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Preisträger 2012: Medizin-Nobelpreis: Jungbrunnen aus dem Labor

Der Medizin-Nobelpreis geht an den Klonpionier John Gurdon und den Stammzellforscher Shinya Yamanaka. Er hat einen Jungbrunnen für kranke oder verbrauchte Organe erschaffen. "Dolly"-Schöpfer Ian Wilmut hingegen geht leer aus.

Yama wer? Als der japanische Arzt Shinya Yamanaka vor sechs Jahren seine bahnbrechenden Forschungsergebnisse im Fachblatt „Cell“ veröffentlichte, war er nur wenigen Eingeweihten bekannt. Dafür, dass er fast ein Niemand war, behauptete der Forscher von der Universität Kyoto geradezu Ungeheures. Ihm und seinen Mitarbeitern sei es geglückt, ausgereifte Hautzellen von Mäusen wieder in quasi embryonale, pluripotente Stammzellen zurückzuverwandeln. Und damit in Zellen, die sich in so gut wie alle Gewebearten entwickeln konnten.

Aus alt mach neu – Yamanaka hatte einen Jungbrunnen für kranke oder verbrauchte Organe erschaffen. Dafür bekommt der gerade 50-Jährige am 10. Dezember in Stockholm den Nobelpreis für Medizin überreicht. Die Preissumme in Höhe von 930 000 Euro teilt er sich mit John Gurdon von der Universität Cambridge in Großbritannien. Der heute 79-Jährige Biologe Gurdon hatte 1958 und 1962 erstmals Frösche geklont und damit den Beweis geliefert, dass Leben keine Einbahnstraße von der universalen Urzelle hin zu spezialisierten Organen und Gewebearten ist. Auch der Weg zurück ist möglich. Wiewohl es Jahrzehnte brauchte, ihn zu erforschen.

Yamanakas Durchbruch stieß zunächst auf Skepsis. Und das nicht zuletzt deshalb, weil kurz zuvor der prominente koreanische Stammzellforscher Hwang Woo-suk von der Seoul National University als Betrüger aufgeflogen war. Wissenschaftler, Ärzte und Patienten hatten große Hoffnungen auf Hwang gesetzt, weil es ihm angeblich gelungen war, menschliche embryonale Stammzellen von Patienten zu klonen. Aber die Ergebnisse Hwangs, der sich ausgiebig feiern ließ und in Korea schon fast ein Nationalheld war, waren gefälscht, der Tierarzt wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Die wegen des Gebrauchs menschlicher Embryonen stark umstrittene Stammzellforschung rutschte mehr und mehr in die Krise.

Dass in dieser prekären Situation ein Japaner namens Yamanaka behauptete, menschliche embryonale Stammzellen züchten zu können, ohne auf Embryonen zurückgreifen zu müssen, schien fast zu schön, um wahr zu sein. Aber den führenden Stammzell-Laboren, die seine Experimente „nachkochten“ oder erweiterten, bestätigten den stets bescheiden auftretenden Yamanaka. Wie sich herausstellte, funktionierte die Yamanaka-Methode nicht nur bei der Maus, sondern auch beim Menschen. „Er hat die Stammzellforschung elektrisiert“, sagt Rudolf Jaenisch, der am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge/USA auf dem Gebiet forscht.

Entwicklung ist keine Einbahnstraße. Die bahnbrechenden Experimente der nun ausgezeichneten Wissenschaftler.
Entwicklung ist keine Einbahnstraße. Die bahnbrechenden Experimente der nun ausgezeichneten Wissenschaftler.
© Nobel-Komitee/dpa/TSP

Um sich klarzumachen, wie groß der Schritt Yamanakas war, ist ein Blick in die Geschichte des Klonens hilfreich. John Gurdon, der Pionier, benutzte vor einem halben Jahrhundert Eizellen von Fröschen. Er entfernte ihre Kerne und ersetzte diese durch Zellkerne aus Kaulquappen. Die Eizellen entwickelten sich dennoch in vielen Fällen zu Fröschen. Demnach war es möglich, beliebig viele genetisch gleiche Frösche zu erzeugen, also zu klonen.

Jahrzehntelang blieb Gurdons Klonexperiment ohne nennenswerte Nachfolge. Bis 1996 die Stunde von Ian Wilmut und seinem Mitarbeiter Keith Campbell schlug. Die Wissenschaftler vom Roslin-Institut nahe dem schottischen Edinburgh klonten das weltberühmte Schaf „Dolly“ aus einer Hautzelle. Ein Experiment, für das immerhin 277 Eizellen verbraucht wurden und das der Stammzell-Forschung wesentliche Impulse gab. Auf Dolly folgten etliche weitere Säugetiere. Eigentlich hätte also um Ian Wilmut als drittem im Bunde der diesjährigen Medizin-Nobelpreisträger kein Weg herum geführt. Möglicherweise schreckte aber die heftige Kritik ehemaliger Mitarbeiter an Wilmut das Nobelpreis-Komitee ab. Wilmuts Kollegen bezweifelten seine Kompetenz und er selbst gab zu, dass zwei Drittel des Klonerfolgs auf Keith Campbell zurückging. Den Preisträgern gratulierte Wilmut lediglich in dürren Worten auf der Webseite seines Instituts, für eine weitere Stellungnahme war er nicht zu erreichen.

Shinya Yamanaka.
Shinya Yamanaka.
© REUTERS

Eine menschliche Körperzelle mit ihrem doppelten Chromosomensatz enthält gut 40 000 Erbanlagen. „Von diesen Genen werden etwa 80 Prozent nicht benötigt“, erläutert der Stammzellforscher Jürgen Hescheler von der Universität Köln. Die überflüssigen Gene werden abgeschaltet, indem sie biochemisch markiert werden. Meist werden sie durch das Andocken einer Methylgruppe, einer einfachen Kohlenstoffverbindung, stillgelegt. Diese Methylierung gleicht einer Bleistiftnotiz: Sie ist nicht unumkehrbar, sondern einfach „wegzuradieren“.

Den universalen „Radiergummi“ für die Markierungen auf der Erbsubstanz besitzt der Zellsaft der Eizelle. Ihre Erbinformation ist daher weitgehend frei von Methylierungen. Am Beginn eines Lebens werden die Methyl-Spuren auf der elterlichen Erbinformation getilgt. So war es möglich, dass die Hautzelle, aus der Dolly entstand, wieder zu einer Zelle mit vollem Lebenspotenzial wurde.

John Gurdon.
John Gurdon.
© Reuters

Yamanakas genialer Schachzug bestand darin, die Ent-Methylierung in der Eizelle mit Hilfe einer genetischen Veränderung nachzuahmen. Er hatte 24 Gene in Verdacht, die für die Rückprogrammierung einer ausgereiften Körperzelle in Frage kamen. Eine Erbanlage nach der anderen schied in seinem bahnbrechenden Experiment aus, bis die vier „Yamanaka-Gene“ übrig blieben, genannt Oct3/4, Sox2, c-Myc und Klf4. Um sie in die Zellen zu schleusen, benutzte er gentechnisch veränderte Viren. Seine Erfolgsquote war zunächst nicht berauschend. Nur etwa eine von 5000 Zellen wurde erfolgreich „verjüngt“.

Dennoch verdankt die Welt dem Mediziner einen neuen Typ Stammzellen. Die von ihm kreierten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) haben zwei wesentliche Vorteile. Anders als beim Erzeugen menschlicher embryonaler Stammzellen werden keine weiblichen Eizellen oder Embryonen benötigt. Zudem werden sie nicht abgestoßen, weil sie von dem Patienten selbst gewonnen werden können. Auf der anderen Seite ist es trotz großer Fortschritte in den letzten Jahren noch immer teuer, genügend iPS-Zellen herzustellen. Auch ein Tumorrisiko durch iPS-Zellen ist nicht völlig ausgeräumt.

Schon heute werden iPS-Zellen verwendet, um das Entstehen von Krankheiten zu studieren. Der Kölner Biologe Hescheler etwa erforscht Herzmuskelzellen von Menschen mit angeborenen Herzrhythmusstörungen. Aber der künftige Hauptnutzen könnte darin liegen, krankes oder zerstörtes Gewebe zu ersetzen. Zum Beispiel nach Herzinfarkt, bei Parkinson, Diabetes, Leberleiden, Hautkrankheiten und Knorpeldefekten. Das Spektrum denkbarer Therapien ist groß, auch wenn Forscher vor zu hohen und vorschnellen Erwartungen warnen.

Immerhin, schon 2013 sollen in Japan erste Versuche mit iPS-Zellen bei Patienten mit Netzhautleiden starten. Das Land ist Vorreiter, Yamanakas Arbeit wird großzügig unterstützt. Der Wissenschaftler verfolgt ehrgeizige Pläne. Er will bis 2020 eine Stammzell-Bank mit 75 iPS-Zell-Linien anlegen. Diese Stammzellen aus Nabelschnurblut sollen ausreichen, um 80 Prozent der Bevölkerung mit Ersatzgewebe zu versorgen. Damit wäre es nicht mehr erforderlich, für jeden Patienten von Neuem Zellen zu züchten. Man könnte einfach auf eine passende Zell-Linie zurückgreifen. Wenn Yamanakas Plan aufgeht, ist das fast einen zweiten Nobelpreis wert.

Mitarbeit: Jana Schlütter

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