zum Hauptinhalt
Unter Beobachtung. Seit der Ebola-Epidemie ist klar, dass die WHO grundlegend reformiert werden muss.
© REUTERS

Mehr Macht für Gesundheitsschutz: Seuchen besser bekämpfen

Ebola, Mers und Zika: Die WHO muss schlagkräftiger werden, sagen Experten. In Genf tagt nun der Vorstand.

Nun auch noch Zika! Mücken und Menschen tragen das kaum erforschte Virus gerade in jeden warmen Winkel Amerikas. Die Nachricht ist ein Albtraum für Schwangere. Denn gleichzeitig erhärtet sich der Verdacht, dass im Mutterleib infizierte Babys mit einem zu kleinen Kopf zur Welt kommen. Niemand weiß, wie sie sich entwickeln. Auch gegen das Mers-Virus gibt es weder eine Impfung noch Medikamente. Seit 2012 wurde es von der Arabischen Halbinsel aus in 26 Länder exportiert, zuletzt nach Thailand. Etwa ein Drittel der im Krankenhaus behandelten Patienten stirbt. Und in Sierra Leone erlag erneut eine junge Frau Ebola.

„Infektionskrankheiten gehören zu den größten Bedrohungen der Menschheit. Nicht nur für die Gesundheit, sondern für wirtschaftliches Wachstum und Stabilität“, schreibt die Kommission um Peter Sands von der Universität Harvard, die ein „Global Health Risk Framework“ erarbeitet. Trotzdem werde dieser Aspekt globaler Sicherheit sträflich vernachlässigt. Mindestens 4,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr seien nötig, damit potenzielle Pandemien künftig rechtzeitig eingedämmt werden können. Die Weltgesundheitsorganisation WHO müsse umfassend reformiert werden. Wie das gehen soll, diskutiert in dieser Woche der WHO-Vorstand in Genf. Die Verantwortung beginnt allerdings in den Nationalstaaten.

Die Gefahr erkennen

Zuerst starb der zweijährige Emile in Meliandou an blutigem Durchfall. Dann traf es seine Schwester, die Oma, die schwangere Mutter, eine Hebamme. Der Dominoeffekt, der in dem Dorf begann, blieb monatelang unentdeckt. Niemand fragte nach, als Ebola im Grenzgebiet zwischen Guinea, Sierra Leone und Liberia ganze Familien auslöschte. Bis März 2013 meldeten die Provinzbehörden beharrlich: „keine besonderen Vorkommnisse“.

Dass die Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern gestärkt werden müssen, ist Konsens. „Das ist unsere erste Verteidigungslinie“, wiederholte WHO-Generalsekretärin Margaret Chan zu Beginn der Sitzungen am Montag. „Es gibt heute keine lokal begrenzten Ausbrüche mehr.“ Judith Rodin, die Präsidentin der Rockefeller Foundation, stimmt ihr zu. „Aber wenn wir jetzt einfach Krankenstationen bauen, haben wir versagt.“ Jede kleine Klinik müsse in ein Netz integriert sein, das einerseits bis in die Dörfer im Umkreis reicht, um Seuchenopfer zu isolieren, und andererseits bis in die Hauptstädte, um die Verantwortlichen umgehend zu alarmieren. Sie können im Notfall mobile Teams schicken, die den Ausbruch eingrenzen. Dass das in Entwicklungsländern funktionieren kann, zeigt das Beispiel Uganda: Wenn dort Ebola vom Tier auf den Menschen überspringt, bleibt es oft bei einem Fall.

3,4 Milliarden US–Dollar pro Jahr müssten allein in die Gesundheitssysteme und damit in die Seuchenüberwachung investiert werden, schätzen die Experten des „Global Health Risk Framework“. Es sei eine grundlegende Pflicht der Nationalstaaten, ihre Bürger vor Infektionskrankheiten zu schützen. Die WHO solle bis Ende 2016 Mindestanforderungen an die Gesundheitssysteme definieren. Anhand dieser Liste sollten die Länder bis 2017 ihre Schwächen identifizieren und festlegen, wie sie sie beheben wollen. Den Fortschritt sollen unabhängige Experten von außen alle drei Jahre prüfen. Geldgeber (egal ob Staaten, Stiftungen, Hilfsorganisationen oder Weltbank) sollten ihre Unterstützung von der Bereitschaft zur Evaluation abhängig machen. In Krisen- und Kriegsgebieten sollten die Vereinten Nationen (UN) zumindest eine minimale Seuchenüberwachung sicherstellen.

Schon heute verpflichten die „International Health Regulations“ Staaten, Ausbrüche von Seuchen schnell zu melden. Doch viele Länder halten sich nicht daran. Im Gegenteil. Sie befürchten, dass ihre Wirtschaft dadurch leiden könnte. Daher sollte ein System aus Anreizen und Sanktionen geschaffen werden, meint eine weitere Kommission um Ebola-Entdecker Peter Piot von der London School of Tropical Medicine and Hygiene.

Epidemien eindämmen

Bevor ein Ausbruch außer Kontrolle gerät, muss die WHO eingreifen können. Normen zu setzen und auf Anfrage technische Unterstützung zu leisten, reicht nicht. Das war während der Ebola-Krise offensichtlich. Alle Kommissionen zu den Lehren aus Ebola kommen daher zu dem Schluss, dass die Rolle der WHO deutlich gestärkt und die Organisation umfassend reformiert werden muss.

Statt viel zu spät einen internationalen Gesundheitsnotfall auszurufen, brauche die WHO klare Eskalationsstufen. Diese sollten mit den UN-Organisationen zur Bewältigung humanitärer Krisen abgestimmt sein, betont zum Beispiel die Kommission um Barbara Stocking, die die WHO berät. Eine tägliche Meldung besorgniserregender Ausbrüche an alle Mitgliedsstaaten könne zusätzlich Transparenz schaffen, schreiben die Experten vom „Global Health Risk Framework“.

Vor allem jedoch müssen die Mitgliedsstaaten dem Generaldirektor oder der Generaldirektorin „die Ressourcen und die Macht zur Führung geben“, schreiben sie. Piot und seine Kollegen werden noch deutlicher: Man solle eine Persönlichkeit in diese Position wählen, „die im Notfall selbst den mächtigsten Regierungen die Stirn bieten kann“. Alle Kommissionen mahnen, dass klare Entscheidungsstrukturen und Mechanismen zur Koordination mit so unterschiedlichen Partnern wie Hilfsorganisationen und Pharmaunternehmen, weltweit agierenden Stiftungen, Staaten und lokalen Privatinitiativen nötig sind. Um im Notfall nicht wieder betteln zu gehen, müsse stets ein Fonds mit 100 Millionen Dollar bereit stehen sowie vorab registrierte und ausgebildete Experten unterschiedlicher Fachgebiete, die sofort eingesetzt werden können.

155 Millionen US-Dollar pro Jahr brauche die WHO für diese Aufgaben, meint das „Global Health Risk Framework“. Sie solle bis Ende 2016 ein „Center for Health Emergency Preparedness“ einrichten, das Risiken einschätzt und der Generaldirektorin berichtet, Mechanismen zur Zusammenarbeit entwickelt und Mitgliedsländer unterstützt. Es solle vor politischer Einflussnahme von außen und Budgetkürzungen weitgehend geschützt werden. Um die Bedeutung der Seuchenbekämpfung zu unterstreichen, sei ein „Global Health Committee“ beim UN-Sicherheitsrat sinnvoll, meinen Piot und seine Kollegen. Eine potenzielle Pandemie verlange politische Führung jenseits der Gesundheitsministerien.

Neue Waffen gegen Seuchen

„Die Wissenschaft entwickelt die besten Waffen gegen Infektionskrankheiten, und sie muss vor der Krise damit beginnen“, schreiben die Experten des „Global Health Risk Framework“. Daher sollte die internationale Gemeinschaft jährlich eine Milliarde US-Dollar in die Erforschung von Diagnostik, Impfungen, Therapien und anderer Hilfsmittel investieren. Ein unabhängiges und allein nach Expertise zusammengestelltes Gremium solle festlegen, was am dringendsten gebraucht wird und dabei helfen, das Geld einzuwerben und zu verteilen. Zum einen könne so in jenen Weltregionen Forschungsinfrastruktur wie Labore aufgebaut werden, in denen Ausbrüche am wahrscheinlichsten sind – etwa in den Entwicklungsländern Afrikas oder Asiens. Um auf neue Erreger reagieren zu können, sollten zum anderen auch Impfstoffplattformen geschaffen werden, die in kurzer Zeit an eine unerwartete Gefahr angepasst werden können.

Nötig sei auch die Blaupause für Forschung im Ausbruch, an der die WHO arbeitet. Dazu gehören Standardprotokolle für Studien, Regeln für den Umgang mit Patientenproben, Plattformen, um Daten zu teilen und beschleunigte Zulassungsverfahren. Alles müsse vor der Krise abgestimmt werden. Denn im Ernstfall koste jede Verzögerung Leben.

Zur Startseite