Neuer Campus der Deutsch-Türkischen Uni: Merkel erinnert Erdogan an die Wissenschaftsfreiheit
In Istanbul wird der Campus der Türkisch-Deutschen Universität gefeiert – mit kritischen Zwischentönen von deutscher Seite. Es geht um Wissenschaftsfreiheit.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat bei einem Besuch in der Türkei mehr gesellschaftliche Freiheit gerade an Hochschulen und in der Forschung angemahnt. "Je größer die wissenschaftliche Freiheit ist, desto größer ist auch der wissenschaftliche Ertrag", sagte Merkel am Freitag in Istanbul bei der Eröffnung des Campus der Türkisch-Deutschen Universität mit Präsident Recep Tayyip Erdogan.
Tausende Wissenschaftler sind entlassen worden
Sie selbst habe in der DDR erlebt, wie mangelnde Freiheit die Wissenschaft behindere. Hintergrund ist die restriktive Innenpolitik Erdogans gegenüber Medien, Wissenschaftlern und der Zivilgesellschaft. Auch Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) mahnte: "Für den Erfolg der Universität wird wichtig sein, dass an ihr Wissenschaftsfreiheit und Redefreiheit herrschen." Ein kritischer Dialog sei "der Kern und die Voraussetzung für Wissenschaft", teilte Karliczek am Freitag mit.
Gegründet wurde die Türkisch-Deutsche Universität (TDU) bereits 2008 auf Basis eines bilateralen Regierungsabkommens. Die TDU ist eine staatliche türkische Einrichtung, in einem Konsortium beteiligt sind aber auch 38 deutsche Hochschulen. So hat jeweils eine deutsche Uni die Koordination für eine der fünf Fakultäten der TDU übernommen, die Freie Universität Berlin etwa für die Rechtswissenschaftliche Fakultät. Im Herbst 2013 startete der Lehrbetrieb, jetzt wurde der Campus in Istanbul fertiggestellt.
Die Mahnung der Kanzlerin in Anwesenheit Erdogans fällt in eine Zeit, in der noch immer viele Tausend türkische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ihren Universitäten ausgeschlossen sind. Seit dem Putschversuch im Juli 2016 geht das Erdogan-Regime massiv gegen die Wissenschaft vor - mit Verhören, Entlassungen, Prozessen und Inhaftierungen. Viele mussten ins Exil gehen, darunter auch nach Berlin.
Im Frühjahr 2018 war es erneut zu einer Verhaftungswelle gegen Studierende der Bogaziçi-Universität in Istanbul gekommen. Sie hatten gegen die Besetzung der nordsyrischen Stadt Afrin durch das türkische Militär protestiert.
Kürzlich beschrieb die Organisation Scholars at Risk (SAR) die Türkei in ihrem Jahresbericht für 2019 als eines der Länder, in denen die Wissenschaftsfreiheit weltweit am stärksten gefährdet sei. Schon im vierten Jahr in Folge sei ein Anstieg der Gewalt gegen die scientific community zu verzeichnen. Wer eine kritische Petition unterzeichne oder sich mit Leuten zeige, die bereits in Ungnade gefallen sind, würde schnell zum Verräter erklärt, hieß es.
Betroffen war auch die Türkisch-Deutsche Universität. Im Sommer 2016 wurden an der TDU zwei hauptamtliche und drei kommissarische Dekane suspendiert. Der bis heute amtierende TDU-Rektor Halil Akkanat verteidigte indes das Vorgehen Erdogans gegen die Wissenschaft. Die deutschen Partner kritisierte Akkanat damals: Sie hätten nach dem Putschversuch einseitig die Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit kritisiert, anstatt auf das „Trauma“ des Putschversuches mit den vielen Toten einzugehen.
Rita Süssmuth als Präsidentin des deutschen Hochschulkonsortiums hoffte damals, "dass der gute Geist, der den Aufbau der Uni bisher begleitet hat, bald zurückkehren wird". Es lohne sich, "hier eine sehr gute Forschungsuniversität weiterzuentwickeln".
"Auch in schwierigen Zeiten Brücken bauen"
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) haben die TDU seit 2008 mit bislang rund 28 Millionen Euro gefördert. Das gemeinsame Ziel mit der türkischen Seite: Auf dem im Istanbuler Stadtteil Beykoz fertiggestellten TDU-Campus sollen einmal 5000 Studierende "lernen und forschen", wie der DAAD mitteilte. Aktuell seien es rund 2500.
DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee betonte am Freitag die "lange und gute Tradition" der deutsch-türkischen Beziehungen. Die TDU sei ein "Leuchtturmprojekt" für den weiteren Ausbau der Verbindungen zwischen beiden Ländern.
Zur Frage der Wissenschaftsfreiheit in der Türkei äußerte sich Mukherjee - wie kürzlich auch in einem Interview mit dem Tagesspiegel - zurückhaltend: "Natürlich sei man sich der aktuellen Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit der Türkei bewusst", wird der DAAD-Chef zitiert. "Allerdings sei es auch in schwierigen Zeiten unerlässlich, Verbindungen zu erhalten und neue Brücken zu bauen."
Bundeskanzlerin würdigte bei der Campus-Eröffnung auch, dass die Türkei während der nationalsozialistischen Zeit viele verfolgte deutsche Wissenschaftler aufgenommen habe. Diese dankten es dem Aufnahmeland, indem sie die türkische Wissenschaft mit ausbauten.
Erdogan lud deutsche Studenten ein, in der Türkei zu studieren und kündigte gemeinsame Hochschulen auch mit Japan und Italien an. (mit Reuters/dpa)