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Sommerlich gekleidete Studierende und Lehrende gehen über den Campus der FU Berlin, im Hintergrund ein Mensagebäude.
© Bernd Wannenmacher

Holprig ins Berliner Wintersemester: Mehr Präsenz als Online - mit großen Unterschieden von Uni zu Uni

Trotz Pandemie geht es für die Meisten zurück auf den Campus, aber die Vorbereitungen laufen teilweise holprig. Vor allem fehlt es an Hybrid-Formaten.

„Ein Wintersemester, in dem alle Studierenden die Möglichkeit haben, in Präsenz zu studieren.“ So lautet die Formel, auf die der scheidende Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) das bringt, was ab Anfang, Mitte Oktober in Berlin auf die Studierenden zukommt.

Dass dies keineswegs die komplette Rückkehr auf den Campus und den Abschied von der Lehre in Videokonferenzen bedeutet, ist seit Monaten klar. Doch jetzt zeigt eine Umfrage der Senatskanzlei Wissenschaft zumindest für einen Teil der Hochschulen genauer, wie groß der Anteil der Präsenzangebote wirklich sein wird.

Spitzenreiterin unter den Unis ist demnach die Technische Universität, die für 72 Prozent ihrer 3964 Lehrveranstaltungen ein Raumangebot in TU-Gebäuden ankündigt, 27 Prozent seien online geplant. Die Diskrepanz zu 100 Prozent ergibt sich aus einem geringen Anteil, für den es zum Zeitpunkt der Abfrage noch keine Festlegung gab. Quelle für diese Zahlen ist eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Tobias Schulze, die von Krach beantwortet wurde.

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Die Humboldt-Universität meldete 4039 Veranstaltungen mit einem Anteil von insgesamt 60 Prozent in Präsenz, von denen wiederum 43 Prozent als hybrides Format, also mit laufender Kamera und Online-Zugang für nicht anwesende Studierende angeboten werden sollen. Damit bleibt ein Drittel für reine Onlineveranstaltungen.

25 bis 30 Prozent Online an der FU, 87 Prozent an der ASH

Die Freie Universität plante zum Zeitpunkt der Abfrage 4217 Lehrveranstaltungen, lieferte aber keine Angaben zu den Formaten. Auf Nachfrage teilt Sprecher Goran Krstin mit, von den aktuell rund 5000 Veranstaltungen seien bisher etwa drei Viertel in Präsenz geplant, teilweise auch als Mischformate (hybrid). Ein Viertel solle ausschließlich online angeboten werden.

Der FU-Asta beklagt, dass am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaften „fast alles online“ stattfinde. Der FU-Sprecher kann das nicht bestätigen, am OSI betrage der Online-Anteil rund 30 Prozent.

Sehr viel stärker als TU, HU und FU setzt die Alice Salomon Hochschule für soziale Arbeit auf digitale Formen: Von 701 gemeldeten Lehrangeboten sollen nur 12,6 in Präsenz und 87,3 Prozent online stattfinden. Von den übrigen Fachhochschulen legt sich die HWR auf „mindestens 30 Prozent“ Präsenz fest, für die HTW und die Berliner Hochschule für Technik (bis zum 30. September: Beuth-Hochschule) liegen keine Angaben vor.

Musikhochschule: Von 180 Kursen finden 140 in Präsenz statt

Das gilt auch für die Universität der Künste, für „Ernst Busch“ und Weißensee. „Hanns Eisler“ zeigt aber, wohin die Richtung an den Kunst- und Musikhochschulen geht, in denen die Lehre in besonderer Weise vom direkten Zusammenspiel der Lehrenden und der Studierenden lebt: Von 180 Lehrveranstaltungen sollen 140 in Präsenz und nur 20 online stattfinden.

Auffällig ist, dass bisher nur die Humboldt-Uni konkrete Zahlen für Hybrid-Veranstaltungen ankündigt. Warum streamt nicht auch die TU einen größeren Teil der Präsenz-Vorlesungen und -Übungen für die Studierenden, die nicht an die Uni kommen können?

Ein rotes Banner mit der Aufschrift "Jetzt impfen lassen!" hängt über dem Eingang einer Hochschule.
Ansteckende Idee? Impf-Appell am Hauptgebäude der Technischen Universität Berlin.
© TU Berlin

Sprecherin Stefanie Terp erklärt, dass zwar Technik für Seminarräume gekauft und mehrere Hörsäle adäquat ausgestattet seien, ein einfaches Abfilmen und Übertragen jedoch nur bei großen Einführungsveranstaltungen angezeigt sei. Diese würden in aller Regel aber ohnehin rein digital ablaufen.

Bei kleineren Veranstaltungen müsse eine Interaktion mit den Studierenden vor Ort und an den Bildschirmen stattfinden können, was aber eine lehrende Person alleine gar nicht leisten könne. „Hybrid klingt erstmal gut, ist aber für alle Beteiligten keine leichte Sache“, sagt Terp.

Anmeldung für Lehrveranstaltungen teilweise verspätet möglich

Tobias Schulze, hochschulpolitischer Sprecher der Linken-Fraktion im Abgeordnetenhaus, kritisiert, dass viele Hochschulen kurz vor Semesterbeginn noch nicht sagen können, was in Präsenz, online oder hybrid stattfindet. „Wie für Studierende hier eine Planung möglich sein soll, ist so nicht ersichtlich.“

An der HU beispielsweise konnten Psychologie-Studierende zuletzt noch nicht auf das Lehrangebot zugreifen und sich anmelden. „Ursache für die verspätete Eingabe und Freigabe des Lehrangebots ist ein personeller und krankheitsbedingter Ausfall“, erklärt HU-Sprecher Hans-Christoph Keller auf Nachfrage. Es werde aber „mit neuem Personal sichergestellt, dass alle Veranstaltungen rechtzeitig veröffentlicht werden“. Ein Zeitpunkt dafür wird nicht genannt.

Dass das Vorlesungsverzeichnis an der TU erst spät, am 1. Oktober, veröffentlicht wurde, begründet die Sprecherin mit der aufwändigen Platzberechnung in den Räumen, in denen 1,5 Meter Mindestabstand (und Maskenpflicht) gelten. Zudem wurde jeder freigegebene Platz mit einem QR-Code beklebt, damit in auftretenden Corona-Fällen die Infektionskette nachverfolgt werden kann.

TU-Lehrende werden verpflichtet, 3G zu kontrollieren

Die Lehrenden an der TU sind auch bei der Kontrolle der 3G-Nachweise der Studierenden voll gefordert. In Veranstaltungen mit bis zu 40 Personen müssen sie an der Tür des Hörsaals oder Seminarraums überprüfen, ob alle gegen Covid-19 geimpft beziehungsweise davon genesen sind oder einen höchstens 48 Stunden alten negativen Schnelltest vorlegen können.

Trotz Protesten von Dozentinnen und Dozenten habe der TU-Krisenstab entschieden, „dass dies in dieser Notsituation zumutbar ist“, wie Terp erklärt. „Wir sehen die zusätzliche Belastung, wenn wir es aber mit der Präsenz wirklich ernst meinen, müssen alle mit anpacken.“ Wachschutzleute könnten auch wegen personeller Engpässe nur bei den wenigen größeren Veranstaltungen eingesetzt werden.

Gestritten wird bislang aber vor allem über die Formate. „Jede Lehrveranstaltung, die keine praktischen Fähigkeiten vermittelt, muss neben der Präsenz auch online belegbar sein“, fordert Tobias Schulze. Studierende müssten bei anhaltend hohen Infektionszahlen selbst entscheiden können, „ob sie in Präsenz lernen oder lieber weiter online“.

Senatsverwaltung: Keine Hybrid-Pflicht für Hochschulen

Nur so sei es auch möglich, dass auch Studierende, die in Quarantäne müssen, teilnehmen können. Die Senatsverwaltung erklärt dazu, dass es keine Hybrid-Verpflichtung gebe, sondern die Lehrenden entscheiden könnten, ob sie ein Streaming anbieten.

Würden Studierende Präsenz-Lehrveranstaltungen verpassen, gelte ja auch in diesem Wintersemester die Corona-Regelung, „dass abgelegte, nicht bestandene Prüfungen als nicht unternommen gelten“.

An der TU und beispielsweise auch an der Hochschule für Technik und Wirtschaft soll die flächendeckende Kontrolle durch Sticker auf den Studierendenausweisen erleichtert werden. Diese werden ab dem 4. Oktober im Charlottenburger TU-Hauptgebäude ausgegeben.

Fälschungssichere bunte Aufkleber mit dem TU-Logo und dem Schriftzug WiSe 2021/2022.
So sehen die Sticker aus, mit denen Studierendenausweise Geimpfter markiert werden sollen.
© TU Berlin

Auch die HTW richtet an ihren beiden Standorten 3G-Akkreditierungszentren ein. In den Veranstaltungen sollen Lehrende dann „stichprobenartig“ kontrollieren. Andere Hochschulen wollen offenbar die Impfzertifikate prüfen, teils durch Dozenten, teils durch den Wachschutz – und meistens nicht flächendeckend.

Teuer kann das Semester wie berichtet für die ungeimpften Studierenden werden, auf sie kommen ab dem 11. Oktober alle zwei Tage Testgebühren von mindestens 20 Euro zu. Internationale Studierende, die mit einem in der EU nicht zugelassenen Vakzin geimpft sind, können sich bis Ende des Jahres weiterhin kostenlos testen lassen.

Erneute Impfkampagne zum Semesterstart

Nach einer Umfrage vom August ist im Schnitt mit gut 83 Prozent Geimpften und einem Prozent Genesenen unter den Studierenden zu rechnen. Die Übrigen sollen im Oktober viele Gelegenheiten erhalten nachzuziehen – bei einer erneuten Impfkampagne, an der sich elf staatliche und kirchliche Hochschulen beteiligen.

Impfbusse und mobile Impfteams des Deutschen Roten Kreuzes und anderer Hilfsorganisationen sind an den Fachhochschulen ab Anfang Oktober unterwegs, danach sind die Unis dran. Die TU kündigt ihr „Impf-Event“ unter dem Motto „Das einzig Ansteckende sollten Ideen sein“ für den 14./15. Oktober an, wenn sehr viele Studienanfänger:innen auf Campus-Tour sind.

[Lesen Sie auch unseren Bericht über den Beginn der Impfkampagne: "Das ist für uns der Weg zurück in die Präsenz"]

Die Sicherheit der Präsenz-Veranstaltung zweifelt Gabriel Tiedje vom Asta der TU an. Bei mindestens zehn Prozent ungeimpften Studierenden und zwei bis drei Prozent statistisch zu erwartenden Impfdurchbrüchen sei ein größerer Corona-Ausbruch schon in den ersten Wochen des Semesters zu befürchten.

TU-Asta warnt vor Testkosten - und vor Schummeleien

Zudem sei weder geklärt, wie sich Ungeimpfte zwei bis drei Tests pro Woche leisten sollen – und ob die Kosten nicht zu Schummeleien verführen. Ebenso unklar sei, wer die Testkosten von studentischen Kontaktpersonen trägt, sagt Tiedje.

Die Lösung wäre „ein konsequentes Online-Angebot für etwa die Hälfte der Module mit Vorlesung und Übung, damit es eine Wahlfreiheit gibt für Leute, die lieber ein weiteres Semester digital studieren, als sich selbst und gefährdete Angehörige anzustecken“.

Doch danach sehen die Planungen der meisten Hochschulen nicht aus. Die Studierenden werden jede und jeder für sich einen Weg durch Herbst und Winter finden müssen – in Abwägung des Infektionsrisikos gegen die Chance, in diesem Semester wieder richtig ins Unileben und ins Studium eintauchen zu können.

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