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Nahe der Dschungelcamps auf Borneo leben Orang-Utans, allerdings gut versteckt.
© mauritius images

Auf der Spur von Menschenaffen: Die Könige von Sabah

"Waldmenschen" heißen sie auf Borneo: Orang-Utans. Die Suche nach den bedrohten Affen begründete den Ökotourismus in der Region.

In Rasa Ria beginnt sie also, die Suche nach dem roten Riesen. Dem Waldmenschen, wie der Orang-Utan übersetzt heißt, der seine Füße wie Greifarme benutzt und von dem tatsächlich nur ein Fuß zu sehen ist. Genauer: ein Abdruck. Wie bei einem Filmstar auf dem Hollywood Boulevard ist er in Beton gegossen. Vier lange Zehen, ein kleiner abgespreizter Daumen, als wäre dies das Zeugnis einer längst vergangenen Epoche.

Das ist kein völlig abwegiges Szenario. Der Orang-Utan ist eines der seltensten Säugetiere der Erde. Auf Borneo und Sumatra leben noch rund 45 000 Tiere, ein Rückgang von mehr als 50 Prozent in den vergangenen 20 Jahren. Wenn die Entwicklung so weitergeht, könnten die Tiere in 25 Jahren ausgestorben und nur noch in Zoos zu sehen sein.

Einen Orang-Utan in freier Wildbahn zu entdecken, wird zu einem exklusiven Erlebnis. Das erklärt zum Teil, warum sich immer mehr Menschen auf den Weg nach Malaysia oder Indonesien machen, die Menschenaffen zu finden. Andererseits kann man sich auf einer Reise zum Waldmenschen in eine andere Rolle begeben: in die des Abenteurers und Forschungsreisenden auf Zeit, der seine urbane Wohlfühlzone verlässt und in den ungezähmten Urwald aufbricht. Jeder Bankangestellte wird zu einem Charles Darwin für zwei Wochen – vorausgesetzt, er kann es sich leisten.

In Südostasien leben mehr Arten als in den Savannen Afrikas

Der Ökotourismus ist längst ein Geschäft geworden. Je mehr die Verstädterung der Welt zunimmt, desto wertvoller werden unberührte Biotope und die Reisen dorthin. In Ecuador bieten luxuriös ausgebaute Lodges Urlaub für Vogelbeobachter in einem der vogelreichsten Gebiete der Erde an, in Namibia können sich Touristen in einem exklusiven Camp auf die Spur der Nashörner begeben – und in Sabah wollen Reisende aus aller Welt den Orang-Utan sichten.

Hier im Nordosten Borneos lebt er noch, am östlichen Ende des Vielvölkergebildes Malaysia, im Bundesstaat Sabah. Der größte Berg Südostasiens thront im Landesinneren, der Mount Kinabalu mit über 4000 Metern, dichte Regenwälder, immergrüne Küstengürtel und wie auf Stelzen wuchernde Mangroven trotzen wachsenden Städten wie Kota Kinabalu und Sandakan.

Der Tourismus boomt, besonders der auf Naturerfahrungen spezialisierte. Es hat sich herumgesprochen, dass in den Urwäldern Südostasiens mehr Arten leben als in den Savannen Afrikas. Die Gegend ist nur nicht so gut erschlossen, neue Besucherzentren sollen das ändern. Der Orang-Utan steht ganz oben auf der Wunschliste der Touristen, doch planbar ist eine Begegnung nicht. Die ungezähmte Natur folgt keinem Stundenplan wie der Ablaufkalender eines geregelten Arbeitstages.

Dafür können Urlauber andere Tiere sehen, von denen sie am Tag zuvor noch nie etwas gehört haben. Selbst klassische Resorts wie das Rasa Ria begreifen das. Der Komplex am Südchinesischen Meer verfügt über einen bewaldeten Hügel, den man einfach der Natur überlassen und in ein Reservat verwandelt hat. Besuchern ist der Zutritt nur mit einem Wildhüter erlaubt. Ansonsten bleiben Makaken, Kantschile – kleine Hirsche – und Zikaden unter sich. Die verwaisten Orang-Utan-Babys, die mehr als zehn Jahre lang aufgepäppelt wurden, sind verschwunden.

Sie kamen in den Küstenurwald, wenn ihre Mütter durch Menschenhand umgebracht worden waren – Waldrodung, Wilderei, Unfall. Im Frühjahr ist der letzte ins Schutzzentrum nach Sepilok umgezogen, wo er an den Urwald gewöhnt wird. Nur der in Beton gegossene Fußabdruck erinnert an die Primaten. Eine Enttäuschung für die Gäste, eine Hoffnung für die Tiere. Vielleicht heißt das, dass die Menschen nicht mehr die seltenen Affen abschießen.

Die Schweinsaffen sind weniger scheu und leicht auf den Bäumen auszumachen.
Die Schweinsaffen sind weniger scheu und leicht auf den Bäumen auszumachen.
© Fernandez Campos

Die Kamers klicken, manche Gesichter sind keine Augenweide

Sechs Stunden mit dem Pick-up oder 35 Minuten mit dem Flugzeug entfernt liegt Sandakan. Die Stadt erlebt einen Aufschwung, weil um sie herum Palmölplantagen die Landschaft veröden. Tausende Quadratkilometer Monokultur, die Arbeit und Geldsegen bringen und den Menschenaffen ihren Lebensraum nehmen. Paradox, dass man erst an endlosen Kilometern seiner Vernichtung zusehen muss, um schließlich im Regenwald anzukommen. 130 Kilometer südlich von Sandakan liegt des Kitabangan-Becken, ein zusammenhängendes Waldgebiet. Der Fluss rauscht milchschokoladenfarben dem Pazifik entgegen, der Schlamm färbt den Strom dunkel ein, trotzdem kann der Silberreiher treffsicher einen Fisch aus dem Dreck erbeuten.

Rote Punkte bewegen sich auf dem Wasser hektisch hin und her. Es sind Touristen in ihren Schwimmwesten, die mit Einheimischen in Motorbooten über den Fluss knattern. Von dort aus sieht man sie am besten: die Urwaldaffen. Zuerst hängt eine Gruppe Langschwanzmakaken im Baum, schon etwas faul vom großen Fressen an diesem Tag. Zwei Tiere lausen sich, die anderen springen von Ast zu Ast, haarscharf am Sturz vorbei. Die Kameras klicken, die Affen blicken. Zwei gespannte Seile führen über einen dicht bewachsenen Seitenarm des Flusses. Orang-Utans können so über das Wasser klettern. Leider schwingt sich gerade keiner von den Bäumen herüber. Es ist, als würde man einen Schatten jagen.

Sukau flitzt vorüber, ein Dorf mit Anlegestellen, eingeschossigen Häusern auf Stelzen und Übernachtungshütten für Touristen. Eine Moschee ist im Bau, in dieser Region sind 90 Prozent der Menschen muslimisch. Ein Stück flussabwärts hat eine Gruppe Schweinsaffen zwei Bäume besetzt. Die Primaten heißen so, weil ihr kurzer Schwanz geringelt wie der des Haustieres ist – und ihr Gesicht, nun ja, auch nicht gerade eine Augenweide. Das kräftige Männchen schaut auffordernd die Menschen an und zieht seine Augenbrauen rhythmisch hoch wie eine Marionette. Macht mir nicht die Weibchen streitig, signalisiert er.

Die Natur ist eine Diva

Touristen versuchen auf Flusssafaris, vom Kitabangan aus, die Tiere zu entdecken.
Touristen versuchen auf Flusssafaris, vom Kitabangan aus, die Tiere zu entdecken.
© Fernandez Campos

Der Bootsmann dreht plötzlich eine dramatische Runde zum gegenüberliegenden Ufer, dort hängen sie in den Bäumen: Borneos Markenzeichen, die Nasenaffen. Manche Menschen finden ihre übergroße Nase grotesk hässlich. Was hat sich die Natur nur dabei gedacht? In unserer Welt, die auf Perfektion geeicht ist, wirken die Hängenasen wie Ausschlussmerkmale. Für die Männchen sind sie Zeichen ihrer Potenz. Je größer, desto besser.

Gerade passiert etwas. Das Alpha-Männchen, ein imposanter Affe mit wuchtiger Hängenase und kräftigen dunkelroten Beinen, stößt seltsame Laute aus, die vielleicht von einer kleinen Kuh oder einer rolligen Katze stammen könnten, er schwingt sich rasant durch den Baum und schüttelt an den Ästen. Die restlichen Tiere seiner Gruppe schaukeln bedenklich über dem Wasser, wie durch ein Wunder fällt nicht eines der Babys ins krokodilbevölkerte Nass.

Der Grund für dieses Verhalten: Im Baum gegenüber sitzt ein anderes Männchen mit seinem Harem, es schaut dem Rivalen genau ins Gesicht, was in der Menschenwelt einer Provokation wie einem Atomwaffentest Nordkoreas gleichkäme. Den Baum einmal durchschütteln, herumblöken und dem anderen seinen fetten Bauch zeigen – weiter geht heute Abend der Machtkampf nicht. Selten greifen Nasenaffen einander körperlich an. Und sowieso sind alle erschöpft, weil sie den ganzen Tag durch die Bäume gesprungen sind.

Zwergelefanten stehen am Ufer, wer braucht noch Affen?

Die Natur ist eine Diva. Sie zeigt einem nicht, was man sich erhofft hat: einen Orang-Utan. Dafür wartet sie am nächsten Morgen mit einer großen Überraschung auf. Elefanten! Der Bootsmann dreht mächtig auf. Haare formt der Gegenwind zu Föhnfrisuren aus den 1980er Jahren, Nashornvögel schrecken aus den Bäumen hoch und kreischen sich Verhaltensregeln zu: Bloß weg von diesen Verrückten! Und dann stehen sie mampfend am Ufer, etwa 30 Zwergelefanten. Nur 1000 Exemplare sollen laut WWF in den Urwäldern Borneos leben. Sie sind mit 2,50 Meter Schulterhöhe einen Meter kleiner als ihre Verwandten vom Festland, aber das größte Lebewesen des Kitabangan-Beckens. Gnadenlos rupfen die Tiere Äste ab und zermalmen sie kurzerhand. Zwei Jungtiere kämpfen spielerisch gegeneinander. Es ist ein erhabener Moment, wenn plötzlich auf einer Urwaldlichtung am Fluss diese grauen Riesen laut trompeten. Wer braucht jetzt noch Affen?

Dafür gibt es schließlich das Rehabilitation Centre in Sepilok. 20 Kilometer vor Sandakan liegt es, eine der bekanntesten Aufzucht- und Schutzstationen für Orang-Utans weltweit. Und eine der ältesten, sie wurde bereits 1964, kurz nach dem Abzug der britischen Kolonialmacht und der Ausrufung der malaysischen Unabhängigkeit eingerichtet. Ein 43 Quadratkilometer großer Wald, von dem ein Teil für Besucher zugänglich ist.

In der Aufzuchtstation werden Touristen plötzlich rührselig

Dutzende Busse fahren jeden Tag in Sepilok vor. Am Morgen und am Nachmittag drängen sich Amerikaner, Chinesen, Holländer, Deutsche an einem Aussichtspunkt, um der öffentlichen Fütterung beizuwohnen. Ein Mitarbeiter des Reservats platziert Früchte auf einer erhöhten Plattform, die einige Meter entfernt errichtet wurde. Seile führen aus dem Urwald direkt dorthin. Ein Aufseher ermahnt Kinder, still zu sein. Zuerst schwingt nur das Seil, dann sieht man einen buschigen langen Arm, schließlich hangelt sich der ganze Affe zum Baum hinüber. Endlich ein Waldmensch! Ein junges Weibchen, das hier aufgezogen wurde und nun langsam an den Dschungel gewöhnt wird.

Momentan bevölkern rund 30 Orang-Utans die Aufzuchtstation, hinzu kommen die wilden Menschenaffen, die im geschützten und unzugänglichen Teil leben. Wenn ein junger Orang-Utan hier landet, durchläuft er drei Stationen: Quarantäne, Aufzuchtstation, Freigehege. Danach bewegt er sich frei. Rund 600 Menschenaffen wurden seit 1964 auf diese Weise gerettet, was natürlich ein Witz ist angesichts der Tatsache, dass in derselben Zeit die Zahl um Tausende in ungeschützten Habitaten zurückgegangen ist.

In der Aufzuchtstation, dem Kindergarten für die Primaten, fallen solche Gedanken vor lauter Rührseligkeit ab. Hinter Glas sitzen verzückte Familien auf Treppenstufen und beobachten die Jungtiere, wie sie spielerisch ihre Fähigkeiten testen. Salamat, das junge Männchen, das beinahe haarlos ist: Kacy, das Weibchen, das bald geschlechtsreif wird; Stonehead, der eine Schädelform wie ein Stein hat. Sie schwingen, hangeln und greifen mit den Füßen nach Spielzeug.

Halten sich die Tiere zu lange auf dem Boden auf, kommt ein Pfleger und scheucht sie auf. Die Affen sollen begreifen, dass nur die Baumwipfel Sicherheit versprechen. Denn das ist am Ende die größte Einsicht, die eine Reise in die Wälder Malaysias mit sich bringt. Der größte Feind all dieser Lebewesen, vor dem sie sich im Dickicht verstecken oder ins Unterholz flüchten, das ist derjenige, der seine Nase am Panzerglas vor den Orang-Utans plattdrückt: der Mensch.

Reisetipps für Malaysia

ANREISE

Von Berlin nach Kuala Lumpur geht es ab 600 Euro in der Economy mit Air Berlin/Etihad oder mit Qatar, allerdings teils lange Aufenthalte. Von Kuala Lumpur fliegen Malaysia Airlines oder Air Asia mehrmals täglich nach Kota Kinabalu und Sandakan. Preise ab 80 Euro hin und zurück.

ÜBERNACHTEN
Ein gutes Hotel für einen Zwischenstopp in Kuala Lumpur: das Traders mit der unschlagbaren Aussicht auf die Doppeltürme der Petronas Towers (ab 97 Euro im DZ). Das Rasa Ria Resort bei Kota Kinabalu ist ideal für Familien und beginnt ab 150 Euro pro Nacht. Die Urwaldlodges am Kitabangan werden gewöhnlich im Paket für zwei oder vier Nächte inklusive Transfer von Sandakan, Verpflegung und Exkursionen angeboten. Sukau Rainforest Lodge ab 380 Euro pro Person, Borneo Nature Lodge ab 340 Euro.

INFOS
Übersicht über die touristischen Ziele der Region bietet sabahtourism.com – über das Land: tourism.gov.my.

Ulf Lippitz

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