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Homeschooling wird - zumindest in Teilen - auch weiter Realität bleiben.
© imago images/Jochen Tack

Umfrage unter Lehrkräften in der Coronakrise: Die meisten Schulen haben kein Konzept für Fernunterricht

Nur wenige Schulen sind mit einem Gesamtkonzept auf digitale Fernlehre vorbereitet – obwohl sie darauf in der Coronakrise noch lange angewiesen sind.

Engagiert, aber konzeptlos: So ungefähr lässt sich der digitale Fernunterricht der Schulen in der Coronakrise nach einer neuen Studie der Vodafone-Stiftung zusammenfassen.

Demnach geben zwar 83 Prozent der befragten Lehrkräfte an, dass an ihrer Schule für alle oder so gut wie alle Klassen Lernangebote bereitstehen.

Zwei Drittel sagen, ihre Schule hat kein Gesamtkonzept

Aber 66 Prozent sagen gleichzeitig, dass ihre Schule über kein Gesamtkonzept für die Versorgung mit Lernangeboten während der Schließungen und Einschränkungen in der Coronakrise verfügt.

Befragt wurden von Anfang bis Mitte April - also mehrere Wochen nach den Schulschließungen - 310 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen, durchgeführt wurde die Umfrage durch das Allensbach-Institut im Auftrag der Vodafone-Stiftung.

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„In der Anfangsphase konnten wir uns erlauben, den Fernunterricht etwas hemdsärmelig anzugehen“, sagt Birgit Eickelmann, Pädagogik-Professorin an der Universität Paderborn, die die Studie konzipiert und ausgewertet hat. Die Kreativität vieler Schulen und Lehrkräfte sei dabei hervorragend gewesen.

"Hätte fertige Konzepte nach den Osterferien erwartet"

Für die Zeit bis zu den Sommerferien und für das neue Schuljahr seien jetzt aber systematische Ansätze nötig, wie Präsenz- und Fernunterricht sinnvoll verknüpft werden: „Fertige tragfähige Konzepte hätte ich schon nach den Osterferien erwartet. Wir müssen aufpassen, dass uns da nicht die Zeit davonläuft.“

Präsenzunterricht nur in kleinen Gruppen, der mit Digitalunterricht zuhause verbunden wird - dafür brauchen wir tragfähige Konzepte, und zwar schnell, sagt eine Bildungsforscherin.
Präsenzunterricht nur in kleinen Gruppen, der mit Digitalunterricht zuhause verbunden wird - dafür brauchen wir tragfähige Konzepte, und zwar schnell, sagt eine Bildungsforscherin.
© Hauke-Christian Dittrich/dpa

Tatsächlich ergibt die Umfrage ein heterogenes Bild, wie die Schulen den Fernunterricht bewältigt haben. 41 Prozent der Befragten können den Unterricht immerhin in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen organisieren, 24 Prozent sind dagegen völlig auf sich alleine gestellt.

Zwei Drittel verschickten Aufgaben per E-Mail, nur 25 Prozent nutzten eine Lernplattform.

Nur ein Drittel hat Kontakt zu allen Schülerinnen und Schülern

Insgesamt gelingt es nur einem guten Drittel der Lehrkräfte, zu sämtlichen ihrer Schülerinnen und Schüler Kontakt zu halten - wobei die meisten erneut E-Mails nutzen, die Hälfte das Telefon, ein Fünftel Videochats.

52 Prozent erreichen immerhin die meisten, zehn Prozent nur wenige Schülerinnen und Schüler. Dabei sagen neun von zehn Lehrkräften, der Kontakt zu den Lernenden sei ihnen überaus wichtig. Gut die Hälfte befürchtet, dass sich durch die Schulschließungen bestehende soziale Ungleichheiten weiter verschärfen.

Auch nach den Sommerferien wird es womöglich keinen normalen Schulbetrieb geben

Die Frage nach tragfähigen Konzepten stellt sich für Eickelmann umso drängender, weil abzusehen sei, dass es auch nach den Sommerferien keine Rückkehr zum normalen Schulbetrieb geben werde: „Das können wir nicht erst am ersten Tag nach den Sommerferien diskutieren.“

Nötig sei ein Ansatz, der den Präsenzunterricht mit digitalen Lehreinheiten zuhause verknüpft - anders sei ein infektionsschutzkompatibler Schulablauf nicht zu gewährleisten.

Es fehlen Lehrkräfte für Kleingruppen

Ein großes Problem: Auf absehbare Zeit fehlen noch mehr Lehrkräfte als ohnehin durch den vor der Corona-Krise ausgiebig diskutierten Lehrkräftemangel - ganz einfach, weil die Lerngruppen in den Schulen aufgrund der Hygienevorschriften verkleinert werden müssen, sodass für eine Klasse theoretisch auf einmal doppelt oder dreifach so viel Personal nötig ist.

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Die Lage wird zusätzlich verschärft, weil Lehrkräfte, die zu Risikogruppen gehören, nicht für den Präsenzunterricht zur Verfügung stehen. 

Eickelmann schlägt hier vor, ähnlich wie im medizinischen Bereich auf Studierende als Aushilfe zu setzen - und zwar auf die Lehramtsanwärterinnen und -anwärter an den Universitäten. Viele Studierende hätten jetzt ihre Nebenjobs verloren. „Warum machen wir keine Konzepte, welche Aufgaben diese Gruppe übernehmen könnte?“

Digitale Weiterbildungen für Lehrkräfte

Der Bund könne das ähnlich wie bei Medizinstudierenden finanziell unterstützen.

Gleichzeitig müsste geklärt werden, welche Aufgaben die Lehrkräfte wahrnehmen, die eben nicht vor Ort unterrichten. „Hier müssen wir schauen, wie wir diese Gruppe zeitnah mit Fortbildungen und den Austausch von Expertise in den Kollegien gezielt für den Einsatz in digital gestützten Lehr-Lernsettings fitmachen“, sagt Eickelmann.

Coronaschutztauglicher Unterricht und Räume - dafür müssen auch flexible Lösungen her,
Coronaschutztauglicher Unterricht und Räume - dafür müssen auch flexible Lösungen her,
© Christian Charisius/dpa

Ebenso müsse man die Raumfrage an den Schulen angehen. Wenn für den Unterricht in Kleingruppen mehr Räume gebraucht werden, müsse man sich auch außerhalb der Schulen umsehen und einfach flexibler denken.

Eickelmann nennt ein Bespiel aus ihrem eigenen Wohnort: Dort stehe neben der Grundschule die Volkshochschule, die momentan wegen Corona keine Kurse anbiete: „Warum lässt man dort nicht die Grundschule für eine Übergangszeit mit einziehen?“

Ministerien beziehen Bildungsforschung aktuell nicht ein

Die Studie würde zeigen, dass an den Schulen viele Best-Practice-Beispiele für digitalen Unterricht entstanden sind. Diese gelte es nun zu bündeln, zu systematisieren und allen Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, sagt Eickelmann. Überraschen würde sie, dass viele Ministerien und Schulbehörden aktuell die Expertise der Bildungsforschung gar nicht systematisch einbeziehen.

(Lesen Sie hier, wie Dänemark mit Schulöffnungen nach der Coronakrise umgeht.)

Sie schlägt kleine Expertengruppen vor, die binnen drei bis vier Wochen auch auf Bundesländerebene klären könnten, was realistischerweise für alle Schulen machbar ist und was nicht. „Wir müssen jetzt alle Kräfte bündeln - wir haben da eine große Verantwortung gegenüber den Kindern und Jugendlichen und den Lehrkräften.“

"Reibungsverluste" zwischen Ministerien und Schulen

Sie beobachte wegen der herausfordernden Abstimmung zwischen Ministerien und Schulen „große Reibungsverluste“. 

Ein weiterer interessanter Befund der Umfrage: Gymnasien sind vergleichsweise besser auf die neue Situation eingestellt als andere Schulformen.

Hier bescheinigte immerhin fast die Hälfte der Befragten, schon vor den Schulschließungen mit digitalen Lehrangeboten „recht weit“ fortgeschritten zu sein. An Grundschulen sagten das nur 18,3 Prozent der Lehrkräfte.

Wo Schülerinnen und Schüler motivierter sind

Insgesamt tun sich - wenig überraschend - die Schulen leichter, die mit ihren Digitalisierungsprozessen schon vor der Coronakrise weiter fortgeschritten waren. Diese nutzen zu 42 Prozent Lernplattformen, während dieser Wert bei den anderen bei 25 Prozent liegt.

Auch sonst profitieren diese Schulen der Umfrage zufolge, sagt Eickelmann: „Die Schülerinnen und Schüler lernen motivierter, die Belastung für Lehrkräfte ist geringer.“

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