Abwasseraufbereitung: Klärungsbedarf in Jordanien
Sauberes Trinkwasser ist knapp im Nahen Osten. Deutsche Forscher entwickeln Techniken gegen Verunreinigungen.
Die Erde ist knochentrocken. Jeder Halm auf den umliegenden Hügeln ist verdorrt. Nur ein paar Kiefern und Akazien halten noch durch. Monatelang hat es in Jordanien nicht geregnet. Auch nicht hier, in Fuheis. Das Städtchen nordwestlich der Hauptstadt Amman hat zwei Besonderheiten: Christen stellen die Mehrheit der Einwohner, nur jeder Zehnte ist Muslim. Und zweitens steht hier, etwas außerhalb des Ortes, eine Anlage, die das Schicksal ganz Jordaniens ändern könnte: ein Forschungs- und Demonstrationszentrum für Abwasseraufbereitung.
Jordanien zapft schon fossile Trinkwasserspeicher an
In Jordanien kommt niemand um das Thema Wasser herum. Das Königreich ist eines der trockensten Länder der Erde. Wenn es in den Wintermonaten doch einmal regnet, verdunstet das Wasser sofort oder läuft auf dem steinharten Boden ungenutzt ab. Das wird zunehmend zum Problem, denn in dem Land leben immer mehr Menschen. Seit 2011 sind eine Million Syrer gekommen. Aber auch ohne Flüchtlingsströme wächst die Bevölkerung: von gegenwärtig neun Millionen wird sie sich bis 2047 etwa verdoppeln. Und alle diese Menschen brauchen Wasser.
Um den Bedarf zu stillen, zapft Jordanien bereits fossile Trinkwasserspeicher an, etwa das Disi-Aquifer im Süden des Landes. Das Problem: Das Wasser von dort ist nicht erneuerbar. Zwar gibt es in Amman und anderen großen Städten zentrale Kläranlagen, die zumindest einen Teil des Wassers wiederaufbereiten. In ländlichen Gegenden ist Wasseraufbereitung jedoch oft noch ein Fremdwort. Dort steht hinter jedem Haus eine Sickergrube, aus der Abwasser in die groben Karstböden Jordaniens hinunter bis ins Grundwasser rinnt und es mit Keimen verseucht.
Dezentrale Anlagen sind die Lösung
Manfred van Afferden arbeitet daran, dass sich diese Zustände ändern. Der Umweltbiotechnologe vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig (UFZ) steht oberhalb der Versuchsanlage für Abwasser in Fuheis. Sie ist 2009 fertig geworden, drei Jahre nachdem die Kooperation der Leipziger Forscher mit Jordanien ihren Anfang genommen hatte. In Fuheis werden verschiedene Techniken zur dezentralen Abwasseraufbereitung erforscht und demonstriert. Dafür zapfen die Forscher das Abwasser der Stadt an und lassen es durch ihre Anlagen laufen. Das Gelände ist das Zentrum der Forschung, von dort aus sollen sich die Techniken im ganzen Land verbreiten.
"Vor allem im Hochland und auf kleinen Bauernhöfen wird Wasser nicht behandelt. Dort sind dezentrale Anlagen die einzige Option", sagt Naser Almanaseer von der Al-Balqa-Universität in Salt, der das Projekt auf jordanischer Seite betreut. Mit den dezentralen Systemen können sich mehrere Familien oder auch ganze Siedlungen zu einer Abwassergemeinschaft zusammenschließen, hohe Kosten für lange Kanalnetze und Pumpwerke entfallen. "Die Systeme müssen robust sein, sich gut erweitern lassen und nur selten Wartung erfordern", sagt van Afferden. Zwar gebe es auf dem Markt Hunderte Techniken zur Wasseraufbereitung, die meisten seien aber aufwendig, teuer und benötigten viel Regeltechnik.
Belüftete Filter vernichten sogar schädliche Darmkeime
Deshalb haben die Forscher ihren Fokus auf eine spezielle Technik gelegt: naturnahe Verfahren. Van Afferden läuft ein paar Schritte zu einer etwa fünf mal zehn Meter großen Fläche mit hellbraunen, parallel angeordneten Rohren: ein Vertikalfilter der ersten Generation. "Das Abwasser sickert durch verschiedene Filterschichten, etwa gesiebten Kies oder Sand", sagt van Afferden. Die im Abwasser enthaltenen Mikroorganismen formieren sich auf dem Filtermaterial zu Biofilmen und reinigen das an ihnen vorbeisickernde Wasser, das danach am Grund der Anlage aufgefangen wird. Das Prinzip ist einfach und braucht wenig Wartung. Der Nachteil der Technik ist ihr hoher Platzbedarf. "Um pro Tag 70 Liter Wasser zu filtern, benötigt man etwa vier Quadratmeter Fläche", sagt van Afferden.
Nur ein paar Meter entfernt zeigt Roland Müller, van Afferdens Chef am Umwelt- und Biotechnologischen Zentrum des UFZ, zwei weitere Becken. Der entscheidende Unterschied zum konventionellen Filter: Auf ihrem Grund schlängelt sich ein perforierter Schlauch, durch den Luft gepumpt wird. "Dadurch werden die Mikroorganismen besser mit Sauerstoff versorgt und reinigen das Abwasser viel effizienter", sagt Müller. Der horizontale Filter, bei dem das Wasser seitlich eingeleitet wird, schafft es sogar, die jordanischen Grenzwerte für Darmkeime wie Escherichia coli einzuhalten. "Rohes Abwasser enthält mehr als zehn Millionen koloniebildende Einheiten an E. coli", sagt van Afferden. Die Naturfilter können diesen Wert bis auf 500 drücken. "Das schafft man sonst nur mithilfe von Ozon, Chlor oder UV-Strahlung."
Die Belüftung hat noch einen weiteren entscheidenden Vorteil. Mit ihr können die Forscher im Inneren des Filters Zonen mit und ohne Sauerstoff schaffen. Nur so könne der im Abwasser enthaltene Stickstoff wirksam abgebaut werden. Außerdem brauchen die belüfteten Systeme bis zu viermal weniger Platz als die konventionellen. Die Energie für die Pumpen könne man aus Wind oder Sonne gewinnen, sagt Müller.
Bei Anlagen für viele Menschen wird Klärschlamm zum Problem
Das Wasser, das am Ende dieses Prozesses den Filter verlässt, hat keine Trinkwasserqualität. Wohl aber dient es als Brauchwasser zur Bewässerung der Felder, in Fuheis Flächen mit Zitronen- und Orangenbäumen, und für Arbeiten im Haushalt. "Das spart einerseits Frischwasser und schützt andererseits das Grundwasser vor Verunreinigung" sagt Müller.
Wenn wenige Häuser sich zur Wasseraufbereitung zusammenschließen, sind die belüfteten Systeme optimal. Sind es mehrere Hundert oder gar Tausend Menschen, wird Klärschlamm ein immer größeres Problem. Auch dafür gibt es in Fuheis Naturbecken, in denen Schlamm- und Abwasseraufbereitung kombiniert werden. Und schließlich lassen sich unterirdische Tanks, von denen man auf der Anlage nur die Deckel sieht, mit den naturnahen Verfahren in Reihe schalten, um das Wasser noch sauberer zu bekommen. "Das Ziel der Anlage ist, dass jordanische Verantwortliche hierherkommen und sich inspirieren lassen, welche Technik für ihr Dorf oder ihre Gemeinde die sinnvollste Lösung ist", sagt Müller.
Abwasser gilt in Jordanien als unrein
Inzwischen stehen in ganz Jordanien schon etwa 50 Anlagen, die auf Techniken der Forschungsanlage in Fuheis zurückgehen. Bis dahin war es allerdings ein weiter Weg. "Zu Beginn war es nicht leicht, die Jordanier vom Sinn unserer Arbeit zu überzeugen", erinnert sich van Afferden. Die meisten Einheimischen wussten nicht, dass es eine Verbindung zwischen Abwasseraufbereitung und Grundwasserschutz gibt. Außerdem gilt Abwasser in Jordanien kulturell als unrein, viele wollten damit nichts zu tun haben. Anfangs waren selbst die zuständigen jordanischen Ministerien und Behörden skeptisch. Doch mit viel Geduld gelang es, ein Koordinierungskomitee zu bilden, bei dem jordanische Entscheidungsträger, aber auch Vertreter von Universitäten und Nichtregierungsorganisationen an einem Tisch saßen und über Abwasser diskutierten.
Wichtig war den Leipzigern von Anfang an, dass die Jordanier selbst entscheiden, welche Techniken sie anwenden wollen. "Es sollte auf keinen Fall so sein, dass die Deutschen kommen und alles bestimmen", sagt van Afferden. Naser Almanaseer bestätigt, dass er dieses Gefühl während der Zusammenarbeit auch nicht hatte. Wichtig sei nun, die Erkenntnisse in der Bevölkerung zu verbreiten.
"Wir müssen die Anlagen so oft wie möglich vorführen", sagt Roland Müller. Nur so steige die Akzeptanz bei den Menschen weiter. Gleichzeitig müssen wichtige Fragen geklärt werden: Wer nimmt die Abwasserproben im laufenden Betrieb? Wer berichtet wem? Wer ist für die Wartung zuständig? "Erst wenn das alles geklärt ist, können die Systeme langfristig funktionieren."
Der erste Regen des Jahres
Damit auch die kommenden Generationen um die Bedeutung des Abwassers wissen, haben die Leipziger sogar eine Unterrichtsreihe für Grundschüler entwickelt und damit etwa 5000 jordanischen und palästinensischen Kindern in Experimenten Aspekte rund ums Thema Wasser vermittelt: vom Verbrauch über die Verschmutzung bis zur Wiederverwertung.
Für ihre Arbeit wurden Roland Müller und Manfred van Afferden zusammen mit ihren Helmholtz-Kollegen Mi-Yong Lee und Michael Hirschfeld Ende Oktober mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet – "für neuartige Systemlösungen dezentraler Abwasserreinigung". Für die Zukunft hofft Müller, zusammen mit Politik und Geberorganisationen wie der Weltbank noch weitere Projekte umzusetzen – auch in anderen Ländern im Nahen Osten, wo die Wassersituation ähnlich schlecht ist.
Was Jordanien betrifft, ist Naser Almanaseer optimistisch. "Wir haben wenig Wasser, also müssen wir lernen, es aufzubereiten und erneut zu nutzen." Während er spricht, frischt plötzlich der Wind in Fuheis auf – es beginnt zu regnen, regelrecht zu schütten. Die Tropfen klatschen auf die Versuchsanlage, auf die Horizontalfilter, die Tanksysteme, die Obstbäume. Es ist, mitten im Oktober, der erste Regen des Jahres. "Das ist ein guter Tag", sagt Almanaseer. "Die Deutschen haben den Regen mitgebracht."
Der Autor recherchierte diesen Text im Rahmen einer von der Helmholtz-Gemeinschaft finanzierten Reise.
Florian Schumann
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