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Die Gen-Schere Crispr/Cas9 (rot) kann gezielt die DNA (blau) verändern.
© MIT News
Update

Erfolg mit Crispr-Schere bei Blutkrankheiten: Neue Gentherapie heilt erstmals Patientinnen

Es ist ein Meilenstein der Medizin: Erstmals sind mit „Crispr“ zwei Patientinnen mit Blutkrankheiten kuriert worden. Eine davon in Regensburg.

Zum ersten Mal ist es Ärzten offenbar gelungen, mit der Gen-Schere "CRISPR/Cas9" gleich zwei Patientinnen mit zwei unterschiedlichen genetischen Erkrankungen zu heilen: Beta-Thalassämie und Sichelzellanämie. Es wäre ein medizinischer Meilenstein.

Bei beiden Krankheiten ist die Herstellung des Blutfarbstoffs Hämoglobin gestört, beide konnten bislang nur mit häufigen Bluttransfusionen behandelt werden, die lebensverkürzende Nebenwirkungen haben. Seit der Behandlung mit der Crispr-Technik kommen die zwei Patientinnen seit Monaten ohne Bluttransfusionen aus.

Die Meldung erschien zuerst im Bostoner Online-Magazin STAT, das sich auf Unterlagen beruft, die es nach eigenen Angaben vertraulich von den beiden Biotech-Firmen Vertex Pharmaceuticals und Crispr Therapeutics bekommen hatte. Diese haben die Therapien entwickelt. Die Studie, in deren Rahmen die Behandlungen stattfanden, ist noch nicht abgeschlossen, die Ergebnisse wurden noch nicht unabhängig überprüft.

Die 20-jährige deutsche Patientin wurde am Universitätsklinikum Regensburg von dem Kinderarzt und Thalassämie-Experten Selim Corbacioglu behandelt. Bislang hatte die Frau etwa 16 Bluttransfusionen pro Jahr erhalten und litt unter den Folgen der Krankheit und der Therapie.

"Die ständigen Transfusionen verlangen den Patienten viel Disziplin ab, die Anreicherung von Eisen im Körper zerstört allmählich die Organe, sie wachsen nicht gut und entwickeln Probleme mit dem Herzen, woran sie schließlich versterben", beschreibt Corbacioglu gegenüber dem Tagesspiegel das Leben mit der Erbkrankheit. Nur selten werden Patienten älter als 50 Jahre.

Die Patientin stimmte, in der Hoffnung auf echte Heilung, der experimentellen Behandlungsmethode zu, entwickelt von der Firma Crispr Therapeutics. Diese wurde gegründet von einer der Erfinderinnen der Crispr-Technik, Emmanuelle Charpentier: "Ich bin sehr glücklich, dass Crispr-basierte Gentherapien nach einer einzigen Behandlung einen heilsamen Effekt für Patienten mit Beta-Thalassämie und Sichelzellanämie haben", sagte die Mikrobiologin und Direktorin der Berliner Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene dem Tagesspiegel. Die Technologie in eine Therapie übersetzt zu haben, sei aber nicht ihr Verdienst, sondern jener der Mitgründer Rodger Novak und Samarth Kulkami und der Mitarbeiter des Unternehmens.

Rote Blutkörperchen (rot) können sich aufgrund einer Mutation zu Sichelzellen (hier grün markiert) verformen. Eine Gentherapie mit der Gen-Schere Crispr/Cas9 kann das jetzt offenbar korrigieren.
Rote Blutkörperchen (rot) können sich aufgrund einer Mutation zu Sichelzellen (hier grün markiert) verformen. Eine Gentherapie mit der Gen-Schere Crispr/Cas9 kann das jetzt offenbar korrigieren.
© Mauritius

Insgesamt 45 Patienten sollen im Rahmen einer internationalen Studie insgesamt therapiert werden. Bei vielen von ihnen hat die Behandlung aber noch nicht einmal begonnen. Als Grund, trotzdem schon jetzt an die Öffentlichkeit gegangen zu sein, nennt Rodger Novak, Präsident von Crispr Therapeutics, freimütig den "Druck der Analysten" auf das börsennotierte Unternehmen Crispr Therapeutics. Man habe "Klarheit" schaffen wollen, dass Genomeditierung mit Crispr eine gute Alternative zu den klassischen Gentherapien sei.

Der vorläufige Name der Therapie lautet "CTX001". Es ist eine spezielle Variante der Gen-Schere, die in die blutbildenden Zellen der Patientin geschleust wird. Das passiert außerhalb des Körpers: Die Zellen werden der Patientin aus dem Knochenmark entnommen. Dann werden sie für einen Bruchteil von Sekunden unter Strom gesetzt, woraufhin sich in der Zellhülle Poren öffnen und die Gen-Schere hineinschlüpfen kann.

Sie gelangt in den Zellkern zum Erbgut und tut dann, wofür sie programmiert ist: die DNA an einer ganz bestimmten Stelle zu zerschneiden. Dann werden die veränderten blutbildenden Zellen dem Patienten wieder zurückgegeben. Dessen eigene, defekte Knochenmarkzellen werden davor mit Hilfe des Medikaments Busulfan beseitigt, um Platz für die neuen, veränderten Zellen zu machen – eine klassische Form der Chemotherapie bei Knochenmarktransplantationen.

Statt Reparatur: Bewährtes reaktivieren

Allerdings repariert CTX001 nicht etwa die defekten Gene, die Beta-Thalassämie auslösen. Die Schere reaktiviert vielmehr ein Gen, das ebenfalls Hämoglobin produziert, allerding nur während der Entwicklung im Mutterleib. Kurz nach der Geburt wird es abgeschaltet. Danach produzieren nur noch die Gene für „erwachsenes“ Hämoglobin den Blutfarbstoff. Bei Beta-Thalassämie oder Sichelzellanämie sind diese allerdings defekt.

Statt die defekten Gene zu reparieren, aktiviert die Gen-Schere CTX001 dieses fetale Hämoglobin-Gen, indem sie jenes Gen zerschneidet, das das Stoppsignal für das fetale Hämoglobin-Gen produziert. Schon etwa 25 Prozent dieses fetalen Blutfarbstoffs würden ausreichen, um die Betroffene von Bluttransfusionen unabhängig zu machen.

Bei der Regensburger Patientin stellte Corbacioglu neun Monate nach der einmaligen Behandlung fest, dass 99,8 Prozent der roten Blutkörperchen fetales Hämoglobin trugen. Bluttransfusionen waren nicht mehr nötig. Das Leben der Patientin habe sich "dramatisch" verbessert, sagte Corbacioglu dem Tagesspiegel. "Man kann sie zumindest zum jetzigen Zeitpunkt als geheilt betrachten." Zwar könne man kann noch nicht sagen, ob die Therapie für immer wirkt oder ob sie Nebenwirkungen hat. "Entscheidend ist, dass sich jetzt zeigt, dass mit Crispr viele viele genetische Krankheiten prinzipiell geheilt werden können", sagt Corbacioglu, obwohl man natürlich noch mehr Erfahrungen sammeln und mehr Patienten einschließen müsse.

Momentan bereite sein Team fünf weitere Thalassämie-Patienten für die Therapie vor. Zudem würden in Regensburg, dem einzigen Zentrum für die Behandlung von Sichelzellerkrankungen deutschlandweit, vier Patienten mit Sichelzellanämie mit CTX001 behandelt.

Dass auch das funktionieren könnte, zeigt die erfolgreiche Behandlung der zweiten Patientin – Victoria Gray, einer Mutter von vier Kindern. Ihre Sichelzellanämie wurde von Haydar Frangoul am Sarah Cannon Forschungsinstitut in Nashville mit CTX001 behandelt. 47 Prozent ihrer Zellen tragen jetzt fetales Hämoglobin und auch sie kann ohne Bluttransfusionen leben. Und auch ohne die Schmerzen. Die werden von den deformierten Zellen ausgelöst, wenn sie Blutgefäße verstopfen. Bis zu dreimal pro Jahr musste sie deshalb stationär behandelt werden.

Konkurrenz jenseits von Crispr

Crispr Therapeutics ist nicht die einzige Firma, die Gentherapien gegen Thalassämie und Sichelzellanämie entwickelt. Erst kürzlich hat Bluebird Bio eine Zulassung für "Zynteglo" bekommen. Dabei wird das defekte Beta-Hämoglobin-bildende Gen durch das eine intakte Kopie ersetzt, das mit Hilfe von entschärften HI-Viren (Lentiviren) ins Erbgut eingeschleust wird.

Dass die Crispr-Therapie ohne Viren auskommt, hält Novak für einen großen Vorteil: "Lentiviren produzieren pro Zelle zwei bis drei Mutationen." Das könne dazu führen, dass Krebs entsteht. Zwar könne auch die Gen-Schere statt an der gewünschten Stelle versehentlich auch anderswo ("off target") im Erbgut schneiden. Doch das passiere "nur mit einer Wahrscheinlichkeit von einer Mutation in vielleicht zehntausend Zellen", sagt Novak. "Daher sehen wir die Sicherheit unseres Produktes als höher an."

Bei einer Veranstaltung des Tagesspiegels zum Thema "Korrektur des Erbguts durch Gentherapie: ein Paradigmenwechsel in der Medizin?" nannte Andreas Kulozik, Direktor der Klinisch Pädiatrischen Onkologie am Hopp-Kindertumorzentrum der Uniklinik Heidelberg Zynteglo einen "Gamechanger": "Erstmals besteht die Möglichkeit, eine Heilung zu erreichen."

Zwei Patienten hat der Arzt bereits mit der Gentherapie Zynteglo behandelt. "Der eine Patient ist seitdem transfusionsunabhängig, die zweite Patientin benötigte binnen eines Jahres nach Therapie nur noch drei Transfusionen, hat also eine deutliche Reduzierung erreicht", sagte Kulozik.

Allerdings funktionieren die Gentherapien nicht bei allen Patienten. Bei Zynteglo waren 80 Prozent der insgesamt 32 behandelten Thalassämie-Patienten mindestens zwei, maximal fünf Jahre frei von Bluttransfusionen. Warum die Therapie bei einigen Patienten nicht funktionierte, ist offen. Es könnte damit zusammenhängen, dass das Gen an einem Ort im Erbgut gelandet ist, wo es nicht ausreichend gut aktiv werden kann. Oder zu wenige der veränderten blutbildenden Zellen sind im Knochenmark der Patienten angewachsen. Das müssen künftige Untersuchungen zeigen.

Ob die CTX001-Therapie von Crispr Therapeutics und Vertex Pharmaceuticals allen Patienten helfen wird, wird sich zeigen – wenn alle Daten vorliegen, auch über Nebenwirkungen. Und auch, ob es besser für Patienten ist, ein "Ersatzgen" ins Erbgut eingesetzt zu bekommen oder das Erbgut direkt mit einer Gen-Schere zu verändern.

Winzige Gen-Schere, riesige Kosten

Ob die Behandlungen dann erschwinglich sind, ist eine andere Frage. Wie teuer die Gen-Scheren-Therapie CTX001 sein werde, wenn sie erst zugelassen ist, dazu wollte sich Rodger Novak noch nicht äußern: „Ich kann keine Zahl nennen.“ Dass es nicht wenig sein wird, ergibt sich allerdings schon aus der Tatsache, dass „Zynteglo“ voraussichtlich etwa 1,6 Millionen Euro pro Patient kosten wird. Zwar gibt es in Deutschland nicht viele Patienten mit Beta-Thalassämie oder Sichelzellanämie. Doch mit dem Erfolg dieser und anderer Gentherapien, etwa gegen Krebs, stellt sich auch Novak die Frage, „wie sich die Gesundheitssysteme das überhaupt werden leisten können“.

In der Kosten-Nutzen-Kalkulation müssten aber auch die hohen Kosten berücksichtigt werden, die schon jetzt und über Jahrzehnte für die Behandlung von chronischen, mit großen Schmerzen und viele Organe in Mitleidenschaft ziehenden Erkrankungen wie Sichelzellanämie und Thalassämie verbunden sind, sagt Selim Corbacioglu. Auf Seiten des Erstattungssystems müsse es dazu kommen, „dass man einen Basispreis verhandelt und dann nach ein, zwei oder fünf Jahren Meilensteinzahlungen verabredet“, meint Novak. Bezahlt wird dann nur, wenn die Therapie erfolgreich ist.

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