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In deutschen Schulen fehlt es nicht nur an Digitalisierung, sondern auch an Chancengleichheit
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Chancenungleichheit in der Bildung: In der Schule gibt es mehr Probleme als nur die Digitalisierung

Wenn es um Bildung geht, spricht die Politik meist nur über die fehlende Digitalisierung. Doch unser Bildungssystem hat noch mehr Baustellen. Ein Kommentar.

Wenn es im politischen Diskurs um das deutsche Bildungswesen geht, fällt im Moment meistens nur das Wort Digitalisierung. Es gibt immer noch viele Schulen, die ohne W-Lan, ohne digitale Geräte und ohne Medienkompetenz der Lehrer auskommen müssen. Die Fokussierung auf dieses Thema ist gerechtfertigt, doch sie verhindert den Blick auf ein größeres Problem, dass das Bildungssystem schon lange mit sich herumträgt. 

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Noch immer ist der akademische Erfolg von Kindern vom Abschluss der Eltern abhängig. „Akademikerkinder haben eine dreimal so große Chance auf einen Bachelorabschluss“, bestätigt eine neue Studie des Stifterverbands für die Wissenschaft und der Unternehmensberatung McKinsey. Blickt man noch höher auf der akademischen Leiter, werden die Unterschiede zwischen Arbeiterkindern und Kindern mit mindestens einem akademischen Elternteil noch größer. Bei 100 Kinder von Nichtakademikern schließen nur 11 das Masterstudium ab, bei Akademikerkindern liegt die Zahl bei 43. Ein Unterschied, den sich Deutschland nicht leisten kann, denn nicht nur bei der Rente wird der demografische Wandel seine Spuren hinterlassen. 

Der Fachkräftemangel trifft akademische wie nicht akademische Berufsfelder

In vielen nicht akademischen Berufen gibt es einen Fachkräftemangel, aber auch in der Justiz, im Bildungswesen oder in der IT-Branche fehlen qualifizierte Arbeiter. Eine Lösung, die zumindest dem Mangel an akademischen Fachkräften entgegenwirken könnte, wäre es, mehr Jugendliche aus „bildungsfernen“ Haushalten zum Studieren zu bewegen. 

Ein Ziel, dass sich die neue Regierung setzen muss, das aber nicht einfach zu erreichen sein wird, denn die Gründe für die Unterschiede zwischen Akademiker- und Nichtakademikerkindern sind divers und haben sich während der Corona-Pandemie noch verstärkt. 

Die Pandemie hat die Gräben nur noch vergrößert

Besonders in Nichtakademikerhaushalten hatten Schüler in der Pandemie nur wenig Möglichkeiten, digital und ungestört zu arbeiten - das legen Umfragen nahe. Dass dem so ist, war bekannt, wurde aber ignoriert. Nun gibt es Programme, die dieses Bildungsdefizit ausgleichen sollen, doch es ist fraglich, ob die Maßnahmen auch die erreichen, die es erreichen soll. Oft nehmen ohnehin gute Schüler solche Angebote eher wahr als die, die sie eigentlich bräuchten. Hier müssen andere Lösungen gefunden werden als nur allgemeine Extrakurse, sonst wird der Graben zwischen den zwei Gruppen in Zukunft noch größer. Langfristig könnte die Digitalisierung Abhilfe schaffen, wenn von den Schulen auf individuelle Bedürfnisse geachtet wird und der Staat genügend unbürokratisch abrufbare Mittel zur Verfügung stellt. Kurzfristig müssen Lehrer und Lehrerinnen ihren Fokus auf eben die Kinder legen, die während der Krise zurückgefallen sind. Auch die Zusammenarbeit mit Sozialarbeitern oder Lernpädagogen könnte nützlich sein. 

Das Bafög braucht eine Reform

Eine weitere Hürde, die für Arbeiterkinder oft höher ist als für Akademikerkinder, ist die finanzielle. Obwohl sich in den meisten deutschen Universitäten und Hochschulen die Höhe der Semestergebühren im Rahmen hält, steigen Miet- und Lebenshaltungskosten in vielen Studentenstädten enorm. Nur die wenigsten Kinder, deren Eltern nicht studiert haben, können sich beim Studium auf eine ausreichende Finanzierung der Eltern verlassen und entscheiden sich deshalb oft für Ausbildungsberufe, die ein sicheres Einkommen miteinschließen. Warum diese jungen Menschen kein Bafög beziehen? Weil nicht alle davon wissen, und selbst wenn sie es beantragen wollen, bürokratische Hürden und der penible Blick auf jeden Cent der Eltern - ob diese einen unterstützen wollen oder nicht - das Bafög für viele zu aufwendig macht. Ein elternunabhängiges Bafög sowie weniger Bürokratie beim Antrag ist überfällig.

Um das Problem jedoch an der Wurzel zu packen, muss man schon in der Grundschule Veränderungen einfordern. Viele Kinder, deren Eltern nicht auf Universitäten waren, haben ein unakademisches Selbstverständnis von ihrer Laufbahn, welches von vielen Lehrern noch bestärkt wird. Pisa-Studien hatten gezeigt, dass Arbeiterkindern bei gleichen Noten weitaus seltener auf ein Gymnasium wechseln als Kinder von Akademikern. Schuldzuweisungen an die Grundschullehrer bringen hier wenig, und doch müssen eben diese für diesen Zustand sensibilisiert werden.

Manche dieser Aufgaben sind Sache der Bundesländer, Bafög oder der Haushalt, der für die Bundesländer für das Bildungssystem bereitsteht, regelt jedoch der Bund. Wo es möglich ist, muss der neue Bundestag diese Probleme angehen und das Problem der Chancenungleichheit in den Vordergrund heben. Letztendlich wird sich eine progressive Regierung, wie sich die Ampel-Parteien jetzt schon nennen, nicht nur daran messen lassen müssen, wieviel Bildungspotenzial dann noch immer verschwendet wird.

Marc Tawadrous

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