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Aufgeheizte Stimmung. Bernd Luckes Hamburger Vorlesung wird gestört.
© Markus Scholz/dpa

Diskussionen um Lindner und Lucke: Ist die Meinungsfreiheit an Hochschulen in Gefahr?

Lindner, Lucke, Wagenknecht: Nicht nur die Uni Hamburg kämpft mit der Frage, welche Politiker wann an Hochschulen reden dürfen.

Christian Lindner (FDP) wird ein Auftritt an der Uni Hamburg verweigert, Sahra Wagenknecht (Linke) und Kevin Kühnert (SPD) dürfen dagegen dort diskutieren. Wie die Uni mit diesen drei Fällen umgegangen ist, scheidet gerade die Geister, vor allem in den sozialen Medien. Wird hier mit zweierlei Maß gemessen, wie Lindner auf Twitter insinuierte – oder gibt es „links-grün“ gar „ein Problem mit der Meinungsfreiheit“, wie der FDP-Vorsitzende im Saarland twitterte?

Hintergrund ist, wie berichtet, dass die Universität eine Veranstaltung der Liberalen Hochschulgruppe unter dem Titel „LHG diskutiert mit: Christian Lindner“ in den Räumen der Uni nicht genehmigt hat. Wagenknecht konnte dagegen auf einem Panel zu Finanztheorien debattieren, Kühnert diskutierte auf Einladung der Jusos die Frage, wofür Studierende noch kämpfen sollten.

Die Uni Hamburg beruft sich darauf, dass es sich bei der Diskussion mit dem FDP-Chef um eine Veranstaltung mit parteipolitischer Ausrichtung gehandelt habe. Zu Wagenknecht und Kühnert äußerte sich die Uni am Donnerstag nicht weiter – wies aber darauf hin, dass Kühnert vor einer Änderung der entsprechenden Richtlinien aufgetreten sei. Im Übrigen lehne man Anfragen „aus dem gesamten politischen Spektrum“ ab.

Die Hochschulen verteidigen ihr Hausrecht

Nun sind Diskussionen darüber, welche Politiker wann an Hochschulen reden dürfen, prinzipiell nicht neu. In Berlin etwa erregte vor sechs Jahren Aufsehen, dass die Freie Universität Gregor Gysi keinen Raum gab. Damals wollte „SDS. Die Linke FU“, die Studierendengruppe der Linken, eine Diskussion mit Gysi veranstalten. Wie die Uni Hamburg heute berief sich die FU bei ihrer Weigerung damals darauf, dass es sich um eine „politische Veranstaltung“ handele. Wolfgang Schäuble dagegen durfte zur gleichen Zeit an einer Podiumsdiskussion an der FU teilnehmen – aus Sicht der Studierenden war auch das eine Ungerechtigkeit.

Doch auf welcher Grundlage kann ein Präsidium die Vergabe von Räumen verweigern? Auf der einen Seite garantiert das Grundgesetz Professoren und Studierenden Rede- und Wissenschaftsfreiheit. Dazu gehört auch das Recht, eine Veranstaltung zu organisieren.

Auf der anderen Seite verteidigen Hochschulen ihr Hausrecht. Dieses legt in der Regel fest, dass Veranstaltungen eben einen hochschulpolitischen oder wissenschaftlichen Bezug brauchen – was jedoch sehr unterschiedlich ausgelegt werden kann. „Ein hochschulpolitischer oder fachlicher Rahmen lässt sich immer irgendwie herstellen“, sagt der Staatsrechtler Ulrich Battis. Im Hamburger Fall sei der Rahmen bei Wagenknecht und Kühnert gegeben gewesen.

Die Liberale Hochschulgruppe habe den Titel dagegen „unglücklich formuliert“, die Liberalen hätten der Veranstaltung besser ein konkretes Thema gegeben. „Das Verhalten der Unileitung ist formal nicht zu beanstanden“, meint Battis. Ein kurzes Gespräch mit der liberalen Gruppe hätte das Problem wahrscheinlich klären können.

Die FDP setze auf ein „parteipolitisches Triggern“

Die Politikwissenschaftlerin Dagmar Simon hält es denn auch für ein „schwaches Argument“, dass sich die Uni Hamburg bei ihrer Absage auf die Raumvergaberichtlinien beruft. „Es wäre vielleicht komisch, wenn eine Partei ihren Parteitag an einer Uni abhalten will. Aber ansonsten spricht überhaupt nichts dagegen, Politiker an die Uni einzuladen“, sagt Simon. Sie wünsche sich, dass Hochschulen die öffentliche Debattenkultur viel mehr fördern. „Man lernt viel mehr voneinander, wenn man sich direkt auseinandersetzen muss, anstatt in den sozialen Medien aneinander vorbei zu reden.“

Dass die FDP den Fall so hochziehe und von einem Verlust der Meinungsfreiheit spreche, hält Simon allerdings für „viel zu aufgebauscht“: „Das muss man im Kontext sehen. In Ungarn ist die Meinungsfreiheit an den Hochschulen gefährdet, aber doch nicht in Deutschland.“ Die FDP setze hier ebenfalls auf ein „parteipolitisches Triggern“, anstatt sich auf ernsthafte Diskussionen einzulassen.

Wie unscharf das Thema der Politikerauftritte an Unis ist, zeigt sich schon daran, dass es an Berliner Hochschulen keine einheitliche Regelung gibt. Am weitesten geht tatsächlich die FU. Sie erklärte im vergangenen Jahre auf eine Anfrage, sie stelle „aus grundsätzlichen Erwägungen keine Universitätsräume für Parteien und parteipolitische Veranstaltungen bereit“: Die FU sei ein „weltanschaulich neutraler und unparteiischer Ort, an dem der wissenschaftliche Diskurs im Mittelpunkt steht“. Auch wolle die FU keine politische Partei bevorteilen. Und so wurden dem SDS auch Räume zu einer Konferenz verwehrt, die die Gruppe 2018 zum Thema 1968 abhalten wollte.

Die TU Berlin hätte Lindner nicht abgelehnt

Die TU sperrt Parteien dagegen nur in den letzten Wochen vor Wahlen aus. Politische Symbole und Embleme totalitärer Systeme oder verbotener Vereinigungen und verfassungswidriger Parteien dürfen auf dem Campus gar nicht gezeigt werden. Ähnlich handhabt das die HU.

TU-Sprecherin Steffi Terp, deren Abteilung im Jahr mehr als 1000 Veranstaltungen auf dem Unigelände koordiniert und zum Teil organisiert, kann sich „für die vergangenen Jahre an keinen Fall erinnern, wo wir eine Veranstaltung absagen mussten, weil ein Politiker angefragt war“. Die TU hätte die Lindner-Veranstaltung nicht abgelehnt – „aber auch für uns liegt das Primat auf Wissenschafts- und Hochschulbezug. Das ist ganz klar.“

Die Debatte wird auch durch den Fall Bernd Lucke befeuert. Der AfD-Mitbegründer sollte an der Uni Hamburg am 16. Oktober seine Lehrtätigkeit als Professor für Volkswirtschaftslehre wieder aufnehmen. Doch seine erste Vorlesung wurde massiv gestört und musste, wie auch die zweite Veranstaltung an diesem Mittwoch, abgebrochen werden.

Polizeischutz für den Wirtschaftswissenschaftler und AfD-Mitbegründer Bernd Lucke.
Polizeischutz für den Wirtschaftswissenschaftler und AfD-Mitbegründer Bernd Lucke.
© Markus Scholz/dpa

Der Unterschied zu verhinderten Uni-Auftritten von Politikern liegt auf der Hand: Nach seinem Ausscheiden aus dem Europaparlament war Lucke als zwischenzeitlich beurlaubter Professor verpflichtet, an seine Hochschule zurückzukehren. Die Unileitung hat erklärt, Störungen von Lehrveranstaltungen seien „mit dem grundgesetzlich garantierten Schutz der Freiheit von Wissenschaft nicht zu vereinbaren“. Man sehe sich in der Pflicht, Luckes Vorlesungen und Seminare zu gewährleisten.

Lindner und Lucke in einen Topf?

Für nur „begrenzt vergleichbar“ hält Dagmar Simon die Fälle Lucke und Lindner: „Wenn wir das alles in einen Topf werfen, ist das nicht sehr hilfreich.“ Letztlich würde bei Lucke ein gesellschaftlicher Konflikt in die Uni hereingetragen, der dort gar nicht seinen Ursprung habe. Sie wünsche sich, dass sich die Studierenden mit Positionen wie denen von Lucke in einer Diskussion auseinandersetzen: „Ausgrenzung hilft nicht.“

Heinz-Elmar Tenorth, bis 2011 Professor für historische Erziehungswissenschaft an der HU, sieht die Wissenschaftsfreiheit an den Unis durch die Störung von Vorlesungen und anderen Lehrveranstaltungen „durchaus in Gefahr“. Intellektuelle Milieus, die weit über die Studierendenschaft hinausgingen, seien sich einig im „Konsenskampf gegen rechts“, der sich auch gegen Bernd Lucke als Professor in Hamburg richte.

Zweifellos sei der AfD ihre Nähe zum Rechtsextremismus vorzuwerfen, und Lucke habe sich in seiner politischen Argumentation teilweise „aus dem Wörterbuch des Dritten Reiches“ bedient, betont Tenorth. Doch dieses Feindbild führe zu „unscharfen Grenzen“, gegen welche professoralen Standpunkte und welche Personen man protestiere – und in welcher Form. Tenorth kritisiert auch die „political correctness“ von Studierenden, die etwa gegen einen Genetiker an der HU vorgingen, der den Rassebegriff historisch problematisierte. Wer das tue, sei kein Rassist – so viel Unterscheidungsvermögen müssten Studierende aufbringen, meint Tenorth.

Bombendrohung an der Uni Hamburg

Häufig fehle ihnen auch ein historisches Bewusstsein ihrer Protestformen. Kundgebungen vor dem Hörsaal, Niederschreien von Professoren, körperliche Übergriffe, um sie am Vortragen zu hindern: All das gehörte zum „Repertoire des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes“ an der Berliner, aber auch an der Hamburger Universität in den Jahren vor 1933.

Damals richtete sich die Gewalt vorrangig gegen jüdische Studierende und Lehrende. Ein direkter Vergleich zu heute sei deshalb nicht legitim, gibt Tenorth zu. „Protest ist erlaubt“, betont der Erziehungswissenschaftler, „er darf aber nicht gewaltsam sein, nicht die Lehre unterbinden, sondern muss intellektuell und argumentativ sein – und auch lernbereit.“ Nur solche Formen der Kritik gehörten an eine Hochschule. „Sonst ist die Universität am Ende.“

In Hamburg bleibt die Lage angespannt. Die Uni erklärte sich nach der erneuten Sprengung der Lucke-Vorlesung für überfordert, diese weiterhin nur mit einem privaten Sicherheitsdienst zu schützen und rief nach staatlicher Hilfe. Ob eine Bombendrohung gegen das Hauptgebäude und den Sitz des Präsidiums vom Donnerstag mit den Vorgängen der letzten Tage im Zusammenhang steht, werde noch ermittelt, teilte die Uni mit.

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