Millionenschwere Heilung: Ist die Gesellschaft bereit für Gentherapien?
Sie könnten Kranke für immer gesund machen. Doch bislang sind Gentherapien so teuer, dass sie die Gesundheitssysteme herausfordern.
Oft ist es nur ein einziger falsch gesetzter Baustein im Erbgut, der über Wohl und Wehe eines Menschen entscheidet: Ein gesundes Leben mit ausreichend Blutzellen voller rotem, Sauerstoff transportierendem Blutfarbstoff. Oder eines mit Blutarmut und ständigen organschädigenden und lebensverkürzenden Transfusionen. Die Beta-Thalassämie ist in Deutschland eine seltene, durch einen Defekt im Hämoglobin-Gen ausgelöste Erkrankung, die unbehandelt noch im Kindesalter zum Tod führt.
Bislang bestand die einzige Therapie in Bluttransfusionen, etwa alle drei Wochen, ein Leben lang. Zwar lässt sich damit das Leben der Patienten retten, allerdings zum Preis schleichenden Vergiftung: Die ständigen Bluttransfusionen überladen den Körper mit Eisen. „Die Patienten haben eine Lebenserwartung von etwa 40 bis 50 Jahren“, sagte Andreas Kulozik, Direktor der Klinisch Pädiatrischen Onkologie am Hopp-Kindertumorzentrum der Uniklinik Heidelberg bei einer Veranstaltung des Tagesspiegels zum Thema „Korrektur des Erbguts durch Gentherapie: ein Paradigmenwechsel in der Medizin?“.
Inzwischen gibt es für Beta-Thalassämie-Patienten, für die keine Option eines Austauschs der blutbildenden Knochenmarkszellen besteht, eine Behandlungsalternative, die Kulozik als „Gamechanger“ bezeichnet. „Erstmals besteht die Möglichkeit, eine Heilung zu erreichen.“ Zwei Patienten hat der Arzt bereits mit der Gentherapie Zynteglo behandelt.
Dabei werden die blutbildenden Zellen des Patienten mit einer intakten Kopie des defekten Gens ausgestattet. „Der eine Patient ist seitdem transfusionsunabhängig, die zweite Patientin benötigte binnen eines Jahres nach Therapie nur noch drei Transfusionen, hat also eine deutliche Reduzierung erreicht“, sagt Kulozik. Er plädiert dafür, „einen politischen Prozess in Gang zu setzen, um dieser relativ kleinen Gruppe von Patienten den Zugang zu dieser Behandlung zu ermöglichen“.
Immer mehr Gentherapien, immer höhere Kosten
Denn angesichts des Preises dieser und anderer Gentherapien, ist eine Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen eher keine Selbstverständlichkeit. Noch ist für Zynteglo, erst im Juni 2019 von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA zugelassen, kein Preis festgelegt worden, er dürfte jedoch bei schätzungsweise 1,6 Millionen Euro liegen. Und das ist kein Ausreißer, sondern eher die Regel bei den als „kurativ“, also potentiell heilend eingestuften genbasierten Behandlungen. So verlangt der Schweizer Pharmakonzern Novartis für Zolgensma, eine Gentherapie gegen eine bestimmte Form des Muskelschwundes, sogar zwei Millionen Dollar in den USA.
Einerseits kann der Bundestagsabgeordnete Erwin Rüddel (CDU) nachvollziehen, dass der Preis berücksichtigen muss, dass solche Gentherapien „ein Leben lang funktionieren“. Die teure einmalige Behandlung könnte also günstiger sein, als einen Patienten Jahrzehntelang mit teuren, gegen die Eisenvergiftung gerichteten Medikamenten und hunderten von Bluttransfusionen zu versorgen. Doch bislang sei das Gesundheitssystem „darauf noch nicht vorbereitet“. „Dass Patienten geheilt werden können ist wunderbar, macht aber die Preisfestsetzung kompliziert“, sagte Rüddel, Mitglied des Gesundheitsausschusses des Bundestages.
„Auf der einen Seite stehen hohe Entwicklungskosten und wenig Patienten und auf der anderen Seite ein Gesundheitssystem, dem finanzielle Grenzen gesetzt sind.“ Rüddel forderte die Unternehmen und die Selbstverwaltung, also alle am Gesundheitssystem Beteiligten, auf, „die Preise so festzusetzen, dass die Technologie auch bei den Menschen ankommt.“ Er räumte ein, dass es dafür „neue Finanzierungsmodelle“ brauche. „Interessant finde ich die Idee, die Therapie in Raten zu zahlen, solange die Behandlung funktioniert.“
Bezahlung nur bei Erfolg? Ja, aber dafür müsste das System angepasst werden
Bislang sei das System aber eher darauf ausgerichtet, die Behandlung chronischer Erkrankungen regelmäßig zu bezahlen als einmal Heilung, sagte der Obmann des Gesundheitsausschusses des Bundestags und Arzt Andrew Ullmann (FDP). „Hier müssen wir Lösungen finden.“ Zuvor müsse jedoch dafür gesorgt werden, dass ausreichend Informationen über die Wirksamkeit der Gentherapien gesammelt werde. Wenn diese Evidenz aufgrund der geringen Anzahl von Patienten bei seltenen Erkrankungen zum Zeitpunkt der Zulassung nicht erbracht werden könne, dann müssten die Daten, etwa über Nebenwirkungen, eben in Registern gesammelt werden.
Dem stimmte Martin Kluxen, Leiter des Kompetenzzentrums Medizin im Verband der Ersatzkassen zu: „Patientenschutz hat höchste Priorität.“ Deshalb sollten Gentherapien auch nur an spezialisierten Zentren durchgeführt werden dürfen. Welche Kliniken dafür geeignet sind, müsse bald und in einem fairen Prozess, gegebenenfalls auch auf Länderebene, festgelegt werden.
Ihr Unternehmen sei zur Ratenzahlung durchaus bereit, sagte Susanne Digel, Geschäftsführerin von bluebird bio, dem Hersteller der Zynteglo-Gentherapie gegen Beta-Thalassämie und Sponsor der Veranstaltung. Doch derzeit sei Ratenzahlung technisch nicht möglich. Die Zuweisung der Geldflüsse aus dem Gesundheitsfonds sei darauf nicht eingestellt. Auch eine Bezahlung, die nur erfolgt, wenn das Präparat funktioniert, sei akzeptabel. „Es müssen nur endlich die Voraussetzungen dafür geschaffen werden“.