Vogelgrippe H5N8 in Deutschland: Gefahr für Geflügel
Die Vogelgrippe H5N8 breitet sich rasant in Europa aus. Unter anderem in Berlin errichten Behörden Sperrbezirke, doch eine Bedrohung für Menschen und Haustiere besteht nicht.
Am Planufer in Berlin-Kreuzberg wirft Monika, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte, ein Stöckchen. Ihr kleiner weißer Hund rennt los. Sie ist die einzige Hundehalterin, die am Montagmittag am Ufer spazieren geht. Dass wenige Meter weiter ein infizierter Schwan aus dem Berliner Landwehrkanal gezogen wurde, hat sie noch nicht gehört. Die Nachricht verunsichert sie. „Kann dem Hund was passieren?“, fragt sie und nimmt ihn an die Leine.
Die Leine ist derzeit im Sperrbezirk Pflicht. Sie gilt aber – genau wie die Anordnung, Katzen nicht frei laufen zu lassen – nicht dem Schutz dieser Haustiere. Dass sich Säugetiere mit dem Vogelgrippevirus H5N8 anstecken können, ist unwahrscheinlich. Auch ein Mensch hat sich noch nie mit diesem Virus infiziert. Ganz auszuschließen sei das aber nicht, schreibt die Weltgesundheitsorganisation WHO in ihrer Risikobewertung. Daher sollten diejenigen, die etwa bei Keulungen engen Kontakt mit erkrankten und verendeten Vögeln haben, besonders vorsichtig sein, betont das Robert-Koch-Institut in Berlin.
In Berlin werden sechs weitere Schwäne und "einige Piepmätze" getestet
Der Leinenzwang für Hunde und Hausarrest für Katzen ist indes der Tatsache geschuldet, dass sich das Vogelgrippevirus rasant in Deutschland und Europa ausbreitet. Seit am 7. November am Bodensee ein Entensterben auffiel, wurde das Virus nicht nur in einigen Geflügelställen in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, sondern vor allem auch bei Reiher- und Meeresenten, bei Bussarden, Möwen und anderen wildlebenden Vögeln in elf Bundesländern nachgewiesen. Insgesamt sind laut Bundesagrarministerium mittlerweile 226 Fälle von H5N8 bei Wildvögeln gemeldet. Weitere Verdachtsfälle werden noch abgeklärt. Bei Hausgeflügel gibt es sieben bestätigte Fälle. Die Behörden gehen von einem hohen Übertragungsrisiko durch direkte und indirekte Kontakte zwischen Wildvögeln und Nutzgeflügel aus. So wie ein Bauer Vogeldreck vom Acker in den Stall schleppen kann, kann zum Beispiel eine Katze oder ein Hund, die ein infiziertes Tier gejagt haben und dann die Beute zerlegen, den Boden mit den Viren verseuchen.
Ob es in Berlin mehr als einen Vogelgrippe-Fall gibt, wurde am Montag im Landeslabor untersucht. Sechs weitere Schwäne „und einige Piepmätze“, wie es der Leiter des Ordnungsamtes von Friedrichshain-Kreuzberg, Joachim Wenz, ausdrückt, wurden getestet. Die Ergebnisse und die offizielle Bestätigung durch das Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit (FLI) stehen noch aus. Im Sperrbezirk in Kreuzberg werde nach toten Vögeln gesucht, sagt Wenz. Bisher seien dem Bezirk keine weiteren Funde bekannt. Allerdings gebe es mehr Anrufe wegen toter Tiere, berichtet die Feuerwehr.
Infizierte Vögel in Russland wirkten gesund
Das FLI schreibt von einer „räumlichen Verbreitung mit großer Dynamik“ – in ganz Europa. Es sei derzeit nicht bekannt, welche Vogelarten das Virus in sich tragen, ohne zu erkranken oder zu verenden. „Eine weitere Verbreitung über die Routen der Zugvögel ist wahrscheinlich“, heißt es auch bei der WHO. Die Daten zeigen den Weg von Asien ausgehend: Ende 2015 war das Virus in Taiwan, im März 2016 in Südkorea und im Juni im russisch-mongolischen Grenzgebiet angekommen. Dort haben Forscher das H5N8-Virus unter anderem bei Seeschwalben, Graureihern und Lachmöwen nachgewiesen, die sie bei einer Routineüberwachung am See Ubsu-Nur in der Region Tyva gefangen hatten. Diese Tiere wirkten gesund. Mitte Oktober wurde es bei Zoo- und Wildtieren sowie Geflügel in Indien und fast zeitgleich in Ungarn und Polen festgestellt. Eine Analyse des Virenerbgutes ergab, dass es sich nicht um die H5N8-Variante handelt, die sich 2014/15 in Asien, Europa und Nordamerika verbreitete, sondern dass ein neues H5N8-Virus entstanden ist.
Dass nur den Zugvögel die Schuld gegeben wird, findet Lars Lachmann vom Naturschutzbund zu kurz gegriffen. Der Vogelzug aus dem Osten habe bereits Ende August begonnen – die ersten Fälle seien deutlich später aufgetreten. „Man muss auch die Handelsbeziehungen der Höfe im Blick haben“, sagt er.
Wildvögel verbreiten H5N8 nicht ständig
Tatsächlich ist der Nachweis, dass sich das Virus über die Zugrouten verbreitet, kompliziert. So schreibt der Vogelgrippeforscher Ron Fouchier im Fachblatt „Eurosurveillance“, dass vermutlich wenige Wildvogelarten als Wirt für das Virus infrage kommen. Diese würden nur einige Tage das Virus mit dem Kot ausscheiden. Man könne einen Ausbruch daher eher nachträglich nachweisen, weil die Tiere nach der Grippewelle für einige Zeit Antikörper im Blut haben. Auch der amerikanische Grippeforscher Robert Webster geht davon aus, dass die Zugvögel die Geflügelwirtschaft nicht konstant mit H5N8 bedrohen. „Möglicherweise sind Wildvögel oft immun gegen das Virus.“
Dennoch sei der Vogelzug die wahrscheinlichste Verbreitungsroute, schreibt ein internationales Forscherteam im Fachblatt „Science“. Sie haben für den Ausbruch 2014/15 das Erbgut der H5N8-Viren, betroffene Gebiete und Daten zum Geflügelhandel analysiert. Sie folgern, dass die Langstreckenflieger unter den Wildvögeln maßgeblichen Anteil an der Ausbreitung hatten. Da man Wildvögel nicht keulen und die Feuchtgebiete nicht trocken legen kann, fordern sie eine bessere Überwachung entlang der Zugrouten. Außerdem sollten Geflügelzüchter darauf achten, dass ihre Tiere nicht mit Wildvögeln in Berührung kommen.
Am Dienstag tagt der zentrale Krisenstab
Am Dienstag soll erneut der zentrale Krisenstab beraten, dem Vertreter von Bund und Ländern, Tierärzte und Experten angehören. Dabei dürfte auch eine bundesweite Stallpflicht auf die Agenda kommen. Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) hatte entschieden, die Vorbereitungen dafür zu treffen. „Wir nehmen die Ausbreitung der Vogelgrippe in Deutschland sehr ernst“, sagte er. Am Montag trat bereits eine Eilverordnung in Kraft. Sie verpflichtet auch kleinere Betriebe zu Schutzvorkehrungen. Demnach dürfen keine Unbefugten in die Ställe, Tierhalter müssen Schutzkleidung tragen sowie Hände und Stiefel desinfizieren können. Zuvor galten solche Vorgaben nur für Betriebe mit mehr als 1000 Tieren.
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