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Bernd Lucke, Wirtschaftswissenschaftler und AfD-Mitbegründer nach seiner verhinderten Antrittsvorlesung.
© dpa / Markus Scholz
Update

Massive Störung bei Vorlesung von AfD-Gründer: Uni Hamburg sagt Bernd Lucke Schutz zu

Über die massive Störung der Vorlesung von AfD-Gründer Bernd Lucke ist eine hitzige Debatte entstanden. Auch der Ex-Politiker selbst meldet sich zu Wort.

Er wurde mit Papierkugeln beworfen, ein junger Mann rempelte ihn an und eine Frau versuchte mehrmals seinen Laptop zuzuklappen: Am Mittwoch hatten mehrere hundert Demonstranten an der Universität Hamburg die erste Vorlesung von AfD-Mitbegründer Bernd Lucke nach dessen Rückkehr an die Hochschule verhindert. Mittlerweile ist eine hitzige Debatte um den Vorgang entstanden.

Lucke selbst sagte dem Tagesspiegel: „Natürlich lasse ich mich davon nicht einschüchtern.“ Er sei bei seiner Rückkehr an die Uni insgesamt sehr freundlich aufgenommen worden. „Der Tag gestern war eine Ausnahme.“

Die Studierendenvertretung der Universität hatte unter dem Motto „Lucke lahm legen“ zu einer Protestkundgebung aufgerufen - aber nicht zur Störung der Lehrveranstaltung, wie der Asta im Anschluss erklärte. Im Auditorium des historischen Hauptgebäudes skandierten Aktivisten unter anderem „Hau ab“.

Nach etlichen vergeblichen Versuchen, sich Gehör zu verschaffen, hatte Lucke nach fast zwei Stunden den Hörsaal verlassen. Er wurde von Polizeibeamten an einem Seiteneingang abgeholt und zur Straße gebracht.

Lucke lobte, dass sich Studierende seiner Vorlesung „Makroökonomik II“ hinter ihn gestellt hätten. „Meine Studenten aus dem dritten Semester waren die einzigen, die Rückgrat gezeigt und mich verteidigt haben. Sie sind die ganzen anderthalb Stunden da geblieben, keiner hat trotz des ohrenbetäubenden Getöses den Saal verlassen. Und als die Randalierer versucht haben, zu mir vorzudringen, haben sie sie daran gehindert.“

In der Bedeutungslosigkeit versunken

Der Wirtschaftswissenschaftler Lucke war 2013 maßgeblich an der Gründung der AfD beteiligt und einer ihrer ersten Bundessprecher. 2014 hatte er sich von der Uni Hamburg beurlauben lassen, um als Berufspolitiker für die AfD ins Europaparlament zu wechseln. 2015 war er nach massiven Differenzen über den Kurs der AfD ausgetreten und hatte die Partei Alfa gegründet, die später in Liberal-Konservative Reformer umbenannt wurde und in der Bedeutungslosigkeit versank.

Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) und der Präsident der Universität, Dieter Lenzen, betonten am Mittwoch in einer Pressemitteilung, Lucke sei „pflichtgemäß an die Universität Hamburg zurückgekehrt“, nachdem er nicht wieder ins Europaparlament gewählt wurde. „Als Beamter der Freien und Hansestadt Hamburg hat er die Pflicht, seine Amtsaufgaben durchzuführen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Fegebank und Lenzen.

Zu den massiven Störungen seiner Vorlesung am Mittwoch erklären Senatorin und Unipräsident: Es gehöre „zu den grundgesetzlichen Pflichten und Rechten jedes Hochschullehrers“, seine wissenschaftlichen Lehrveranstaltungen abzuhalten. So sei der Staat denn auch „verpflichtet, die Durchsetzung dieser Rechte grundsätzlich zu gewährleisten“.

Lenzen und Fegebank zeigen dennoch Verständnis für die studentischen Proteste und verurteilten das Vorgehen nicht. Universitäten müssten als Orte der Wissenschaft die diskursive Auseinandersetzung auch über kontroverse gesellschaftliche Sachverhalte und Positionen führen und aushalten, hieß es – insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte.

Uni will Strafantrag stellen

Am Donnerstag kam dann allerdings eine "Ergänzung" zu der verständnisvollen Erklärung vom Mittwoch. Die Störungen seien "mit dem grundgesetzlich garantierten Schutz der Freiheit von Wissenschaft nicht zu vereinbaren", erklärte die Unileitung. "Die Ausübung von wie auch immer gearteter Gewalt" lehne man ab. Die Hochschule werde jetzt mit Politik und Ordnungsbehörden klären, in welcher Form Luckes Lehrveranstaltungen künftig sichergestellt werden könnten.

Bereits vor der Vorlesung vom Mittwoch habe es ein Gespräch mit Lucke gegeben. Polizeikräfte seien von Anfang an zugegen gewesen. Die Ausschreitungen zu unterbinden, sei in der Situation im Hörsaal aber nicht möglich gewesen - auch weil "möglichweise universitätsfremde Personen" in größerer Zahl anwesend waren.

Die Polizei habe nicht einschreiten wollen, "da keine Straftat festgestellt wurde". Gleichwohl werde die Uni "Strafantrag gegen Unbekannt" stellen.

„Mitverantwortung für die Verwerfungen in Deutschland“

Der Asta distanzierte sich schon am Mittwoch ausdrücklich von der massiven Störung der Vorlesung. Die Studierendenvertretung habe eine Kundgebung vor dem Hauptgebäude der Uni organisiert, „aber weder die Studierenden dazu aufgerufen, sich in die Vorlesung zu setzen, noch diese zu stören“, hieß es in einer Erklärung vom Mittwochabend.

Der Asta-Vorsitzende Karim Kuropka zeigte sich allerdings verwundert, dass die Proteste Lucke überrascht hätten. „Was hat er denn erwartet? Dass er nach alldem einfach wieder in den Elfenbeinturm zurückkommt und sein politisches Handeln keine Konsequenzen hat?“

Aus Sicht des Astas sollten keine weiteren Vorlesungen gestört werden: „Vielmehr sind wir an inhaltlicher und sachlicher Kritik interessiert“.

Die Protestkundgebung hatte der Asta damit erklärt, dass Lucke „mit der Gründung der AfD eine Partei geschaffen“ habe, „mit der heute eine Vielzahl emanzipatorischer Institutionen aus Kunst und Kultur, aber auch den Bildungsbereichen zu kämpfen hat“. Lucke trage „Mitverantwortung für die heutigen gesellschaftlichen Verwerfungen in Deutschland“. Es sei „unzumutbar“, dass er „ohne weiteres in den wissenschaftlichen Betrieb zurückkehren kann“.

Diese Vorwürfe klingen sehr viel moderater als die Sprechchöre der Studierenden im Hörsaal, wo unter anderem „Nazischweine raus aus der Uni“ skandiert wurde. Der Asta hebt in seiner Erklärung hervor, dass Lucke „stets beteuerte, selbst kein Rassist zu sein und solche Ressentiments in seiner Partei nicht zu dulden“. Gleichwohl hätten solche Personen „früh Zugang zum Hamburger Landesverband“ bekommen.

Die Studierenden kritisieren auch, dass Lucke als Wirtschaftswissenschaftler ein Modell vertrete, „welches einen schlanken Staat, den weiteren Abbau der Sozialsysteme und noch freiere Märkte fordert“.

Heftige Debatte auf Twitter

Auf Twitter wurden die erneute Vorlesungstätigkeit Luckes und die Proteste dagegen breit und teilweise scharf und kontrovers diskutiert. So schrieb Robin Mesarosch, Mediareferent im Bundestagsbüro von Außenminister Heiko Maas: „Bernd #Lucke ist der Gründer der erfolgreichsten deutschen Nazi-Partei seit der NSDAP. Er hat in einem Vorlesungssaal nichts verloren.“

Ein anderer User, der als „Pirat, Informatik- und Geschichtslehrer“ twittert, zieht einen Vergleich zur NS-Zeit: „Keinem muss gefallen, was Bernd #Lucke zu sagen hat. Aber auf ähnliche Weise haben nationalsozialistische Studenten seinerzeit jüdische Professoren von Universitäten vertrieben.“

Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz hält es „für falsch, Lucke nicht zu Wort kommen zu lassen“. Das erinnere ihn „weniger an Nazis, sondern an Zeiten 68ff, wo es pauschal gegen ,bürgerliche Wissenschaft’ ging“. Allerdings sollte auch festgehalten werden, „dass Lucke die Weichen für eine heute rechtsradikale AfD gestellt hat“, twittert Polenz.

Lucke sagte: „Ich halte die Vorwürfe, die mir gemacht werden, nicht für gerechtfertigt. Ich bin gerne bereit, mich sachlicher Kritik zu stellen. Aber das, was wir gestern erlebt haben, war keine sachliche Kritik.“ Er werde weiterhin unterrichten. Neben der Vorlesung „Makroökonomik II“ hält er noch eine kleinere Vorlesung sowie ein Seminar.

Am Donnerstagnachmittag dann moderierte Unipräsident Dieter Lenzen ein Gespräch zwischen drei Asta-Vertretern und Bernd Lucke. Zum Verlauf des Gesprächs kam von der Unileitung nur die vage Aussage, es habe "Einvernehmen über die Tatsachen der Ereignisse des gestrigen Nachmittags" bestanden. Lucke und der Asta wollten sich erst am Freitag mit eigenen Stellungnahmen äußern.

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