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Trauer in Meliandou. Von Emiles Familie ist kaum noch jemand übrig.
© picture alliance / dpa

Vom Kinderspiel zur Ebola-Epidemie: Wie die Seuche in Westafrika ihr erstes Opfer fand

Der falsche Spielplatz wurde einem zweijährigen Jungen zum Verhängnis. Er löste die bisher größte Ebola-Epidemie aus. Zuletzt infizierte sich unter anderem eine britische Helferin.

Der abgestorbene Baum stand 50 Meter vom Haus seiner Mutter entfernt, an einem Trampelpfad, der die Frauen zu ihrem Wäscheplatz am Fluss führte. Die Kinder des Dorfes Meliandou zog der Hohlraum in seinem Stamm magisch an. Mit Stöckchen scheuchten sie die Fledermäuse auf, die darin hausten. Sie fingen die Tiere, spielten mit ihnen und grillten sie manchmal über einem kleinen Feuer. Der zweijährige Emile war immer wieder dabei. Bis er am 2. Dezember 2013 an einer Durchfallerkrankung starb.

Der Junge war das erste Ebola-Opfer in Guinea, sein Kinderspiel löste wahrscheinlich die bisher größte Ebola-Epidemie aus. Die Weltgesundheitsorganisation WHO zählt allein in Guinea, Sierra Leone und Liberia 20 129 Ebola-Patienten, 7879 von ihnen starben. Zuletzt steckte sich in Sierra Leone eine schottische Krankenschwester an, die über die Organisation „Save the Children“ bei der Bekämpfung der Seuche half. Sie wird nun auf einer Isolierstation in London behandelt.

Als das internationale Team aus Tierärzten, Ökologen und Anthropologen um Fabian Leendertz vom Robert-Koch-Institut in Berlin im April nach Guinea aufbrach, ahnten die Forscher nicht, welche Folgen die Seuche für Westafrika haben würde. Sie interessierten sich dafür, wie Ebola dieses Mal auf den Menschen übergesprungen war und ob es auch unter Wildtieren Opfer gab. Nach der ersten WHO-Meldung packten sie sofort ihre Koffer. Zehn Tage später begannen sie damit, die zwei einzigen Schutzgebiete in Waldguinea stichprobenartig entlang etwa ein Kilometer langer Linien zu durchstreifen.

Wildtiere waren nicht gestorben

So leise wie möglich machten sie je zwei Schritte, blieben stehen und zählten alle Tierspuren: Kot, Schimpansennester, Schlingen von Jägern. Sie sammelten Proben von Aas und Schmeißfliegen. Doch anders als bei anderen Ebola-Ausbrüchen gab es keine parallele Epidemie unter Wildtieren. Der Schimpansenbestand hatte sich sogar erholt, berichten die Forscher im Fachblatt „EMBO Molecular Medicine“. Durch die Wild Chimpanzee Foundation, die Christophe Boesch vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig gegründet hat, hatten sie verlässliche Vergleichsdaten. Die These, dass ein Jäger ein totes - mit Ebola infiziertes - Tier gefunden und mit nach Hause genommen hatte, war damit kaum noch plausibel.

Versteck für Fledermäuse, Kinder und Viren. Der zweijährige Emile hat sich vermutlich beim Spiel in diesem Baum mit Ebola angesteckt.
Versteck für Fledermäuse, Kinder und Viren. Der zweijährige Emile hat sich vermutlich beim Spiel in diesem Baum mit Ebola angesteckt.
© dpa

Dann erreichte sie die Nachricht, dass der erste Patient ein Kind aus Meliandou war. Das Team teilte sich, die Ökologen suchten weiter im Regenwald nach Spuren von Ebola, die Tierärzte und Anthropologen reisten in das Dorf. „Wir wurden erst skeptisch begrüßt“, sagt Leendertz. „Das legte sich, als wir ihnen sagten, dass wir nach dem Ursprung der Seuche suchen. Das wollten sie selbst gern wissen.“ Zwei Jungs wurden zu Assistenten, die die Forscher durch das Dorf und die Nachbarorte führten. Sie zeigten ihnen, wo Fledermäuse, Flughunde oder andere Tiere leben, vermittelten Kontakte. „Große Wildtiere kennen sie höchstens aus den Erzählungen der Alten“, sagt Leendertz. „Um Meliandou gibt es Felder und Brachland. Keinen Regenwald.“ Während die Tierärzte mit zwölf Meter großen Netzen hunderte Fledertiere fingen, sprach die Anthropologin Almudena Mari Saéz vom Institut für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit der Charité mit Jägern und ihren Familien, mit Verkäufern von Buschfleisch und anderen Dorfbewohnern. Viele erzählten ihr, dass das Fleisch der Flughunde beliebt ist. Das war eine mögliche Infektionsquelle – doch der Vater von Emile war kein Jäger. Außerdem lebten die Eltern getrennt. Es war zwar nicht auszuschließen, dass der Zweijährige einen frisch geschlachteten infizierten Flughund berührt hatte. Wahrscheinlich war es nicht.

Die Suche nach einer infizierten Fledermaus ist wie ein Lottospiel

Die Kinder führten sie schließlich zu einem hohlen Baum, der kurz vor der Ankunft der Forscher ausgebrannt war. Hier hätten sie oft gespielt, Fledermäuse gefangen und manchmal gegrillt. Ein ganzer Schwarm Fledermäuse sei geflohen, als bei dem Brand im März das Feuer größer wurde, erzählten die Dorfbewohner. Tausende Tiere. Die Forscher nahmen an dem Spielplatz Proben von Asche und Boden. Im Labor fanden sie darin Erbgut der Fledermausart Mops condylurus. Bei dieser Spezies wurden früher bereits Antikörper gegen Ebola gefunden. Da sie die Infektion überlebt, kommt sie als natürliches Reservoir des Virus infrage.

In den Netzen der Tierärzte verfing sich keine einzige Fledermaus dieser Art, auch die anderen Fledertiere waren nicht mit Ebola infiziert. „Wir wissen vom Marburg-Virus, dass immer nur vier bis fünf Prozent einer Kolonie ein solches Filovirus in sich tragen, vor allem Jungtiere“, sagt Leendertz. „Ähnlich wie die Masern beim Menschen. Da zur richtigen Zeit das richtige Tier zu fangen, ist wie Lotto spielen.“ Es ist bisher bei keinem Ebola-Ausbruch gelungen, isoliert wurden nur Erbgutschnipsel des Virus.

Dass sich Emile beim Spiel in dem hohlen Baum mit Ebola angesteckt hat und damit zunächst seine Familie ins Unglück stürzte, ist das wahrscheinlichste Szenario über den Beginn der Epidemie im Dezember 2013, schreiben die Forscher. Trotzdem solle man keinesfalls alle Fledermäuse in der Nähe von menschlichen Siedlungen töten. Vielmehr müsse man die Menschen über die Gefahren und den Nutzen der Tiere aufklären.

Jana Schlütter

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