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Eine Ärztin impft eine 90-jährige Frau in einem Impfzentrum in Frankfurt gegen das neuartige Coronavirus. Folgen der Erkrankung wären wahrscheinlich schwerwiegender als mögliche Folgen der Impfung.
© Boris Roessler/dpa
Update

Hochbetagt, geimpft, verstorben: Gesundheitsbehörden untersuchen Todesfälle nach Covid-19-Impfung

In vielen Ländern erhalten jetzt alte Menschen eine Covid-19-Impfung. Einige starben kurz danach. Sind jetzt Konsequenzen nötig?

Es gehört zum Leben dazu, dass Menschen sterben. Und in einem Land mit guter Gesundheitsversorgung und vergleichsweise hohem Durchschnittsalter sind dies vor allem die Alten: 2018 gab es nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Deutschland ungefähr 950.000 Todesfälle. Etwa zwei Drittel dieser Menschen waren älter als 75 Jahre.

Derzeit werden möglichst viele über 80-Jährige in Deutschland gegen Covid-19 geimpft. Bis zum 17. Januar waren es insgesamt rund 1.100.000, gut die Hälfte der Personen waren wegen ihres Alters geimpft worden oder weil sie in einem Pflegeheim wohnen. Unter den Geimpften verstarben 21 Personen zwischen einer Stunde bis 14 Tagen nach der Impfung. Sollte die Impfstrategie „Hochbetagte zuerst“ nun vorsichtshalber geändert werden?

Am Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen werden Daten zu Begleiterscheinungen von Impfungen zusammengetragen – auch solche zum zeitlichen Zusammenhang zwischen Impfung und Versterben. Entscheidend ist die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang: Sind die Betroffenen gestorben, weil sie die Dosis erhalten haben oder hat diese zumindest dazu beigetragen?

Notwendige Abwägung

Sie zu beantworten ist schwer. Das liegt auch an einem tatsächlich belegten anderen Zusammenhang: dem zwischen hohem Alter und Sterbewahrscheinlichkeit.

In Deutschland sind in der Altersgruppe über 75 Jahre im Durchschnitt jeden Tag mehr als 1500 Todesfälle zu erwarten. Die nach der Impfung Verstorbenen waren zwischen 56 und 99 Jahre alt, im Durchschnitt älter als 83 Jahre. Zehn von ihnen litten an Vorerkrankungen. Ihr Sterberisiko war also zusätzlich erhöht. Zwei verstarben kurz nach der Impfung - bevor sie Wirkung zeigen konnte - an Covid-19. Bei den übrigen neun ist die Todesursache unbekannt. berichtet das PEI. Es ist nicht auszuschließen, dass Impfkomplikationen auftraten und sie an diesen verstorben sind.

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Nachzuweisen, dass dieses Risiko besteht, ist schwierig, da die Fallzahlen gering und die Sterblichkeit in der Gruppe relativ hoch ist. Das Risiko zu kennen wäre aber notwendig, um es gegen das Risiko einer Erkrankung an Covid-19 mit ihren möglicherweise schweren Folgen abwägen zu können.

Die norwegische Gesundheitsbehörde hat ihre Anweisungen zur Impfung der Bevölkerung gegen Covid-19 kürzlich erweitert. Ärzte sollen die mögliche Gefährdung älterer und gebrechlicher Menschen stärker berücksichtigen und die Vorteile und Risiken der Impfung mit den Patienten und ihren Angehörigen besprechen. Erst dann soll entschieden werden, ob eine Impfung erfolgt. In dem Land, in dem wie in Deutschland alte Personen zuerst geimpft werden, sind 23 Menschen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung verstorben.

Eine Spritze mit dem Impfstoff von Biontech-Pfizer wird in eine Impfkabine gebracht.
Eine Spritze mit dem Impfstoff von Biontech-Pfizer wird in eine Impfkabine gebracht.
© Boris Roessler/dpa Pool/dpa

„Es gibt keinen gesicherten Zusammenhang der Impfung zu den Todesfällen“, zitiert die Fachzeitschrift „British Medical Journal“ Steinar Madsen, den medizinischen Direktor der norwegischen Arzneimittelbehörde. Nach der Untersuchung von 13 der Fälle schließt die Behörde jedoch nicht aus, dass häufige Nebenwirkungen der Impfung wie Fieber, Übelkeit und Durchfall zum tödlichen Ausgang beigetragen haben könnten. „Es könnten Zufälle sein, aber wir sind nicht sicher“, sagte Madsen.

Das norwegische Institut für öffentliche Gesundheit urteilt, dass „für sehr gebrechliche Menschen selbst relativ milde Impfstoffnebenwirkungen schwerwiegende Folgen“ haben könnten. Hier könne der Nutzen „marginal oder irrelevant“ und die Impfung daher zu riskant sein.

Es gebe aber „keine Altersgrenze, ab der eine Impfung gefährlicher für den Patienten ist als die Erkrankung selbst“, sagte Hans Jürgen Heppner, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie, dem Tagesspiegel. Selbst wenn man aufgrund bekannter Vorerkrankungen davon ausgehen müsse, dass eine Person anfällig für Nebenwirkungen ist, sei die Gefahr durch die Infektion höher. Bei einer Ansteckung sei das Versterben der Person auch wegen eben jener Vorerkrankungen sehr wahrscheinlich, sagt Heppner.

Akzeptable Nebenwirkungen

In der klinischen Erprobung des bislang meist verabreichten Covid-19-Impfstoffs von Biontech und Pfizer wurden verschiedene Nebenwirkungen dokumentiert. Besonders häufig sind neben Schmerzen an der Injektionsstelle Müdigkeit, Kopfschmerzen und Frösteln aufgetreten. Diese Nebenwirkungen sind auch von der Impfung mit dem ebenfalls in Deutschland zugelassenen Impfstoff von Moderna aus der klinischen Zulassungsstudie bekannt, der bis zum 17. Januar aber nur etwa 2.700 Mal verabreicht worden war.

Die Nebenwirkungen seien „ziemlich vergleichbar zwischen den beiden Impfstoffen“, sagte PEI-Chef Klaus Cichutek während einer Pressekonferenz. „Das sind die erwarteten, akzeptablen, vorübergehenden Nebenwirkungen, die keinen Schaden in irgendeiner Form nach sich ziehen.“. Im Vergleich zu Grippeimpfungen seien ihre Häufigkeit und Intensität nur leicht erhöht.

„Man kann diese Dinge auch schon im Vorfeld abfangen“, sagt Heppner, der Chefarzt der Geriatrischen Klinik am Helios Klinikum Schwelm ist. So könnten Mittel gegen Übelkeit gegeben werden oder Infusionen um Flüssigkeitsverlusten bei Erbrechen vorzubeugen. Ein gewisses Restrisiko bleibe „in der Medizin aber immer“. Heppner glaubt nicht, dass man die nun Verstorbenen vor der Impfung als besonders gefährdet hätte erkennen können, auch weil die Erfahrungen mit dem Impfstoff noch begrenzt seien.

„Wir haben es hier mit neuen Impfstoffplattformen zu tun“, erklärte Brigitte Keller-Stanislawski vom PEI. Es sei eine Herausforderung, dass man nicht auf die Sicherheitserfahrungen mit bereits bekannten Impfstoffen zurückgreifen könne, so sie Leiterin der Abteilung Sicherheit von Arzneimitteln und Medizinprodukten.

Die Impfstoffe von Biontech und Pfizer sowie Moderna nutzen die Technologie mit mRNA. Diese Substanz dient in Körperzellen als Arbeitskopie der genetischen Information im Zellkern, als Bauplan für Proteine. Die künstlich hergestellte mRNA der Impfstoffe enthält die Bauanleitung für das Spike-Protein von Sars-CoV-2, mit dem das Virus an menschliche Zellen andockt.

Beide mRNA-Impfstoffe sind so modifiziert, dass die Reaktionen auf die Impfung etwas gedämpft und Überreaktionen des Immunsystems verhindert werden sollten. Das anhand der Impfstoff-mRNA in den Zellen produzierte Spike-Protein wird von der Körperabwehr als „fremd“ erkannt und löst die Produktion von Antikörpern aus. Obwohl das Verfahren erstmals bei Menschen angewandt wird, habe man doch „hinreichende Kenntnisse über die physiologischen Mechanismen“, sagte Cichutek.

„Potenzial für Verzerrungen“

Dieses Wissen und die in den Zulassungsstudien mit Zehntausenden Patienten einschließlich von Menschen aus Risikogruppen erhobenen Daten reichen jedoch noch nicht aus: „Wir können sehr seltene unerwünschte Ereignisse oder auch Risiken für sensible Bevölkerungsgruppen nicht zuverlässig beurteilen“, sagte Keller-Stanislawski. Selbst in den groß angelegten Studien reichen die Fallzahlen nicht aus, um zu robusten Aussagen über besondere Risiken zu kommen.

Normalerweise würden Nebenwirkungen von Impfstoffen nach der Zulassung zudem in Kohortenstudien weiterverfolgt, in denen ihr Auftreten in unterschiedlichen Altersgruppen untersucht wird. Weil derzeit alte Menschen und medizinisches Personal zuerst geimpft würden, so Keller-Stanislawski, fehle aber dieser Vergleich zu anderen Gruppen. Es gebe „Potenzial für Verzerrungen“.

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In Deutschland gilt eine Meldepflicht für Impfkomplikationen. Im Gesundheitswesen Tätige und auch Betroffene selbst sollen Verdachtsfälle an das PEI melden, etwa über dessen Homepage. „Wir haben eine sehr niedrige Meldeschwelle“, sagt Keller-Stanislawski. Das PEI bietet auch die App. „SafeVac“ an, mit der geimpfte Erwachsene „unerwünschte Ereignisse“ anonym melden können.

Schwerwiegende Reaktionen

Bis zum 17. Januar verzeichnete das Institut 645 Verdachtsfälle im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung. In 145 Fällen wurde über schwerwiegende Reaktionen berichtet, die meisten bei unter 60-Jährigen. Bei rund 1.100.000 verabreichten Impfdosen entspricht das etwa einem Betroffenen unter 8.000 Geimpften.

Bei schweren Nebenwirkungen wie starken allergischen Reaktionen ist die Quote noch weitaus niedriger. Dem PEI wurden 20 Fälle gemeldet, also eine betroffene Person unter rund 60.000 Geimpften. In den USA waren es vergleichbar wenige: elf Fälle pro Million Geimpfter.

Allergische Reaktionen betreffen oft den gesamten Organismus innerhalb kurzer Zeit. Meist sind es weniger als 15 Minuten nach Kontakt mit der Substanz. Die Reaktionen etwa der Atemwege können lebensbedrohlich sein. „Sie treten jedoch so selten auf, dass sie in klinischen Studien kaum nachgewiesen werden können“, sagte Keller-Stanislawski.

Bisher ist unklar, welche Bestandteile der Impfseren für die gemeldeten Fälle verantwortlich waren. Es bestünden derzeit „keine Kontraindikationen für Allergiker und Allergikerinnen“, sagte Cichutek. Das heißt auch für sie wird die Impfung weiterhin empfohlen. Cichutek rät zur ohnehin bei Impfungen generell empfohlenen besonderen Vorsicht: Geimpfte sollten nach der Injektion 15 Minuten unter ärztlicher Überwachung bleiben. Tritt eine anaphylaktische Reaktion auf, ist schnell professionelle Hilfe möglich. Auf die zweite Impfstoffdosis sollte bei Betroffenen dann verzichtet werden.

Uneingeschränkte Empfehlung

„Alle anderen, auch Hochbetagte, sollte man auf jeden Fall impfen“, sagt Heppner. Denn häufige Vorerkrankungen etwa des Herz-Kreislauf-Systems, Stoffwechselkrankheiten, Bluthochdruck oder Diabetes, seien Risikofaktoren, die Ungeimpfte, wenn sie erkranken, häufig versterben ließen. Er sieht den Nutzen der Impfung für den Einzelnen und für die Allgemeinheit als weitaus größer an, „als das Risiko, dass dabei etwas passiert“. Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie empfehle die Impfung uneingeschränkt.

„Wir können glücklich sein, dass wir Impfstoffe haben“, sagte Cichutek. Diese könnten in der Pandemie den entscheidenden Unterschied machen.

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