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Die Populationen von Orang-Utans auf der Insel Borneo sind drastisch zurück gegangen.
© Science/M. Ancrenaz

Artenschutz: Immer weniger Orang-Utans

Die Zahl der Menschenaffen auf Borneo sinkt rapide. Grund ist nicht das Abholzen der Wälder allein, wie eine Studie zeigt. Den Affen bleibt nur noch eine Chance.

Es ist eine höchst dramatische Entwicklung, die Maria Voigts Forschungsarbeit im Urwald von Borneo aufgedeckt hat: Innerhalb von gerade einmal 16 Jahren, zwischen 1999 und 2015, sind mehr als 100.000 Orang-Utans von der südostasiatischen Insel verschwunden – über die Hälfte der gesamten Population. Doch es gibt noch einen Funken Hoffnung für die Menschenaffenart. Das belegen die Zählungen der Forscherin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (EVA) und ihrer 40 Kollegen, die sie im Fachblatt „Current Biologie“ präsentieren: Insgesamt leben deutlich mehr Orang-Utans in den Wäldern Borneos als bisher vermutet wurde und gezielte Schutzmaßnahmen sollten die Art trotz der dramatischen Verluste vom Aussterben retten können.

Volkszählung im Regenwald Borneos

Eine Orang-Utan-Volkszählung ist alles andere als einfach. Die Tiere kennen sich in ihrem Regenwald nicht nur bestens aus, sie entdecken die Forscher auch lange bevor diese sie finden und zählen könnten. Daher konzentriert sich EVA-Forscher Hjalmar Kühl, der nicht nur Borneo-Orang-Utans sondern auch alle anderen großen Menschenaffen in Asien und Afrika zählen will, auf die Nester der Tiere in den Bäumen des Urwalds. Die Menschenaffen bauen sich nämlich aus Zweigen und Ästen hoch oben in den Bäumen gemütliche Betten.

„Die Tiere bauen normalerweise jeden Abend ein neues Nest für die kommenden Nacht“, sagt Kühl. Allerdings klappt das ähnlich wie der Bettenbau bei uns Menschen nicht immer auf Anhieb. So mancher Orang-Utan ist daher erst mit seinem zweiten Versuch zufrieden und das erste Nest des Abends bleibt kalt. Genau wie bei uns Menschen legt der eine oder andere Orang-Utan auch Wert auf eine Mittagsruhe und baut für seine Siesta ein zusätzliches Nest. Der Nachwuchs hingegen schläft in den ersten vier Lebensjahren bei der Mutter. Laut Statistik baut ein Orang-Utan daher täglich 1,12 Nester, benutzt sein Nachtquartier aber nur einmal.

Nester zählen, Affen schätzen

Ausgestattet mit diesem Wissen müssen die Forscher nun nur noch beobachten, wie schnell das Nest im Durchschnitt verrottet und in einem Gebiet die Zahl der Menschenaffen-Betten möglichst exakt ermitteln, um daraus die Anzahl der Orang-Utans der Region zu ermitteln. Da die Forscher nicht alle Gebiete genau erfassen können, schätzen sie schließlich ab, wie viele Tiere in ähnlichen, nicht untersuchten Regionen leben.

Mit Hilfe dieser Daten hat Maria Voigt dann für jedes Jahr von 1999 bis 2015 die Orang-Utan-Bevölkerungsdichte in den verschiedenen Gebieten von Borneo errechnet. Demnach lebten auf dieser Insel, die mit 752.000 Quadratkilometern mehr als die doppelte Fläche von Deutschland hat, 2015 nur noch etwa 70.000 bis 100.000 Orang-Utans. Und weil der Borneo-Orang-Utan Pongo pygmaeus nur auf dieser Insel lebt, handelt es sich dabei um die letzten Überlebenden ihrer Art.

„Auf diesen Karten sehen wir auch, wie sich die Populationen in den einzelnen Gebieten seit 1999 entwickelt haben und können daraus einige Schlüsse über die Probleme ziehen, mit denen Borneo-Orang-Utans kämpfen“, sagt Voigt. Laut Lehrbuch sind Orang-Utans Waldbewohner, die sich meist im Kronendach aufhalten. Wurden die Regenwälder abgeholzt und stattdessen Ölpalmen-Plantagen angelegt, zeigen die Karten in diesen Gebieten erwartungsgemäß dramatische Verluste. Entsprechend lebten in den Gebieten mit intaktem Urwald oder in Regionen, in denen nur einzelne Bäume geschlagen werden und die Natur sich ansonsten weitgehend selbst überlassen bleibt, auffallend viele Orang-Utans.

Noch haben die Borneo-Orang-Utans eine Chance

Voigts Untersuchungen zeigen aber, dass auch in vielen dieser naturbelassenen Regionen die Zahl der Orang-Utans zwischen 1999 und 2015 sank. Dafür könnten Jäger verantwortlich sein, denn in den Gebieten, in denen nicht gejagt wird, blieben die Populationen stabil. „Immer wieder stoßen Naturschützer und Forscher auch auf Orang-Utans, die eine Hand oder einen Fuß in einer Schlinge verloren haben, die Jäger ausgelegt hatten, um ganz andere Tiere zu fangen“, sagt Voigt. „Die Karten zeigen allerdings auch, dass die Orang-Utans viel flexibler sind als bisher vermutet.“ Bisher nahmen Zoologen an, dass die Menschenaffen auf intakte Regenwälder angewiesen sind. Heute dagegen wissen die Forscher, dass die Tiere auch in Gebieten vorkommen, die von Menschen beeinflusst sind. Solche Orang-Utans dringen allerdings auch in die Palmöl-Plantagen ein, die auf den abgeholzten Regenwaldflächen gepflanzt wurden, und bedienen sich an den Palmherzen. Das führt zu Konflikten mit den Plantagenbetreibern, die für viele Orang-Utans tödlich enden.

Sich von solchen Eingriffen zu erholen, dazu fehlt den Populationen die Zeit. Orang-Utans bringen nur alle sechs bis acht Jahre ein einziges Baby zur Welt. „Selbst wenn Menschen aus einer Gruppe von hundert Orang-Utans im Jahr nur ein einziges Tier entnehmen, könnte diese Gruppe nach einiger Zeit aussterben“, sagt Serge Wich von der Liverpool John Moores University, ebenfalls an der Studie beteiligt.

Um den Borneo-Orang-Utan zu retten, müssten die verbleibenden Wälder als Lebensraum geschützt und die Jagd gestoppt werden, fordert Voigt. Dann könnten die Borneo-Orang-Utans noch eine Chance haben.

Roland Knauer

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