives Immunsystem, das stetig neue Antikörper nachliefert, die gespendeten irgendwann verbraucht.

Dem Patienten oder der Patientin und deren Immunsystem kann also nur eine gewisse Zeitlang geholfen werden in der Hoffnung, dass die ausreicht, damit das eigene Immunsystem danach übernehmen kann. Zudem wird es bei einer Epidemie in ihren frühen Phasen, während der die Patientenzahlen schnell steigen, es aber noch vergleichsweise wenige Geheilte gibt, die Ressource Blutplasma immer begrenzt sein.

Das Prinzip der Antikörpertherapie ist aber seit Jahrzehnten etabliert - eigentlich schon seit über 100 Jahren, als es bereits während der Pandemie mit der Spanischen Grippe zur Anwendung kam und wahrscheinlich viele Patienten vor dem Tode bewahrte. Ähnliches gilt für einen Masern- Epidemie in den 30er Jahren in den USA.

In anderen Kontexten war es aber auch weniger erfolgreich. Bei Polio etwa wirkte Antikörpertherapie zwar nachweislich, konnte aber kaum die schweren Schäden, die die Krankheit hinterließ, abmildern. In Deutschland arbeiten Axel Haverich, Rainer Blasczyk und deren Kollegen an der Medizinischen Hochschule Hannover an einem Plasmatherapie-Ansatz gegen Covid-19 . Sie haben Genesene aufgerufen, sich als Spender zur Verfügung zu stellen.

Und dann ist da noch die Frage, ob Genesene auch auf andere Weise sowohl Erkrankten als auch der ebenfalls aufgrund von Covid-19 nun alles andere als gesunden Wirtschaft und Gesellschaft helfen können. Können solche Personen ohne Schutz etwa Erkrankte versorgen, oder kann man sie ganz normal an den Arbeitsplatz zurückkehren lassen? Die Antwort: wahrscheinlich ja. Aber sicher ist auch das nicht.

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