zum Hauptinhalt
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit im August 2011 bei einem Besuch des Max-Delbrück-Centrums (MDC) in Berlin-Buch. MDC-Forscher kommen am neuen BIG mit Medizinern der Charité zusammen.
© Ausserhofer/Copyright MDC (promo)
Update

Institut für Gesundheitsforschung in Berlin: Hickhack um Berliner Eliteprojekt

Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum hält die Fusion der Charité-Forschung mit dem Max-Delbrück-Centrum zum BIG/BIH für überflüssig. Von der Linken kommt jetzt Zuspruch

„Eine Einrichtung von Weltrang“ soll in Berlin entstehen. So formulierte es die damalige Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU), als sie im Februar 2012 die Gründung des „Berliner Instituts für Gesundheitsforschung (BIG)/Berlin Institute of Health (BIH)“ verkündete. Teile der Charité-Forschung werden dazu mit dem Max-Delbrück-Centrum (MDC) in Berlin-Buch fusioniert, das zur Helmholtz-Gemeinschaft gehört. Das BIG gilt als Blaupause für weitere Standorte von nationaler Bedeutung, die der Bund später ebenfalls im großen Stil fördern könnte. Bis 2018 sollen 311,7 Millionen Euro ins BIG fließen, 90 Prozent davon trägt der Bund, den Rest das Land. Die Unternehmerwitwe Johanna Quandt stiftet weitere 40 Millionen.

Finanzsenator Ulrich Nußbaum
Finanzsenator Ulrich Nußbaum wird mit dem BIG nicht warm.
© dpa

Doch dem Vorzeigeprojekt bläst Wind aus der Berliner Politik entgegen. Der Finanzsenator will das Geschenk des Bundes nicht. Er hält das BIG für ein finanziell riskantes und letztlich überflüssiges Projekt. Der Senat solle sich noch einmal „politisch mit dem Themenkomplex“ befassen. Er solle klären, ob das BIG „notwendig und die weiterhin zu präferierende Lösung ist“, heißt es in einem Schreiben vom 6. August, das dem Tagesspiegel vorliegt.

Der dreiseitige Brief stammt vom zuständigen Referatsleiter der Finanzverwaltung und ist an die Senatsverwaltung für Wissenschaft gerichtet, Durchschriften gingen an die Senatskanzlei und an drei weitere beteiligte Senatsverwaltungen. Dass der Referatsleiter im Sinne Nussbaums handelt, gilt als sicher. Zu hören ist, auch andere Briefe aus Nußbaums Verwaltung zum BIG hätten die gleiche Stoßrichtung. Aus der Wissenschaftsverwaltung heißt es, die Verhandlungen mit Nußbaum über das BIG seien immer „zäh“ gewesen. Eine Stellungnahme Nußbaums war bis zum Redaktionsschluss nicht zu erhalten.

"Erhebliche Probleme in der Wirtschaftsführung"

„Wir nehmen das Schreiben sehr ernst“, sagt Ernst Theodor Rietschel, der Vorstandsvorsitzende des BIG, auf Anfrage. „Aber wir sind mit vollem Schwung unterwegs und lassen uns nicht aufhalten.“ Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos für die SPD) wird nachgesagt, dass er das BIG nie wollte. Doch nun, da der Senat einen Gesetzentwurf zur Einrichtung des BIGs vorlegen muss, bringt Nußbaum neue Argumente: Die Lage habe sich nach dem Abschluss der Verwaltungsvereinbarung mit dem Bund geändert. So seien „erhebliche Probleme in der Wirtschaftsführung, der Trennungsrechnung und der Bilanzierung sowohl bei der Charité als auch beim MDC“ aufgetreten.

Die Charité müsse "betriebswirtschaftlich optimiert" werden

Damit bezieht sich der Finanzsenat zum einen auf ein Defizit von fast 13 Millionen Euro, das das MDC im Jahr 2012 erwirtschaftet hatte. Zum anderen ist der schwere Konflikt um Forschungsmittel an der Charité in diesem Jahr gemeint. Annette Grüters-Kieslich, der Dekanin, wurde vorgeworfen, sie habe die Existenz von 40 Millionen Euro verschleiert.

Ein weiteres Argument aus Nußbaums Haus: Es sei zu befürchten, dass das BIG „erhebliche negative Auswirkungen auf den Krankenhausbetrieb der Charité haben wird“. Das BIG werde „in der vorgesehenen Konstruktion voraussichtlich die Kooperation zwischen Vivantes und Charité nachhaltig“ beeinträchtigen, „da das Erschließen betriebswirtschaftlich notwendiger Synergieeffekte erschwert wird“. Die Charité müsse aber „betriebswirtschaftlich optimiert“ werden.

Die Gründung des BIG als Körperschaft sei inzwischen erst recht nicht nötig, weil eine Änderung des Grundgesetzes auf dem Weg ist, heißt es in dem Brief: Da der Bund Hochschulen schon bald auch langfristig fördern darf, könne „zusätzlicher Personal- und Sachaufwand für eine weitere, neue Forschungseinrichtung“ „entfallen“. Die mit dem BIG verfolgten Ziele könnten ohne das Institut „auf der Basis von Kooperationsverträgen (...) besser erreicht werden“.

Das BIG scheint aktuell nicht gut beschützt

Diese Argumente sind alle an den Haaren herbeigezogen, meinen hinter den Kulissen Freunde der Wissenschaft. Es gibt Stimmen, die mutmaßen, Nußbaum gönne seinem früheren Widersacher, dem damaligen Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD), einfach keinen Erfolg. Zöllner ist der spin doctor des BIG.

Nußbaums Attacken werden in der Wissenschaft als besonders unangenehm empfunden, weil die Personen, die das BIG aus der Taufe gehoben haben, nicht mehr da oder auf dem Rückzug sind, das BIG aktuell also nicht gut beschützt scheint. Zöllner hat den Senat längst verlassen. Schavan regiert ebenfalls nicht mehr. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) zieht sich zurück. In der Wissenschaft ist es nicht anders: Der bisherige MDC-Chef Walter Rosenthal ist gerade Präsident der Universität Jena geworden. Ernst Theodor Rietschel, der Vorstandsvorsitzende des BIG, verlässt das Institut im Mai, ein Nachfolger ist noch nicht gefunden. Annette Grüters-Kieslich wird ihr Amt als Dekanin der Charité nach dem Konflikt über die Forschungsmittel zum Jahresende niederlegen.

"Sag erst zu, wenn alles klar ist!"

Trotz solcher Verluste unter den Anwälten des BIG scheint es unwahrscheinlich, dass Nußbaum sich durchsetzt. Rietschel ist zuversichtlich, dass Wowereit ein Machtwort sprechen wird. Berlins Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD) teilt auf Anfrage mit: „Die Entscheidung für dieses Zukunftsprojekt wurde abschließend im Senat beschlossen und mit dem Bund vereinbart. Das Projekt wird über Parteigrenzen hinweg begrüßt, Gründungsvertrag und Verwaltungsvereinbarung sind durchs Abgeordnetenhaus gegangen.“ In wenigen Wochen soll es ein „Chefgespräch“ mit Wowereit geben.

Auch der Beamte aus der Finanzverwaltung rechnet damit, dass der Senat trotz aller Warnungen am BIG festhält. In diesem Fall müsse der Gesetzentwurf aber stark verändert werden, schreibt er. Es folgen ein Dutzend Punkte. Gefordert wird vor allem, die finanzielle Haftung des Landes zu beschränken und ein kaufmännisch versiertes Vorstandsmitglied mit Vetorecht vorzuschreiben. Scheeres erklärt dazu: „Natürlich kann man immer über Details und einzelne Formulierungen sprechen, das ist normal und gehört zum Gesetzgebungsverfahren.“

Wegen des Hickhacks wird es für den Senat jedenfalls schwierig, das BIG-Gesetz noch in diesem Jahr durch das Parlament zu bringen und das BIG wie geplant am 1. Januar zu einer vollrechtsfähigen Körperschaft zu machen. Für die Forscher am BIG ist die Verzögerung kein Problem, wie Rietschel sagt: „Wir sind dann einfach weiter ans MDC angebunden.“ Schlimm sei aber, dass der Bund sich von den Vorgängen „düpiert“ fühlen dürfte und Wissenschaftler verunsichert würden: „Meinem potenziellen Nachfolger würde ich empfehlen: ,Sag erst zu, wenn alles klar ist!‘“, sagt Rietschel.

Zustimmung bekam Nußbaum am Donnerstag aus der Linkspartei: „Man muss Nußbaums Bedenken mit Blick auf mögliche finanzielle Risiken ernst nehmen“, sagte Wolfang Albers, der wissenschaftspolitischer Sprecher der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, dem Tagesspiegel auf Anfrage. „Das ist ein Dämpfer für alle, die das BIG unkritisch bejubelt haben.“ Das BIG sei eine „merkwürdige Konstruktion“, mit der sich die Politik vor dem wahren Problem drücke, nämlich der strukturellen Unterfinanzierung der Universitätsmedizin. Die Länder seien mit diesem Thema überfordert, eigentlich müsse die Unimedizin Sache des Bundes sein, meint Albers.

Anja Kühne

Zur Startseite