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Ein Junge setzt vor dem Schultor seine medizinisch Maske auf, ein anderer sieht ihm dabei zu.
© Annette Riedl/dpa

Präsenzunterricht trotz steigender Infektionen: Können die Schulen wirklich weiter geöffnet werden?

Die Ausbreitung von Corona bei Kindern nimmt zu, die Länder halten noch unbeirrt an Schulöffnungen fest. Die Zweifel wachsen, dass das gutgehen kann.

Die Lage an den Schulen wühlt derzeit alle auf: So nimmt es Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, wahr. Angesichts von steigenden Infektionszahlen besonders bei Kindern und Jugendlichen spricht er von einer „extrem heterogenen Stimmungslage“ in der Lehrer-, Eltern- und Schülerschaft: „Den einen gehen die Maßnahmen schon zu weit, anderen ist es viel zu wenig.“

Die Gemengelage ist auf jeden Fall heikel: Während sich die Inzidenzrate auch bundesweit der als Notbremse deklarierten Hundert nähert, planen gleichzeitig viele Länder weitere Schulöffnungen – noch.

Nimmt die Ausbreitung von Corona unter Kindern zu?

Ja. In den vergangenen zwei Wochen war der Anstieg der Infektionszahlen unter null- bis neunjährigen Kindern stärker als in jeder anderen Altersgruppe – erstmals seit Beginn der Pandemie. Unter den Null- bis Vierjährigen stieg sie zwischen Ende Februar und Anfang März laut Angaben des Robert Koch-Instituts von 48 auf 60 Fälle pro 100.000. In der Altersgruppe fünf bis neun stieg sie im gleichen Zeitraum von 54 auf 72 pro 100.000.

[Wie die aktuelle Lage an den Schulen in Berlin aussieht, was die Lehrer hier von den Schulöffnungen halten und wie es nach Ostern weitergehen soll können Sie hier lesen.]

Die Inzidenz in dieser Altersgruppe lag damit erstmals über dem bundesweiten Durchschnitt. Auch unter den Zehn- bis 14-jährigen nahm die Inzidenz zu: Sie stieg von 51 auf 62. Die Zunahmen in anderen Altersgruppen waren wesentlich geringer, mit einer Ausnahme: Unter den 35- bis 39-jährigen stieg die Inzidenz um sieben Punkte, von 79 auf 86.

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Möglicherweise geht diese Entwicklung darauf zurück, dass sich in dieser Gruppe viele Eltern und Lehrkräfte von kleineren Kindern befinden. In den Gruppe der über 55-Jährigen sanken dagegen die Inzidenzen – vor allem bei den hohen Alterskohorten ein Effekt, der die Wirksamkeit der Impfungen in diesen Altersgruppen zeigt.

Liegt der Anstieg von Infektionszahlen bei Kindern an der Mutante B 1.1.7?

Das lässt sich noch nicht genau sagen. Bisher zeigten epidemiologische Daten, dass Kinder weniger empfänglich für eine Ansteckung mit Sars-Cov-2 sind. Krankheitsverläufe fallen bei ihnen weniger schwer aus als bei Erwachsenen. Die Virusmutation B 1.1.7 verändert nun das Infektionsgeschehen: Sie ist rund 40 bis 90 Prozent ansteckender – auch für Kinder.

Das heißt, es genügt eine geringere Virusmenge, um mit Covid-19 infiziert zu werden. Forschende präsentierten Anfang März im Fachblatt „Science“ Hinweise darauf, dass die Mutation B 1.1.7 unter Kindern ansteckender sein könnte als sie es unter der älteren Bevölkerung ohnehin ist.

Die Virus-Mutante B 1.1.7. könnte auch unter Kindern ansteckender sein.
Die Virus-Mutante B 1.1.7. könnte auch unter Kindern ansteckender sein.
© Ronny Hartmann/dpa-Zentralbild/dpa

Allerdings stammten ihre Daten aus England in einem Zeitraum, in dem dort außer Schulen und Kitas alles geschlossen war. Diese Orte waren also die günstigsten Herde für Ansteckungen – und Kinder, die dort betreut wurden, einer potentiellen Ansteckung stärker ausgesetzt als jede andere Altersgruppe. Das könnte das Bild verzerren. Zumindest gibt es bislang keine Hinweise darauf, dass Infektionen mit der B 1.1.7-Variante bei Kindern häufiger zu schweren Verläufen führen.

Reagieren die Länder darauf mit Schulschließungen?

Ja und nein. Tatsächlich gibt es Landkreise, in denen die Schulen wegen zu hoher Inzidenz wieder geschlossen werden und die Schüler:innen komplett im Distanzunterricht sind.

Das betrifft zum Beispiel 30 Landkreise und kreisfreie Städte in Bayern, deren Inzidenz hundert überschritten hat. Auch in Thüringen mussten in den vergangenen Wochen in vier Landkreisen alle Schulen und Kitas wieder schließen – beziehungsweise wurden sie gar nicht erst geöffnet.

Ausgerechnet Thüringen, das bundesweit erneut mit den meisten Infektionen zu kämpfen hat, will diese Regeln wieder lockern. Der Schwellenwert, ab dem das Kultusministerium Schließungen empfiehlt, liegt hier ohnehin schon bei 150. Seit dieser Woche können Kreise davon abweichen, „je nachdem wie die konkrete Beurteilung der örtlichen Lage ausfällt“, so das Ministerium.

Man wolle zum Beispiel dem Umstand Rechnung tragen, dass einige Schulen ausgefeilte Sicherheitskonzepte hätten und an manchen Grundschulen alle Lehrkräfte geimpft sind. Im Wartburgkreis, wo die Inzidenz bei mehr als 250 liegt, werden daher 13 Gemeinden ihre Schulen wieder öffnen.

Drei Mädchen, die medizinische Gesichtsmasken tragen, sitzen nebeneinander an einem Tisch im Klassenzimmer.
Unterricht in einer Kieler Grundschule - ohne Abstand, aber mit Maske. Der Präsident des Lehrerverbandes warnt davor, die Schulen wieder komplett zu schließen.
© Gregor Fischer/dpa

Wie manche Länder den einmal eingeschlagenen Weg der Öffnungen unter allen Umständen beibehalten wollen, zeigt ein Blick nach Nordrhein-Westfalen, wo seit dieser Woche Schüler:innen aller Klassen den Wechselunterricht aufnehmen. Der Kreis Düren hatte wegen einer Inzidenz von 240 einen Antrag auf Aussetzen der Schulöffnungen an den weiterführenden Schulen bis zu den Osterferien gestellt, die Bürgermeister von Lüdenscheid, Iserlohn und Halvern wandten sich mit einem ähnlichen Wunsch an das FDP-geführte Bildungsministerium.

Vergebens: Ministerin Yvonne Gebauer untersagte das. Bereits im Herbst hatte sie ähnlich restriktiv entsprechende Anträge abgelehnt. Selbst von Schulen, die ein gutes Konzept fürs Distanz- und Wechsellernen vorweisen konnten.

Wie reagieren Bundespolitik und Lehrerverbände?

„Alarmierend“ findet Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), die Inzidenzzahlen bei Kindern und Jugendlichen. Hier sei ein unmittelbarer Zusammenhang mit den Mitte Februar begonnenen Schulöffnungen zu vermuten. „Wir warnen davor, Schulöffnungen weiter voranzutreiben, solange die Ursachen hierfür nicht eindeutig geklärt sind“, sagte Beckmann.

Der Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach, fordert sogar einen Schulstopp bis Ostern. „Ich appelliere an die Länder, alle Schulen bis Ostern wieder zu schließen, auch die Grundschulen“, sagte Lauterbach der „Rheinischen Post“. Das könne nur abgewendet werden, wenn Schüler zweimal pro Woche mit Schnelltests auf das Coronavirus getestet würden.

Eine junge Frau erhält eine Impfung in den Oberarm.
In Sachsen-Anhalt wurden am 12. März die ersten Lehrkräfte und Erzieher:innen geimpft.
© Matthias Bein/dpa-Zentralbild/ZB

Heinz-Peter Meidinger widerspricht Lauterbach. Dessen Forderung findet er angesichts des unterschiedlichen Infektionsgeschehens in einzelnen Regionen „sehr undifferenziert“: „Unser Ziel ist es, einen nochmaligen kompletten Schul- Lockdown zu vermeiden.“ Ansonsten stelle sich die Frage, ob das Schuljahr überhaupt noch zu retten sei.

Nur bei Umsetzung aller Schutzmaßnahmen könne man überlegen, Schulen sogar auch bei Inzidenzwerten über 100 offenzuhalten. Als Voraussetzung nennt Meidinger mindestens zwei Schnelltests pro Woche für Schüler:innen sowie Lehrkräfte, eine qualifizierte Maskenpflicht an allen Schulen auch während des Unterrichts sowie ein schnelles Impfen von Lehrkräften.

Wann werden die Lehrer:innen geimpft?

Im Zuge der Wiederöffnung von Kitas und Grundschulen war die Impfreihenfolge geändert worden, so dass Kita-Beschäftigte und Grundschullehrkräfte früher als ursprünglich geplant drankommen. Für Lehrer:innen weiterführender Schulen gilt das nicht. Meidinger fordert, in den nächsten zwei Wochen alle Lehrkräfte zu impfen – zumindest die, die wieder in Präsenz unterrichten müssen. Auch der Verband Bildung und Erziehung betont, das Impfangebot für Lehrkräfte müsse mit Hochdruck ausgeweitet werden.

Wie weit die Impfung der Grundschullehrkräfte und Erzieher:innen bundesweit ist, ist schwer zu ergründen. Aus Thüringen heißt es, es seien bereits bis zu 20.000 geimpft worden, das entspreche der Hälfte dieser Gruppe. In Bremen haben 4300 von 8600 Kita-Beschäftigten eine erste Impfung erhalten sowie 1424 von 6000 Beschäftigten an den Grundschulen. Aus Berlin waren am Montag keine Zahlen zu erfahren. Die Aussetzung der Impfungen mit Astrazeneca am Mittwoch dürfte das Impftempo nicht beschleunigen.

Wann werden die Schüler:innen geimpft?

Für die unter 16-Jährigen wird es mit der Impfung noch länger dauern. Denn bislang ist kein Corona-Impfstoff für Kinder und Jugendliche in Deutschland zugelassen. Mit einer Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission ist vorerst nicht zu rechnen.

Die Pharmahersteller beginnen gegenwärtig, junge Menschen in ihre laufenden klinischen Studien einzuschließen. Charité-Virologe Christian Drosten rechnet nicht vor Herbst mit aussagekräftigen Daten der Impfstoffhersteller, die eine Zulassung nach sich ziehen.

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