Debatte um die Widerspruchslösung zur Organspende: Es geht um Menschenleben
Der Staat darf eine Entscheidung für oder gegen die Organspende verlangen. Das meint unser Autor, der selbst mit einer Spenderniere lebt.
Im Januar des nächsten Jahres wird wieder das Thema Organspende im Bundestag diskutiert. Zur Debatte stehen die Widerspruchslösung und ein alternativer Vorschlag, der bei der jetzigen Entscheidungslösung bleibt, aber mehr Kontaktpunkte einrichtet. Bei der Widerspruchslösung ist ein Hirntoter dann Spender, wenn er sich zu Lebzeiten nicht gegen eine Spende ausgesprochen hat. Von den Angehörigen kann genau dieser Einspruch ebenfalls eingelegt werden. Passiert dies, kommt es auch nicht zu einer Explantation. Es ist übrigens auch heute schon gelebte Praxis, dass bei einem Widerspruch der Angehörigen keine Organe entnommen werden, selbst wenn ein Organspenderausweis vorliegt.
Viel Widerspruch
Gerade bei der Widerspruchslösung wenden Kritiker immer wieder ein, dass der Staat quasi eine Verfügung über die Organe eines Verstorbenen erhält; dies wird als unzulässiger Eingriff in die postmortalen Persönlichkeitsrechte angesehen. Auch könne es nicht sein, so das zweite immer wieder geäußerte Argument, dass man dem Erhalt eines Newsletters explizit zustimmen muss, aber wenn eine Organspende nicht stattfinden soll, muss man sich dagegen ausgesprochen haben.
Beginnen wir mit dem ersten Einwand. Wahr ist, dass sich bei der Widerspruchslösung jeder mit diesem Thema und damit mit der eigenen Endlichkeit beschäftigen muss. Man muss also eine Entscheidung treffen, ob die eigenen Organe im unwahrscheinlichen Fall des Hirntodes gespendet werden sollen oder nicht. Das Ergebnis muss nicht offengelegt werden. Die Frage ist nun, ob der Staat eine solche Entscheidung einfordern kann. Die Antwort darauf ist, meiner Meinung nach, ein ganz klares Ja.
Die Chance auf ein Spenderorgan
Wie immer handelt es sich um eine Abwägung unterschiedlicher Interessen. Auf der einen Seite steht die Forderung einer individuellen Entscheidung. Dem stehen auf der anderen Seite die Patienten gegenüber, für die eine Organspende die letzte Möglichkeit des Überlebens ist. Eine Entscheidung wird also verlangt, weil so Menschenleben gerettet werden können. Das ist ein starkes Argument.
Gehen wir vom Abstrakten einen Schritt weiter ins Konkrete: Wie sieht es aus, wenn man selber ein Organ benötigt? Keine Frage: Niemand hat ein "Recht" auf ein Organ. Aber muss nicht jeder Patient erwarten dürfen, wenigstens einen Platz auf der Warteliste zu bekommen? Darauf hat tatsächlich jeder Betroffene, der nach fachlicher Beurteilung dringend ein Organ benötigt und bei dem oder der eine Transplantation Erfolg verspricht, ein Anrecht. Aber wenn die Aufnahme in die Warteliste gleichsam selbstverständlich ist, dann kann man auf der anderen Seite auch eine Entscheidung zur eigenen Organspende verlangen. Und diese Entscheidung muss – genauso selbstverständlich – frei und ergebnisoffen sein. Auch die dahinterstehenden Gründe gehen niemanden etwas an. Aber es geht darum, Menschenleben zu retten.
Wer kein Testament hinterlässt...
Das zweite Argument zielt auf die explizite Zustimmung zur Organspende ab. Hier einen Widerspruch äußern zu müssen, verstößt gegen die Persönlichkeitsrechte, sagen die Kritiker dieses Vorschlages. Bei der Organspende einen Widerspruch äußern zu müssen, wird als einzigartiges Ereignis dargestellt. Aber das ist es nicht. Beispiel Patientenverfügung. Darin müssen Patienten vorab darlegen, ob sie in der letzten Lebensphase jene Maximaltherapie wünschen, die Ärzte anbieten, oder nicht. Eine solche Entscheidung ist aber viel umfangreicher und komplexer als die für oder gegen eine Organspende, bei der man im Zweifel ohne weitere Informationen auskommt und nur die Wahl zwischen Ja und Nein hat. Bei einer Patientenverfügung muss man sich viel breiter und tiefer informieren.
Noch ein Beispiel: Wenn ich meine materiellen Hinterlassenschaften nach meinen Vorstellungen vererben möchte, so bin ich gezwungen, ein Testament zu verfassen; ansonsten treten die gesetzlichen Regelungen in Kraft. Die Widerspruchslösung ist also nicht die einzige Angelegenheit im Leben, bei der ein Einspruch explizit geäußert werden muss.
Die moralische Schuldigkeit, sich Gedanken zu machen
Aber kommen wir nochmals auf die Frage zurück, warum der Staat bei der Organspende in bestimmte Rechte eingreifen und eine Entscheidung dafür oder dagegen einfordern will. Es geht schlicht und ergreifend darum, Leben zu retten. Drei Menschen sterben jeden Tag, weil sie vergeblich auf ein Organ warten. Sind wir ihnen diese Überlegungen nicht schuldig?
Und wer jetzt in seiner warmen Stube sitzt und der Meinung ist, dass seine Rechte wichtiger sind, der gehe doch bitte in ein Krankenhaus und sage genau dies einem Menschen, der dringend auf ein Herz wartet. Vielleicht hilft aber auch schon die Vorstellung, es wäre der Partner oder das eigene Kind, das stirbt, weil es kein Organ erhält.
Heiko Burrack