200 Jahre Parkinsonsche Erkrankung: Ein Hauttest ermöglicht eine frühe Diagnose von Parkinson
Vor 200 Jahren wurde die Schüttellähmung erstmals beschrieben, die Ursache ist erkannt, aber eine Heilung steht aus.
„Neurodegenerativ“ ist ein Fachwort, hinter dem sich menschliche Dramen verbergen. Es bezeichnet Abbauprozesse im Gehirn, die heute noch nicht rückgängig gemacht oder auch nur wirksam gestoppt werden können. Alzheimer ist die zahlenmäßig häufigste dieser Krankheiten, gefolgt von der Parkinson-Krankheit, an der weltweit über vier Millionen Menschen betroffen sind, darunter rund 220 000 in Deutschland. Ihren Namen hat sie vom englischen Arzt James Parkinson (1755–1825), der die schleichenden Veränderungen bei der „Shaking Palsy“ (Schüttellähmung) vor 200 Jahren erstmals detailliert beschrieb: Bewegungen werden langsamer, steifer und zögerlicher, unter Umständen auch zittriger, Schritte und Schriftzüge fallen kleiner aus, die Gesichtszüge werden unbeweglicher.
Der Zerfall zeigt sich erst nach dem Tod
Seitdem ist das Wissen über den „Morbus Parkinson“ immens gestiegen. Ursache ist das Absterben von Zellen der schwarzen Substanz (Substantia Nigra) im Gehirn. Sie produzieren den Botenstoff Dopamin, den das Gehirn unter anderem braucht, um Bewegungen zu steuern. Seit dem Jahr 1967 gibt es die Behandlung mit Levo-Dopa, das den fehlenden Botenstoff ersetzt und den Krankheitsverlauf mildert, wenn auch nicht heilt.
Mindestens in einer Beziehung allerdings ist man seitdem noch nicht viel weitergekommen. „Wir haben bis heute keinen Test, mit dem die Diagnose zweifelsfrei zu stellen wäre“, sagt Jens Volkmann, Direktor der Neurologischen Klinik der Uni Würzburg und Erster Vorsitzender der Deutschen Parkinson Gesellschaft. Zwar entsteht beim Abbau der Nervenzellen eine charakteristische Art von Müll. Doch diese Lewy-Körperchen, die das verklumpte Eiweiß Alpha-Synuclein in hoher Konzentration enthalten, und die abgestorbenen Dopamin-Zellen befinden sich im Gehirn und lassen sich nur nach dem Tod bei einer Autopsie nachweisen.
Spuren des Nerventods in der Haut
Die Diagnose stützt sich deshalb auch heute noch vorwiegend auf das Erscheinungsbild des Patienten, und sie ergibt sich ganz pragmatisch aus der Tatsache, dass Medikamente wie Levo-Dopa ihm helfen. Sie ist damit nicht nur mit einem letzten Rest von Unsicherheit behaftet, sie kommt zudem auch reichlich spät. Wenn die ersten Bewegungsstörungen die Betroffenen nötigen, zum Arzt zu gehen, ist in ihrem Gehirn meist bereits die Hälfte der Nervenzellen abgestorben, die Dopamin produzieren. „Der Erkrankungsprozess läuft dann geschätzt bereits zehn Jahre“, erklärt Volkmann. Um Nervenzellen zu schützen, würden die Neurologen gern weit früher eingreifen.
Deshalb erregte die Studie eines Teams von Forschern der Unis in Würzburg und Marburg weltweit Aufsehen, die vor wenigen Wochen in der Fachzeitschrift „Acta Neuropathologica“ veröffentlicht wurde: Sie fanden das Alpha-Synuclein bei Untersuchungen von fünf Millimeter kleinen Hautproben, die sie vom Rücken, von Oberarm und Unterschenkel genommen hatten. Dass das Abfallprodukt sich auch in der Haut ablagert, wissen die Forscher schon seit 2014. Allerdings hatten sie damals nur die Nervenfasern von Patienten unter die Lupe genommen, bei denen aufgrund ihrer Symptome schon Parkinson diagnostiziert worden war. An der aktuellen Studie nahmen aber auch Personen teil, bei denen sich erst ein möglicher Vorbote der chronischen Krankheit gemeldet hatte: Sie hatten immer wieder heftige Träume, die sie in starke motorische Unruhe versetzten.
Rund 85 Prozent derjenigen, die in den nächtlichen REM-Schlaf-Phasen diesen „Gewaltschlaf“ haben, müssen innerhalb der nächsten 15 bis 20 Jahre mit der Diagnose Parkinson rechnen. Der Hauttest verschafft offensichtlich mehr Klarheit darüber, ob sich eine Person mit einer solchen Schlafstörung schon in einem ganz frühen Stadium der Erkrankung befindet, von Medizinern als Prodromalstadium bezeichnet. „Was man im Gehirn erwarten würde, kann man in der Haut nachweisen“, sagt Volkmann.
Die Diagnose allein verbessert nicht die Therapie
Die Neurologen plädieren nun aber keineswegs dafür, den Hauttest der gesamten Bevölkerung als Screening anzubieten. Denn erstens ist ein negatives Ergebnis noch nicht aussagekräftig genug, um als Beruhigung dienen zu können. Ein positives Ergebnis wiederum wäre, wie Volkmann sagt, „eher geeignet, Menschen Sorgen zu machen“. Denn aus dem Wissen folgt derzeit noch kein Handeln.
Die Behandlung, wie sie erst im letzten Jahr in einer S3-Leitlinie der Fachgesellschaft niedergelegt wurde, richtet sich weiterhin gegen schon vorhandene Symptome und nimmt Einfluss auf den Botenstoff Dopamin und andere Teilsysteme im Gehirn. Raffinierter sind hier vor allem die Darreichungsformen geworden, mit denen eine gleichmäßige Versorgung möglich ist. Dazu kommt in einigen Fällen die „Tiefe Hirnstimulation“, bei der Elektroden im Hirn die Nervenzellen unterstützen. Außerdem sind die Wirksamkeit von Bewegung, gezielter Physiotherapie und Logopädie gegen die Sprachstörungen inzwischen durch Studien abgesichert.
„In Deutschland und international stehen derzeit aber auch mehrere innovative Therapieansätze in klinischen Studien auf dem Prüfstand, die Parkinson an der Wurzel packen sollen“, sagt Daniela Berg, Direktorin der Klinik für Neurologie an der Universität Kiel. Das wiederum macht auch die Hauttests interessant. Denn mit ihnen lässt sich ein Verdacht erhärten, der aufgrund der Schlafstörungen oder anderer Parkinson-Symptome wie Riechstörungen aufgekommen ist: Wird bei diesen Menschen mit erhöhtem Risiko auch Alpha-Synuclein in den Nervenfasern der Haut nachgewiesen, könnte man ihnen viel früher als bisher die Teilnahme an Studien anbieten, in denen neue Arzneimittel getestet werden, die den Verlauf aufhalten sollen.
Impfung gegen Parkinson
Dazu gehören Antikörper, die als „Impfstoffe“ dienen. „Wir wissen heute, dass an Parkinson erkrankte Nervenzellen andere Zellen anstecken können, wodurch sich die Krankheit nach und nach im gesamten Nervensystem ausbreitet“, erläutert Berg. Ein Phänomen, das von Prionen-Krankheiten wie dem „Rinderwahn“ BSE bekannt ist. Zwei Studien mit passiven Antikörpern, die das Alpha-Synuclein attackieren, sind derzeit in Deutschland in Vorbereitung.
Ein zweiter Ansatz richtet sich gegen ein Zuviel an Eisen in bestimmten Hirnregionen. Es scheint beim Untergang der Nervenzellen als Verstärker zu wirken. Deshalb versuchen Forscher, das Eisen gezielt mit Medikamenten zu binden und damit unschädlich zu machen.
Rund sieben Prozent der Parkinson-Erkrankungen werden durch Veränderungen in jeweils einem einzelnen Gen ausgelöst. Bei einigen Patienten handelt es sich dabei um Gene, die für die Mitochondrien, den Energieapparat der Zellen, bedeutsam sind. „Diese Patienten können wir gezielt mit Substanzen behandeln, die diesen Stoffwechsel stärken“, sagt Berg. Die Neurologin hofft, mit solchen Ansätzen auch Menschen helfen zu können, bei denen Veränderungen in mehreren Genen vorliegen. Sie möchte Parkinson an der Wurzel packen – auch wenn die Schüttellähmung wahrscheinlich mehr als nur eine hat.