Stammzelltherapie: Retortenzellen wirken gegen Parkinson
Ein Traum von Stammzellforschern hat sich erfüllt: Künstlich nachgezüchtete Nervenzellen können die Symptome der Schüttellähmung lindern.
Es beginnt unmerklich. Hier ein Zittern der Hände, dort ein Stolpern. Für die etwa 350 000 an Schüttellähmung Erkrankten in Deutschland ist es der Anfang einer unaufhaltsamen Leidensgeschichte, bei der über Jahre allmählich die Kontrolle über den Bewegungsapparat verloren geht. Im Gehirn jedoch tobt die Parkinson-Krankheit meist schon seit vielen Jahren. Unbemerkt sterben in den Tiefen des Mittelhirns wichtige Nervenzellen ab, die den Botenstoff Dopamin produzieren. Sie sind die Taktgeber für die Zentren im Gehirn, die Bewegungen kontrollieren. Erst wenn über die Hälfte dieser dopaminergen Nerven verschwunden sind, treten erste Symptome auf.
Menschliche Zellen wirken in Makaken
Seit Anbeginn der Stammzellforschung in den neunziger Jahren hoffen Neurologen, diesen Verlust mit nachgezüchteten Zellen ersetzen zu können. Jetzt deuten Experimente an Affen darauf hin, dass eine Zelltherapie die Symptome der Parkinson-Erkrankung tatsächlich lindern kann, schreiben Forscher der Universität Kyoto im Fachblatt „Nature“. „Diese Machbarkeitsstudie ist sehr wichtig“, sagte der Stammzellforscher Oliver Brüstle dem Tagesspiegel. „Sie zeigt, dass es möglich ist, aus Haut- oder Blutzellen von Patienten dopaminerge Neurone herzustellen, die im Gehirn nicht nur überleben, sondern so integriert und aktiv sind, dass sie die Bewegungsstörungen von Parkinson mindestens so gut lindern wie die nur zeitweise wirksamen medikamentösen Therapien.“
Die Forschergruppe um den Stammzellforscher Jun Takahashi hatte zunächst Stammzellen aus Blut- und Hautzellen von drei Parkinson-Patienten und von vier Gesunden hergestellt. Dabei werden die Zellen zunächst in einen ursprünglichen Zustand umgewandelt, ähnlich embryonalen Stammzellen. Für diesen 2006 entwickelten „Reprogrammierungstrick“ von differenzierten Zellen in „induzierte pluripotente Stammzellen“ (ipS) bekam der Japaner Shinya Yamanaka, ebenfalls von der Universität Kyoto, 2012 den Nobelpreis. Aus den so gewonnenen acht ipS-Zelllinien ließen die Forscher innerhalb von zwei Wochen in separaten Gewebekulturen Vorläufer jener Zellen wachsen, die im Hirn der Parkinson-Patienten aus noch immer ungeklärten Gründen absterben. Weitere zwei Wochen später spritzten sie zwischen 40 000 und 240 000 Zellen in die Gehirne von Makaken, die aufgrund einer Behandlung mit dem Nervengift MPTP Parkinson-typische Symptome zeigten. Vier der Tiere bekamen Zellen, die auf Spenden von Parkinson-Patienten zurückgingen, vier weitere hingegen Zellen, die aus den Gewebespenden von Gesunden heranwuchsen. Zur Kontrolle erhielten drei Affen keine Zellen.
Zwei Jahre ohne Hinweise auf Krebs
Nach insgesamt zwei Jahren minutiöser Beobachtung der Tiere stellten die Forscher eine deutliche Verbesserung der spontanen Bewegungen bei den behandelten Makaken fest. Dabei machte es offenbar keinen Unterschied, ob die Zellspenden von Parkinson-Patienten oder Gesunden stammten, schreibt Takahashi. Damit erweist sich die Befürchtung als unbegründet, dass Stammzellen von Patienten die Krankheit mitschleppen und im Gehirn womöglich schneller als Zellen von Gesunden absterben könnten. Im Gegenteil: Die transplantierten Zellen überlebten im Gehirn nicht nur, sondern wuchsen an und verknüpften sich mit den übrigen Nervenzellen. Und vor allem produzierten sie den fehlenden Botenstoff Dopamin.
Besonders genau suchten die Forscher nach Anzeichen auf Krebs oder sonstige Zellveränderungen. Denn bei Zelltherapien schwingt das Risiko mit, dass einige der transplantierten Zellen im Gehirn entweder zu unerwünschten Gewebetypen oder gar zu Krebs heranwachsen. „Dieses Problem halte ich inzwischen für untergeordnet“, sagt Brüstle. Nicht nur, weil Takahashis Team auch nach zwei Jahren keinen Hinweis auf krebsartige Veränderungen finden konnte, sondern auch, weil in anderen Stammzelllabors inzwischen Hunderte von Tieren mit vergleichbaren Zelltherapien behandelt und nie Anzeichen auf Krebs entdeckt wurden. Der Weg zu ersten Tests der Methode am Menschen sei nun frei. „Sie können davon ausgehen, dass jetzt Folgestudien am Menschen bevorstehen.“
Vorsichtige Hoffnung
Ob die Zellen allerdings beim Menschen ebenso wie bei den Affen funktionieren, ist offen. Nicht nur, weil Therapien, die in Tiermodellen erfolgreich sind, nicht automatisch auch beim Menschen anschlagen. Sondern auch, weil ein Unterschied besteht zwischen einer medikamentös herbeigeführten Parkinson-Erkrankung und dem Parkinson-Syndrom des Menschen. „Bei Patienten schleicht der Erkrankungsprozess anders als bei einer chemischen Gewebeveränderung über viele Jahre dahin“, sagt Brüstle. „Ob das einen Unterschied für die Therapie macht, weiß man nicht.“ In der Vergangenheit gab es Fälle von Jugendlichen, die aufgrund verunreinigter Drogen über Nacht Parkinson entwickelten. „Bei diesen Patienten haben die ersten Therapieversuche mit Nervenzellen aus Föten recht gut funktioniert.“ Bei regulären Parkinson-Patienten waren die Ergebnisse oft weniger eindeutig. Bislang stützt sich das Wissen der Forscher über Zelltherapien gegen Parkinson auf Tiermodelle mit medikamentös herbeigeführter Erkrankung.
Auch wenn sich die kühnsten Hoffnungen der Forscher bestätigen sollten, das Wort „Heilung“ fällt nicht. So haben sich die Bewegungen der Tiere, die die Forscher per Video kontrollierten, zwar verbessert, von Normalität kann aber keine Rede sein. So sei die Wirksamkeit der Zellen etwa vergleichbar mit der bisherigen medikamentösen Therapie mit L-Dopa, einem Vorläuferstoff von Dopamin. Sollte sich diese Wirkung im Menschen bestätigen, wäre das aber durchaus ein Fortschritt. Denn Parkinson-Medikamente wie L-Dopa wirken nicht dauerhaft, sagt Brüstle. „Nach einer gewissen Behandlungsdauer erlischt der Effekt und die Patienten geraten in einen immer schwieriger behandelbaren Zustand.“ Die Zelltherapie könnte dem entgegenwirken.
Wären also erste Tests der Therapie vor allem bei Patienten sinnvoll, bei denen L-Dopa nicht mehr wirkt? „Im Grunde ja, aber das hängt auch von den Behörden ab, die bislang nur Patienten mit fortgeschrittenen Erkrankungsstadien für solche Transplantationsstudien freigegeben haben.“ Womöglich ist das Gehirn solcher Patienten dann aber schon zu stark zerstört, als dass eine Therapie noch die optimale Wirkung entfalten könnte, sagt Brüstle. „Es ist jedenfalls sicher nicht sinnvoll, bis auf den letzten Drücker zu warten.“
Mit großen Studien, von denen auch Patienten profitieren könnten, ist indes nicht so bald zu rechnen, sagt Brüstle, der einer internationalen Kooperation zur Umsetzung einer zellbasierten Parkinsontherapie angehört, der „G-Force Parkinson-Disease-Initiative“. „Die ersten klinischen Transplantationen werden an sehr kleinen Patientengruppen stattfinden.“ Bis Ergebnisse über Wirkung und Nebenwirkungen vorliegen, werden einige Jahre vergehen. Optimistisch stimmt Brüstle, dass bei den Makaken offenbar schon wenige Zellen Wirkung zeigten. „Man geht davon aus, dass man beim Menschen etwa 100 000 Zellen bräuchte“, eine Menge, die sich ohne Schwierigkeiten bereitstellen lasse. „Man kann heute in einem Rutsch genug Zellen für bis zu 100 Patienten produzieren.“
Deutsche Gesetze erschweren Entwicklung von Zelltherapien
Ob es sich allerdings lohnt, aus den Zellen eines jeden Patienten seine genetisch identische Stammzelllinie herzustellen, ist fraglich. Aufwand und Kosten sind hoch, und womöglich reicht es, Zellen ähnlichen Gewebetyps zu transplantieren – so wie bei Knochenmarktransplantationen. „Eine ipS-Zell-Bank mit einer begrenzten Zahl sorgfältig ausgesuchter Spender könnte bereits einen größeren Teil der Bevölkerung abdecken.“ Hinzu kommt, dass im Gehirn das Risiko einer Abstoßung fremder Zellen ohnehin geringer ist. „Die Zellen sind hinter der Blut-Gehirn-Schranke zumindest teilweise vor den Immunzellen geschützt“, sagt Brüstle. „Es hat sich gezeigt, dass die Nervenzellen auch dann überleben, wenn Medikamente gegen die Abstoßung einige Monate nach der Transplantation abgesetzt werden.“
Wann es die Stammzelltherapie gegen Parkinson geben wird, steht noch nicht fest. Dass sie wohl nicht aus Deutschland kommen wird, ist hingegen sehr wahrscheinlich. „In Deutschland haben sich bislang kaum Forschergruppen mit einer klinischen Anwendung der Zelltherapie befasst“, sagt Brüstle. „Hier hat sich die Stammzellforschung einfach nicht so entwickeln können, auch aufgrund der schwierigen gesetzlichen Lage, die die Arbeit mit menschlichen embryonalen Stammzellen erschwert hat.“ Nur mit bestimmten, importierten Zelllinien dürfen die Forscher arbeiten. Zwar unterliegen ipS-Zellen keinen Einschränkungen, weil für deren Gewinnung keine menschlichen Embryonen verbraucht werden. Allerdings gibt es ipS-Zellen erst seit 2006. „Und es sind Labors, die von Anfang an mit embryonalen Stammzellen arbeiten konnten, die heute der klinischen Anwendung der Stammzelltechnik am nächsten sind“, sagt Brüstle.