Wenige Influenza-Tote: Haben die Corona-Maßnahmen die Grippewelle beendet?
In manchen Jahren sterben in Deutschland Tausende an der Grippe. Neue Zahlen zeigen, dass die Kontaktsperren die diesjährige Welle wohl verkürzt haben.
Vielleicht brauchte es die Corona-Pandemie, um der breiten Öffentlichkeit bewusst zu machen, dass auch die Grippe eine tödliche Krankheit ist. Etwa 25.000 Menschen starben vor zwei Jahren in Deutschland an Influenza-Folgen. Sie und Covid-19 werden beide durch Viren ausgelöst, die durch zwischenmenschliche Kontakte übertragen werden.
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Noch nie gab es so strenge Maßnahmen wie jetzt, um diese Übertragung zu verhindern. Hat das auch die Grippewelle beeinflusst? Neuen Zahlen zufolge gibt es diesen Winter tatsächlich erstaunlich wenige Grippe-Erkrankungen. Das ist bisher bekannt:
Die meisten Grippefälle wurden in der zehnten Kalenderwoche ab 2. März gemeldet: 26.474. Schon drei Wochen später gilt die Grippewelle als beendet. Da gab es nur noch 3756 neue Fälle. Ein ungewöhnlich steiler Rückgang.
Kinder spielen eine wichtige Rolle bei Grippeübertragung
Nächstes Indiz: Das Robert-Koch-Institut wertet jedes Jahr zusätzlich Patientenproben auf verschiedene Viren aus. In dieser Erhebung fällt auf: Der Anteil positiv auf Influenza getesteter Proben nach der Kalenderwoche 10 fällt rapide.
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Das gab es in den letzten drei Saisons nicht – außerdem war die Grippewelle diesmal um mindestens zwei Wochen kürzer als die drei letzten, sagt das RKI. „Zu dieser Verkürzung dürften die bundesweiten Maßnahmen zur Eindämmung und Verlangsamung der COVID-19-Pandemie in Deutschland erheblich beigetragen haben“, heißt es in dem Bericht. „Da Kinder für die Verbreitung der jährlichen Grippe eine wesentliche Rolle spielen, sind hier insbesondere die Schulschließungen ab der 12. KW 2020 zu nennen.“
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In der Woche ab dem 9. März gab es die ersten Absagen von Großveranstaltungen. Das Kontaktverbot trat zwei Wochen später in Kraft.
Patientenbefragung: Niedrigster Wert seit Aufzeichnungsbeginn
Ein weitere Datenquelle bestätigt die Ausbremsung der Grippewelle: Das „GrippeWeb“ des RKI ermittelt in jeder Grippesaison, wie oft typische Atemwegserkrankungen (ARE) auftreten, um die Labortests zu ergänzen. Denn nicht jeder Mensch mit Grippe geht gleich zum Arzt. Dafür befragt das Team jede Woche einige tausend Menschen, ob sie eine Atemwegserkrankung haben.
Das RKI hat dabei festgestellt, dass schon in der 14. Kalenderwoche 2020 nur noch 1,7 Prozent der Teilnehmenden von einer Atemwegserkrankung berichteten. Und bei den grippeähnlichen Erkrankungen (ARE mit Fieber) wurde sogar der niedrigste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen ermittelt. Nur 0,2 Prozent der 5239 Teilnehmenden berichteten davon.
Das Institut hält den diesjährigen Abfall der ARE-Raten für extrem ungewöhnlich. In den drei Jahren zuvor konnte nichts derartiges beobachtet werden. Ein klarer Hinweis darauf, dass die Kontaktbeschränkungen die Ausbreitung von Atemwegserkrankungen verlangsamen, so das RKI.
Weniger Grippetote als letztes Jahr
Jetzt zu schlussfolgern, dass die Corona-Beschränkungen alleine für die schwache Grippewelle verantwortlich sind, wäre allerdings falsch. Vor den Kontaktbeschränkungen war der Winter 19/20 sowieso eine vergleichsweise milde Grippesaison. Und die Grippewelle flaute bereits ab, als die Anti-Corona-Maßnahmen in Kraft traten.
Das bestätigt Klaus Schughart vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung dem Tagesspiegel. Die Maßnahmen gegen das neue Coronavirus fingen also zu spät an, um die Spitze aus der diesjährigen Grippewelle nehmen zu können.
Wir können allerdings sehen, dass dieses Jahr weniger Menschen an Influenza gestorben sind als 2018/19. Bisher wurden 185.535 labordiagnostisch bestätigte Influenzafälle an das RKI übermittelt. Seit Beginn der Überwachung in der 40. Woche 2019 wurden insgesamt 460 Todesfälle mit Influenza-Infektion gemeldet.
In der gleichen Zeitspanne der Vorsaison gab es 367 Todesfälle mehr, also 827. Es sieht so aus, als hätten wir mit dem Zuhausebleiben auch einige Grippe-Tote verhindert.