Zika-Virus: Gefahr für Gehirne
Dass der Zika-Erreger Föten schädigt, wird immer wahrscheinlicher. Experten beraten nun in Genf, was man gegen die Ausbreitung tun kann.
Sie hatte keinen Ausschlag, kein Fieber, keine Schmerzen. Auch in ihrer Familie konnte sich niemand an Zika-Symptome oder an irgendeine Erbkrankheit erinnern, versicherte die 20-Jährige ihren Ärzten in der Universitätsklinik Geral Roberto Santos in Salvador, Brasilien. Bei einem Ultraschalluntersuchung in der 18. Schwangerschaftswoche war aufgefallen, dass das Kind in ihrem Bauch nicht mehr richtig wuchs. Deshalb war sie im Herbst 2015 zu den Spezialisten überwiesen worden, die nun nach der Ursache suchten. Bei den Vorsorgeterminen acht und zwölf Wochen später hatten die Ärzte wieder schlechte Nachrichten: Der Fötus hatte einen zu kleinen Schädel, die Großhirnrinde fehlte fast völlig, die leeren Räume waren stattdessen mit Blasen voller Hirnwasser gefüllt. Zusätzlich sammelte sich im Bauch, im Brustkorb und unter der Haut Flüssigkeit.
In der 32. Woche kam das Mädchen zur Welt, nur 930 Gramm schwer und tot. Obwohl die Mutter die Infektion gar nicht bemerkt hatte, wiesen die Forscher um Albert Ko von der Universität Yale und Antonio de Almeida von der Universität von Bahia in Salvador, Brasilien, im Fruchtwasser der Frau sowie im Hirnwasser und im Nervenzellgewebe der Tochter Zika-Viren nach. Offenbar könne Zika nicht nur im Gehirn eines Fötus, sondern auch jenseits des zentralen Nervensystems Schäden verursachen und Fehlgeburten auslösen, schreiben sie im Fachblatt „Plos Neglected Tropical Diseases“.
Auch beim Sex kann man sich mit Zika anstecken
Mücken übertragen das Virus derzeit in 47 Staaten und Territorien – von Brasilien bis Mexiko und von Pazifik-Inseln bis Kap Verde. Die USA, Italien und Frankreich haben Ansteckungen beim Sex mit Reiserückkehrern gemeldet. Ständig werden neue Details veröffentlicht, wird der Zusammenhang zwischen Zika und den Mikrozephalien, sowie Zika und Lähmungen bei Erwachsenen (Guillain-Barré- Syndrom) wahrscheinlicher. Am Dienstag diskutiert daher das Notfallkomitee der WHO darüber, ob die Organisation ihre Empfehlungen verschärfen sollte.
Ab heute tagen außerdem Forscher, Vertreter von Zulassungsbehörden, der Industrie und andere Experten auf Einladung der WHO in Genf. Sie werden beraten, welche Diagnostik, Medikamente und Impfstoffe, aber auch welche neuen Methoden der Mückenbekämpfung besonders dringend gebraucht werden, welche bereits entwickelt werden und wie man das beschleunigen kann. „Dieses Vorgehen hat sich bei der Ebola-Epidemie bewährt“, sagt Bruce Aylward.
Der WHO-Direktor für Gesundheitsnotfälle war kürzlich gemeinsam mit der Generaldirektorin Margaret Chan in Brasilien unterwegs. „Die Ärzte in den am stärksten betroffenen Gebieten erzählen, dass sie noch nie so viele so schwere Mikrozephalien bei Neugeborenen gesehen haben“, sagt er. Zwar bleibt die Statistik unübersichtlich. 5909 Mikrozephalie- Verdachtsfälle wurden den Behörden seit Oktober 2015 gemeldet, erst 1687 haben Gutachter analysiert. 641 Kinder haben demnach einen zu kleinen Kopf. Unter den Verdachtsfällen sind 139 tote Babys und Fehlgeburten. Bei 31 von 43 bisher bearbeiteten Fälle wurde bestätigt, dass das tragische Schicksal der Kinder mit Zika zu tun haben könnte, so lautet die Zwischenbilanz im aktuellen WHO-Situationsbericht. „Wir prüfen mehrere mögliche Ursachen“, sagt Aylward. „Aber alles deutet in eine Richtung: Zika.“
Zika befällt Zellen der späteren Großhirnrinde
Drei wichtige Puzzlesteine kamen in der letzten Woche hinzu. Das Virus habe eine Vorliebe für Vorläufer von Nervenzellen, die im Laufe der Schwangerschaft die Großhirnrinde des Fötus formen, schreibt ein Team um Guo-li Ming von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore im Fachblatt „Cell Stem Cell“. Zika schalte Gene ab, mit deren Hilfe sich die Zellen normalweise gegen Eindringlinge wehren, und funktioniere sie in Virenfabriken um. Wenn sie ihre Schuldigkeit getan haben, sterben die Vorläufer-Nervenzellen ab oder teilen sich nicht mehr normal. So könnten die Mikrozephalien bei Föten entstehen, vermuten die Forscher.
Die Neurowissenschaftler verwendeten Zellen erwachsener Probanden, die im Labor in Alleskönnerzellen (iPS-Zellen) zurückprogrammiert worden waren und wandelten sie in Vorläufer von Nervenzellen um. Gaben sie zu diesen Zellkulturen Zika hinzu, waren innerhalb von drei Tagen 85 Prozent infiziert, außerdem verringerte sich ihre Zahl um ein Drittel. Bei embryonalen Stammzellen, nicht ausdifferenzierten iPS-Zellen, bei Nieren- und Nervenzellen war das Virus dagegen weniger erfolgreich: Es bemächtigte sich nur zehn bis 20 Prozent der Zellen. „Das ist ein großer Schritt, um den Krankheitsmechanimus zu verstehen“, sagt Mark Schleiss von der Universität von Minnesota, der nicht an der Studie beteiligt war. Dennoch brauche man weitere Nachweise, etwa mit Hirngewebe von menschlichen Föten, „sofern das soziale und politische Klima es zulassen.“
Der Erreger bremst das Wachstum des Gehirns
Forscher um Stevens Rehen von der Universität von Rio de Janeiro wichen derweil auf Experimente mit zwölf Mini- Gehirnen aus. Diese werden ebenfalls aus iPS-Zellen gezüchtet und normalerweise so groß wie ein Apfelkern. Das Wachstum der sechs Mini-Hirne, die mit Zika infiziert wurden, war in den nächsten elf Tagen um 40 Prozent reduziert, schreibt das Team in einer vorab auf der Webseite „PeerJ“ veröffentlichten Studie.
Wenn sich eine Schwangere mit Zika ansteckt, können die Schäden für das Kind allerdings über eine Mikrozephalie hinausgehen. Noch beunruhigender: Ein Drittel der Föten ist betroffen. Das berichtet ein Team um Ana Bispo de Filippis von der Fundacio Oswaldo Cruz in Rio de Janeiro und Karin Nielsen-Saines von der Universität von Kalifornien in Los Angeles im Fachblatt „New England Journal of Medicine“. 88 schwangere Frauen (fünfte bis 38. Woche), die einen Hautausschlag hatten, nahmen an der Studie teil. Bei 72 von ihnen konnten die Ärzte im Blut oder im Urin Zika nachweisen. 42 willigten ein, fortan regelmäßig zu Ultraschall-Untersuchungen in die Klinik zu kommen. 12 Föten (29 Prozent) entwickelten sich nicht normal, stellten die Ärzte fest. Fünf wuchsen nicht richtig – teilweise war das von einer Mikrozephalie begleitet. Vier Föten hatten Kalkablagerungen, zwei weitere andere Veränderungen im Gehirn. Der Blutfluss im Gehirn oder in der Nabelschnur war bei vier Föten gestört. In zwei Fällen hatten die Mütter kein oder wenig Fruchtwasser. Bei zwei Frauen, die sich in der 25. oder der 32. Schwangerschaftswoche infiziert hatten, kam es zu einer Fehlgeburt. Die Kinder der 16 Frauen, die kein Zika hatten, hatten dagegen keine einzige Fehlbildung. Die Ergebnisse seien „besorgniserregend“, zumal eine Ansteckung in jedem Trimester gefährlich sein könnte, schreiben die Ärzte.
Erwachsene können durch Zika gelähmt werden
In Kolumbien, wo sich mehr als 7600 schwangere Frauen mit Zika infiziert haben, wurde inzwischen ebenfalls ein Kind mit Mikrozephalie und zwei mit anderen Fehlbildungen geboren. Das sagte Alfonso Rodriguez-Morales, der das kolumbianische Zika-Netzwerk leitet, dem Fachblatt „Nature“. Die Ergebnisse der Kohortenstudie werden im Juni erwartet.
Für die meisten Erwachsenen ist Zika nicht mehr als ein kurzes Ärgernis. Doch einer von 4000 Infizierten könne vorübergehend ganz oder teilweise gelähmt sein, zeigten Forscher um Frédéric Ghawché, Neurologe am Zentralen Krankenhaus für Französisch-Polynesien in Papeete, Tahiti. Während der Zika-Epidemie 2013/2014 wurden dort 42 Patienten wegen des Guillain-Barré-Syndroms behandelt, 16 davon auf der Intensivstation, schreiben sie im Fachblatt „Lancet“. Alle hatten Zika-Antikörper gebildet, die den eigenen Körper angriffen. Zwar starb kein Patient an den Lähmungen, doch sie setzten sehr schnell ein und betrafen bei einigen die Lunge. Drei Monate nach der Entlassung aus dem Krankenhaus konnten 60 Prozent wieder ohne Hilfe laufen.
Um herauszufinden, ob zum Beispiel eine vorherige Dengue-Infektion das Risiko erhöht, untersuchten die Ärzte zusätzlich zwei Kontrollgruppen, die entweder ähnliche Charakteristika wie die Gelähmten hatten oder nach der Ansteckung mit Zika von neurologischen Symptomen verschont blieben. Es machte keinen Unterschied. „Das Guillain–Barré-Risiko ist für den Einzelnen sehr klein“, sagt Aylward von der WHO. Doch bei Millionen Infizierten sollten Krankenhäuser auf solche Patienten vorbereitet sein.