Cannabis in der Medizin: Heilkraut Hanf
Wenn nichts anderes mehr hilft, soll Cannabis einem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zufolge künftig als Therapie von den Kassen bezahlt werden. Die Apotheker wollen das durch Rezepturvorschriften für Blüten und Extrakte flankieren.
Er hat erstmals seit Monaten ganze Nächte durchgeschlafen, seine Füße kribbeln nicht so unangenehm wie sonst, er isst mit Appetit wie lange nicht mehr: Das Kiffen hat dem Parkinson-Patienten neues Wohlbefinden gebracht. Doch sein Hausarzt, dem er begeistert von der Cannabis-Wirkung berichtet, kann ihm den Stoff nicht beschaffen. In seiner Not begibt sich der biedere Hans Beimer in den düstersten Ecken eines einschlägig bekannten Parks auf die Suche nach Dealern. Für den Stoff, den andere als Genussmittel gebrauchen, von dem er sich aber Linderung seiner chronischen Leiden verspricht.
So stellte sich die Lage in einer der letzten Folgen der TV-Serie „Lindenstraße“ dar, die den beziehungsreichen Titel „Hanf Beimer“ trug. Dass abendliche Joints das Zeug dazu haben, das Befinden eines schwer Parkinson-Kranken so verblüffend zu verbessern, muss man wohl als Ausdruck der künstlerischen Freiheit der Serien-Macher verbuchen. Die wissenschaftliche Studienlage gibt es jedenfalls nicht her.
In Deutschland ist bisher nur ein Präparat zugelassen
Dass es derzeit schwer ist, Cannabis zur Therapie einzusetzen, ist dagegen ein Faktum: In Deutschland ist nur ein Präparat, das Extrakte aus Blättern und Blüten der alten Kulturpflanze enthält, als Arzneimittel zugelassen. Das Spray mit dem Handelsnamen Sativex können sich Patienten mit Multipler Sklerose in die Mundhöhle sprühen, wenn sie unter mittelschweren bis schweren Krämpfen leiden. Es enthält Extrakte aus Cannabisblättern und -blüten und hat einen standardisierten Gehalt an Delta-9 –Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Unter den über 400 Inhaltsstoffen gelten diese Cannabinoide als für den medizinischen Einsatz besonders relevant.
Ein anderes Fertigarzneimittel namens Marinol darf von Apotheken bei Vorlage eines ärztlichen Rezepts aus Kanada und USA importiert werden. Mit einer speziellen Genehmigung der Bundesopiumstelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) können Patienten, deren Arzt glaubhaft machen kann, dass keine anderen Möglichkeiten zur Behandlung ihrer Symptome bestehen, darüber hinaus Cannabis-Blüten aus der Apotheke beziehen. Bisher haben 779 Patienten eine solche Ausnahmeerlaubnis bekommen. Und nach einer Aufsehen erregenden gerichtlichen Entscheidung dürfen Kranke wie Hans Beimer auch Hanf auf dem häuslichen Balkon anbauen - sofern herkömmliche Mittel nicht helfen und Cannabis aus der Apotheke für sie unerschwinglich ist.
Eigenanbau? Das ist keine Alternative, sagen die Apotheker
Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) lehnt das aus Gründen der Arzneimittelsicherheit entschieden ab. Wie bei allen pflanzlichen Produkten, die nicht unter standardisierten Bedingungen angepflanzt werden, schwankt schließlich die Konzentration der Wirkstoffe, zudem kann es Verunreinigungen geben. In der Antwort auf eine kleine Anfrage äußerte sich auch die Bundesregierung nach dem Urteilsspruch ablehnend gegenüber dem Eigenanbau.
Ein Kabinettsentwurf von Bundesgesundheitsminister Gröhe eröffnet nun neue Perspektiven: Ein eng eingegrenzter Kreis von Patienten soll Blüten oder Extrakte auf Kassenrezept bekommen können, begleitet von einer anonymisierten Erhebung zu Forschungszwecken, die zunächst 60 Monate dauern soll. Nach dem Vorbild anderer Länder ist zudem eine beim BfArM angesiedelte Cannabisagentur geplant, die den Anbau der Pflanzen zu medizinischen Zwecken regelt.
Das Rezept sollte den Gehalt der Leitsubstanzen THC und CHB nennen
„Wenn es den politischen Willen gibt, die alte Heilpflanze wieder in die Therapie einzubringen, muss die Qualität gesichert sein“, sagte jetzt bei einem Symposium der Bundesapothekerkammer deren Präsident Andreas Kiefer. Neben dem Gehalt an wirksamen Leitsubstanzen in der Pflanze selbst meint er damit auch deren Verarbeitung und nicht zuletzt Vorschriften zur Rezeptur. Die Kommission Deutscher Arzneimittel Codex/Neues Rezeptur Formularium (DAC/NRF) der Kammer hat jetzt einen Fachtext („Monographie) zu Cannabisblüten veröffentlicht. Sie wurde am Mittwoch in Berlin vorgestellt.
Man wolle damit Qualitätsanforderungen definieren und auch Empfehlungen zu Darreichungsformen erarbeiten, so Kiefer. Bis das Gesetz in Kraft trete, könne man neue Rezepturvorschriften zum Inhalieren oder Einnehmen der Extrakte oder Blüten erarbeiten. „Joints und ‚Kekse‘ sind hier jedenfalls ungeeignet.“ Wichtig ist nach Ansicht der Apotheker aber auch, dass die ärztliche Verordnung, mit der der Patient in die Apotheke kommt, eine konkrete Sorte und einen bestimmten Gehalt an den Leitsubstanzen THC und CBD benennt. Selbst wenn noch nicht klar ist, ob das Zusammenspiel der verschiedenen anderen Substanzen einen Teil der Wirkung ausmacht – wie das auch von anderen pflanzlichen Arzneimitteln immer wieder berichtet wird.
Gegen spastische Lähmungen und Gewichtsverlust
Die Ausnahmegenehmigungen sind nach Auskunft von Peter Cremer-Schaeffer, Leiter der Bundesopiumstelle, bisher vorwiegend für Menschen mit starken Schmerzen beantragt worden, aber auch gegen Appetitlosigkeit von Krebskranken oder gegen Symptome von MS und dem Tourette-Syndrom. Das geplante neue Gesetz sieht Cremer-Schaeffer nur als Übergangslösung. Langfristig brauche man geprüfte und zugelassene Fertigarzneimittel auf der Basis von Cannabis. „Der Sonderweg sollte wieder in einen normalen Weg münden.“
Gute klinische Studien, die die Voraussetzung dafür wären, fehlen allerdings nach wie vor. Auch wenn aus der Grundlagenforschung immer wieder Daten kommen, die optimistisch stimmen. Im Februar-Heft der Fachzeitschrift „Der Schmerz“ sind die bisherigen Erkenntnisse zu den Cannabinoiden zusammengetragen. Dass sich spastische Lähmungen bei MS bessern können, ist nachgewiesen, ebenso, dass HIV-und Alzheimer- Patienten unter der Therapie an Gewicht zulegen. Gegen Schmerzen, Brechreiz und Übelkeit von Tumor-Patienten wirke Cannabis dagegen nur mäßig und schlechter als andere Mittel, so Charité-Anästhesist Michael Schäfer.
Der Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft begrüßte die Initiative der Bundesregierung trotzdem. „Als Ärzte sehen wir immer wieder Einzelschicksale, die von Cannabis durchaus profitieren könnten.“ Nicht ausgeschlossen, dass Hans Beimer aus der „Lindenstraße“ einer dieser Einzelnen ist.