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„Abgehängten“ Schülerinnen und Schülern soll pädagogisch wie auch psychologisch geholfen werden.
© imago/JOKER
Update

Jugendliche fordern Bildungspolitik heraus: Schule soll zum Rückzugsort werden

Zum Tag der Bildung am Mittwoch stellen junge Menschen drei Forderungen. Unter anderem sollen durch die Pandemie abgehängte Schüler stärker unterstützt werden.

Jugendliche haben auf einer Bildungskonferenz im Rahmen des bundesweiten Aktionstags der Bildung am heutigen Mittwoch selbst erarbeitete Forderungen und Lösungsvorschläge für ein besseres Bildungssystem der Öffentlichkeit präsentiert. Drei Forderungen für eine erfolgreiche Bildung sind den jungen Menschen dabei zentral. Zum einen plädieren sie für eine kostenfreie Bildung, die allumfassend zu verstehen ist. Gemeint sind hier vor allem auch private Mittel vom Bleistift bis zum Computer. 

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Zudem fordern sie eine stärkere Unterstützung von durch die Pandemie „abgehängten“ Schüler:innen, sowohl in pädagogischer als auch psychologischer Sicht. Schule soll nach Vorstellung der jungen Menschen zu einem „Safe Space“ werden: „Das heißt, die Schule soll ein Rückzugsort für die sein, die von jeglichen Formen der Ausgrenzung betroffen sind“, so die Schüler:innen. Es gehe um kostenlose und langfristige Förderung von Schülern. Durch das eigenverantwortliche Lernen im Distanzunterricht seien bei vielen Schülern große Lücken entstanden, sagte Charlotte Kaiser, die in der Pandemie-Zeit Abitur gemacht hat. 

Hier brauche es eine umfassende Unterstützung, die durch Lehrkräfte, Mitschüler und Ferienangebote gegeben werden könnte. Aufgrund der psychischen Belastung von Schülern durch die Pandemie - laut Bertelsmann-Studie sind 63 Prozent der Schüler:innen betroffen - sollten zudem mehr Schulsozialarbeiter und -psychologen eingesetzt werden. „In einem ersten Schritt sollten vorhandene Stellen dauerhaft und kontinuierlich besetzt werden“, forderte Kaiser. Es brauche einheitliche Bezugspersonen dafür an den Schulen. 

Auch müssten die Lehrkräfte fortgebildet werden, um sie für die Problem der Schüler:innen zu sensibilisieren.  „An den Schulen geht es nicht um psychische Hilfe auf klinischem Niveau, sondern um Bezugspersonen als Ansprechpartner, die im Problemfall an die richtigen Stellen weiter vermitteln können.“ 

Schließlich fordern die Jugendlichen, die Potenziale der digitalen Lernangebote besser zu nutzen. Auch sollte der Distanzunterricht über die Pandemie hinaus ermöglicht werden, beispielsweise für Schüler:innen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht am Präsenzunterricht teilnehmen können. Die Angebote sollten verbessert werden und den Präsenzunterricht langfristig ergänzen, erklärte der Schüler Leon Becht. Für Schüler sei digitale Freizeitgestaltung normal, insofern lasse sich darauf aufbauen, um so die Vermittlung von Bildung flexibel zu verbessern. „So lassen sich auch Lernlücken schließen.“

Bildungsgerechtigkeit als zentrales Ziel

Zu der Forderung nach stärkerer finanzieller Unterstützung von Schüler:innen und Eltern sagte Karin Prien, ab kommendem Jahr Präsidentin der Kultusministerkonferenz  (KMK) und Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, dass mehr Geld für Bildung natürlich wünschenswert wäre. Bildungsgerechtigkeit müsse zentrales Ziel sein. Doch sei sie keine Freundin davon, digitale Endgeräten an alle Schüler:innen auszugeben. „Es ist besser die Mittel für mehr Personal an den Schulen zu nutzen, als in Geräte zu investieren für Schüler, deren Eltern das selbst leisten können.“ 

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, erinnerte daran, dass finanzielle Unterstützung von benachteiligten Schüler:innen aus sozial schwachen Familien alleine nicht ausreichen würde. „Ganztagsschulen und eine stärkere Einbindung der Eltern sind dabei auch sehr wichtig“, betonte er.

Karin Prien (CDU) ist Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein. 2022 übernimmt sie den Vorsitz der Kultusministerkonferenz  (KMK). 
Karin Prien (CDU) ist Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein. 2022 übernimmt sie den Vorsitz der Kultusministerkonferenz  (KMK). 
© imago images / Uwe Steinert

Zur Forderung nach stärkerer Unterstützung von „abgehängten“ Schülerinnen verwies der Psychologe Olaf Köller, Vorsitzender der Ständigen wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz, darauf, dass bereits vor der Pandemie 35 bis 30 Prozent der Schüler im Laufe ihrer Schulzeit „abgehängt“ wurden. Durch die Pandemie kämen noch einmal rund 30 Prozent hinzu. Hier seien Brennpunkt- und Grundschulen am stärksten betroffen, so der Wissenschaftler des Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, Kiel. Die betroffenen Gruppen müssten nun genau identifiziert und Beratungslehrkräfte und Schulpsychologen aufgestockt werden. 

Lernrückstände müssten durch zusätzliche Angebote kompensiert werden: „Manche Kinder brauchen mehr Lernzeit.“ Auch müsse beachtet werden, dass Schüler, die psychologisch belastet sind, nicht lernen können. Mit Blick auf die Digitalisierung sollte nun nachgelegt werden - etwa intelligente Lernsoftware oder Lernvideos eingesetzt werden. Dazu brauche es aber immer auch eine Interaktion, nicht nur passiven Konsum. 

Die zukünftige KMK-Präsidentin Prien sagte, dass Schulen für die Digitalisierung mehr Autonomie brauchen, mehr Möglichkeiten, Dinge auszuprobieren, auch Fehler zu machen, die man dann korrigieren könne. „Wir müssen uns alle an einen Tisch setzen“, sagte Prien.  Das wichtigste sei nun aber, die Lehrerbildung anzupassen: „Das ist der Schlüssel zur Digitalisierung.“ Für den Lehrerverband forderte Heinz-Peter Meidinger, dass Fortbildungszeiten zur Digitalisierung auch in Arbeitszeiten der Lehrkräfte integriert werden müssten. 

Auch Schüler können Schule neu denken

Die Studentin Stacy Bode sagte am Mittwoch auf der Konferenz, dass den Jugendlichen eine starke Lobby fehle. „Meistens wird nur über uns gesprochen, nicht mit uns.“ Das will die Gruppe der engagierten Schüler:innen und Studierenden nun ändern. Der Schüler Leon Becht sagte, dass es darum gehe, den Schulalltag aktiv mitzugestalten. „Schüler sind in der Lage, Schule neu zu denken.“ Ihre Forderungen sehen die jungen Engagierten als Denkanstoß. Ihre Umsetzung wäre wünschenswert. Die Politik sollte die Belange der Schüler:innen endlich auch ernst nehmen, sagte Becht am Mittwoch auf der Konferenz. „Sonst spitzt sich die Bildungskrise weiter zu.“

Bildung erhalte nicht die nötige Aufmerksamkeit

Im Vorfeld zu der Konferenz waren die jungen Menschen in zwei Umfragen zu ihrer Meinung zum deutschen Bildungssystem und zum Thema Bildung für die digitale Welt befragt worden. Auf Grundlage der Ergebnisse hatten sie dann eigene Forderungen erarbeitet.

Der Tag der Bildung ist ein Aktionstag, der das Thema Bildung jedes Jahr am 8. Dezember in den Fokus der Öffentlichkeit rücken soll. „Dieses Engagement wird dringender denn je benötigt, denn nach wie vor erhält Bildung nicht die nötige Aufmerksamkeit“, heißt es von den Initiatoren.  Vor diesem Hintergrund hatten die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung, SOS-Kinderdörfer weltweit und der Stifterverband den Aktionstag 2015 ins Leben gerufen.

Für eine Umfrage im Auftrag der Initiative „Tag der Bildung“ wurden vom Meinungsforschungsinstitut Forsa im September und Oktober 2021 rund 1000 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 21 Jahren zum Bildungssystem in Deutschland und dem Schulunterricht unter der Corona-Pandemie befragt worden. Demnach glaubt eine Mehrheit der jungen Erwachsenen nicht mehr an Gerechtigkeit im deutschen Bildungssystem.

Studie zu Bildungschancen

Der kulturelle Hintergrund der Eltern wird demnach als ausschlaggebend gesehen für Bildungserfolg. Der Anteil derjenigen, die der Auffassung sind, dass der kulturelle Hintergrund der Erziehungsberechtigten einen großen Einfluss auf die Bildungschancen der Kinder hat, war laut Forsa sehr deutlich von 31 Prozent im Jahr 2016 auf aktuell 51 Prozent gestiegen.

Als wichtige Einflussfaktoren auf die Bildungschancen haben die befragten Jugendlichen an erster Stelle die Qualität der Schule angegeben (92 Prozent), gefolgt von der Zuwendung und Unterstützung der Eltern (90 Prozent) und der eigenen Motivation (86 Prozent).

Trotz der eher skeptischen Haltung in Bezug auf Chancengleichheit im Bildungssystem sehen die jungen Menschen in Deutschland ihre berufliche Zukunft sehr positiv. Laut Umfrage blicken 32 Prozent positiv und 54 Prozent eher positiv nach vorne, mit insgesamt 86 Prozent ist das ein hoher Wert.

Schüler präferieren Präsenzunterricht

Mit Blick auf Distanzunterricht und Homeschooling in der Pandemie wollten die Meinungsforschenden auch wissen, wie der digitale Unterricht bei den jungen Menschen ankam. Hier ergibt sich ein differenziertes Bild: Während rund die Hälfte damit zufrieden war (53 Prozent), gaben mit 52 Prozent nahezu genauso viele an, dass ihre Lehrer:innen nicht gut oder schlecht mit digitalen Lernmethoden vertraut waren.

Die Mehrheit der Befragten wünscht sich zudem, dass der Unterricht nach der Pandemie wieder überwiegend oder ausschließlich in Präsenz stattfinden soll (67 Prozent).

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