Neuer DAAD-Präsident: „Die türkischen Partner erwarten von uns, dass wir die Brücken nicht abreißen“
Joybrato Mukherjee, der neue Chef des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, über schwierige Partnerländer, Brexit-Folgen und Rassismus.
Herr Mukherjee, als neuer DAAD-Präsident sind Sie derzeit auf Vorstellungstour in Deutschland unterwegs. Reisen Sie als bekennender Scientist for Future mit der Bahn?
An einem dicht gepackten Tag wie heute ist das mit der Bahnanreise am gleichen Tag schwierig. Sie weisen generell auf einen wunden Punkt hin: Die Wissenschaft erklärt permanent, was angesichts des Klimawandels zu tun ist, aber wir selber agieren nicht immer danach. Nun ist es unser Kerngeschäft als Austauschorganisation, Mobilität zu fördern. Gleichwohl werden wir unsere eigene Reisetätigkeit und die, die wir fördern, in ganz anderer Weise als früher begründen müssen.
Sie haben das Amt in bewegten Zeiten übernommen. Der Brexit steht unmittelbar bevor, binnen eines Jahres laufen dann die Übergangsregeln etwa für Erasmusstudierende in Großbritannien aus. Es bleibt wenig Zeit, um ein Nachfolgeabkommen zu verhandeln. Sehen Sie irgendeine Chance, dass der Erasmusaustausch dennoch erhalten bleibt?
Für Deutschland ist Großbritannien ein wesentliches Partnerland in allen Bereichen der Wissenschaft. Die Brexit-Folgen haben damit nicht nur die Briten auszulöffeln, sondern auch wir. Die Politik muss eine Anschlussregelung für Erasmus und für die Partizipation Großbritanniens an den EU-Forschungsförderprogrammen priorisieren. Bei diesem Prozess, für den es durchaus einfach zu strickende Regeln geben könnte, werden wir die Politik beraten.
Meinen Sie bilaterale Abkommen wie zwischen den Universitäten von Berlin und Oxford oder München und Cambridge, bei denen man sich auf gemeinsame Forschungsprojekte einigt und Studierende austauscht?
Gefragt ist eine Lösung, die für das Gesamtverhältnis zwischen Großbritannien und allen 27 Mitgliedern der EU trägt. Es darf keine bilateralen Sonderregelungen im Sinne von Rosinenpickerei geben, die für das Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU Sprengkraft entwickeln könnten.
Die dramatische Weltlage führt auch dazu, dass Studierende und Forschende aus mehr und mehr Krisenregionen auf akademisches Asyl in Deutschland hoffen. Was tut der DAAD für diese Menschen?
Die neuen Programme, die wir in der Situation des Herbstes 2015 sehr kurzfristig aufgelegt haben, waren an vielen Hochschulstandorten erfolgreich. Mit Integra und Welcome konnten geflüchtete Studierende ihr Studium trotz der Sprachschwierigkeiten und trotz der kulturellen Barrieren schnell fortführen. Für den wissenschaftlichen Nachwuchs gab es beispielsweise Leadership for Syria. Die Idee dahinter: Wenn dieser Konflikt vorbei ist, brauchen wir in Syrien eine neue Generation von wissenschaftlich gut ausgebildeten Führungspersonen.
Was ist aus den Masterstudierenden geworden, die mit diesem Programm nach Deutschland gekommen sind und in den allermeisten Fällen sicher nicht zurückkehren konnten?
Wir fördern jedes Jahr 150 000 Menschen und haben wegen der Größe der Zahlen durchaus ein Problem, in der Fläche nachzuzeichnen, was aus jedem unserer Alumni geworden ist. Auch wenn die Situation in Syrien eine Rückkehr noch nicht zulässt, ist Leadership for Syria ein Programm, das wir für eine ganze Reihe von Zielländern mit den Geldgebern diskutieren. In diesem Jahr bereiten wir uns ja auch konzeptionell darauf vor, was der DAAD den Ministerien für die nächste Legislaturperiode vorschlagen will.
Sehen Sie eine Rolle für den DAAD, geflüchteten Wissenschaftlern auch mittelfristig an den Hochschulen eine Perspektive zu geben?
Zunächst: Wir sind nicht die Krisenmanagementtruppe der deutschen Wissenschaft. Wir müssen immer sehen, wie wir uns auch komplementär zu anderen Organisationen wie der Alexander von Humboldt-Stiftung mit ihrem zwei- bis dreijährigen Philipp Schwartz-Stipendium aufstellen. Am Ende sind es aber die Hochschulen, die die geflüchteten Kolleginnen und Kollegen mittelfristig oder dauerhaft einbinden müssen.
Die Internationalisierung der Hochschulen in Deutschland ist offizielles Politikziel in Bund und Ländern, die Quote der Studierenden und Lehrenden aus dem Ausland steigt. Gleichzeitig sind immer wieder Klagen über Hürden im Studium und über die mangelnde Willkommenskultur in Univerwaltungen und Behörden zu hören. Was kommt davon beim DAAD an?
Tatsächlich gibt es massive Diskrepanzen zwischen dem Studienerfolg der inländischen und der internationalen Studierenden: Im Bachelor liegt die Studienabbruchquote für inländische Studierende bei 32 Prozent, im Master bei 19 Prozent, bei den internationalen sind es 45 beziehungsweise 29 Prozent. Diese Lücke wollen wir schließen, es soll mehr Beratungs- und Förderangebote geben. Hinzu kommt, dass das Studium nicht in einer Blase stattfindet, sondern in einem integrierten oder auch nicht integrierten Alltag der Studierenden. Deshalb muss sich mancherorts auch die Willkommenskultur noch verbessern, auch wenn unsere Hochschulen hier auch jetzt bereits sehr attraktiv und entsprechend nachgefragt sind.
Das Thema Rassismus wird hierzulande kontrovers diskutiert, das fängt bei einfachen Fragen an. Nicht jedem weißen Deutschen leuchtet etwa ein, dass die Frage „woher kommst du?“ eine sensible Frage ist. Wie sind Ihre Erfahrungen, haben Sie an Unis offenen oder impliziten Rassismus erlebt?
Wir müssen achtgeben, das Konzept Rassismus nicht zu überdehnen. Die Frage „woher kommen Sie?“ bekomme ich bei meiner Hautfarbe auch häufiger gestellt. Wenn ich antworte „aus Düren bei Aachen“, gibt es natürlich Gesprächspartner, die nachfragen: „Und woher kommen Sie eigentlich?“ Ich sehe aber auch: Die Gesellschaft ist seit den Achtzigern viel offener geworden. Es stellen weniger die besagte Nachfrage. Ich habe das, was Sie als impliziten Rassismus bezeichnen, nie wirklich als Rassismus empfunden. Vielmehr ist es die Manifestation einer stereotypen Erwartung, dass echte Deutsche einem bestimmten – auch äußerlichen – Prototyp entsprechen müssen.
Die Frage ist doch, was das mit einem macht.
Ich sehe darin für mich eine pädagogische Aufgabe. Es gibt viele, denen durch Interaktion mit Menschen wie mir begreiflich gemacht werden muss, dass Deutschsein und weiße Hautfarbe nicht zwingend zusammengehören. Daneben gibt es in unserer Gesellschaft leider auch echte rassistische Tendenzen, die wir bekämpfen müssen.
Wie sehen Sie Auslandsgründungen mit deutscher Unterstützung, wie aktuell die German International University of Applied Sciences in Ägypten? Der DAAD fördert deren Aufbau mit 17 Millionen Euro aus dem Etat des BMBF. Gibt es Auflagen für Hochschulautonomie und Demokratie auf dem Campus?
Es gibt keine „One size fits all“-Auflagen, die wir für alle transnationalen Bildungsprojekte in allen Ländern anwenden können. Diese Forderung wird der Komplexität der Austauschbeziehungen nicht gerecht. Für uns ist aber unter anderem immer wichtig, eine Partizipation der Studierenden zu ermöglichen. Wenn Länder das nicht wollen, versucht man sich in einem Aushandlungsprozess anzunähern. Das ist eine Kärrnerarbeit.
In der Türkei werden weiterhin Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verfolgt. Auch an der Türkisch-Deutschen Universität wurden Wissenschaftler einbestellt und verhört. Gibt es eine klare Ansage, dass das an von Deutschland geförderten Einrichtungen nicht geht?
Die TDU ist zu gleichen Teilen ein türkisches wie ein deutsches Projekt. Eine „klare Ansage“ von uns Deutschen gegenüber den Türken wird der Natur dieses Projekts nicht gerecht. Das heißt nicht, dass wir alles mitmachen. Es gibt weltweit eine Reihe von Projektideen, die wir nicht verfolgen, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Natürlich würden wir aktuell nicht auf die Idee kommen, eine Nordkoreanisch-Deutsche Hochschule zu gründen. Wenn wir uns aber für ein Projekt entschieden haben und dieses nachgefragt ist, muss man sich genau überlegen, ob man alles zur Disposition stellt, weil einem bestimmte politische Entwicklungen – zu Recht – aufstoßen. Die türkischen Partner etwa erwarten von uns, dass wir die Brücken nicht abreißen.
Ist es akzeptabel, dass deutsche Unis mit Geld aus China Konfuzius-Institute betreiben? China sieht die Institute als Propaganda-Instrument.
Dazu gibt es verschiedene Einschätzungen. Einige sagen, diese seien reine Sprach- und Kulturinstitute, am anderen Ende der Skala stehen Meinungen, diese seien kulturimperialistische Mittel Chinas. Hochschulen müssen selbst entscheiden, ob das jeweilige Konzept für sie tragfähig ist. Die Institute sind mit unterschiedlichen Konzepten gegründet worden und mit unterschiedlichen Eingriffsmöglichkeiten Chinas. Da muss man differenzieren.
Sie sehen den DAAD als künftigen Thinktank für Fragen der Wissenschaftsfreiheit, der Rolle von Hochschulen beim Klimawandel. Wer soll da worüber nachdenken?
Wir müssen uns Gedanken machen, wohin die internationale akademische Zusammenarbeit in den 20er Jahren geht. Nehmen Sie etwa die klimapolitische Diskussion: Wie kann man Mobilität steigern, ohne sich klimapolitisch negative Effekte einzukaufen? Welche Rolle spielen dabei Instrumente der digitalen Welt? Wir wollen hier auch die Expertise unserer Alumnae und Alumni und unserer Mitgliedshochschulen nutzen.
Sie wollen auch erörtern, ob das Erasmusstudium künftig virtuell absolviert werden kann. Wäre da nicht der Sinn des Studierendenaustauschs dahin?
Hätten Sie vor 30 Jahren gedacht, dass sich Menschen in einer Halle treffen, eine Brille aufsetzen, Handschuhe tragen und in einer perfekt anmutenden Welt virtuell unterwegs sind? Das passiert heute. Die Frage, was 2050 technisch möglich sein wird, können wir nicht mit dem heutigen Weltwissen beantworten. Klar, das hört sich alles wie Science-Fiction an. Aber vieles aus der Science-Fiction der Vergangenheit ist heute tatsächlich Wirklichkeit.
Das Gespräch führten Amory Burchard und Tilmann Warnecke.
Joybrato Mukherjee ist seit Anfang Januar Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Sein Amt als Präsident der Universität Gießen (seit 2009) behält der Anglist bei.