Studienmodelle der Zukunft analysiert: Als "Tamagotchi" starten und mit "Lego" aufbauen
Hochschulforscher haben vier Lernmodelle für das Jahr 2030 identifiziert, darunter auch "Jenga" und "Transformer" - alles im Zeichen der Digitalisierung.
Lernst du noch als „Tamagotchi“ oder schon mit „Lego“? Geht es nach dem Hochschulforum Digitalisierung, könnten sich Studierende der Zukunft so auf ihrem realen oder virtuellen Campus anchatten. Vier Lernmodelle skizziert das Hochschulforum in seiner Trendanalyse AHEAD für das Jahr 2030, die dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt: Als „Tamagotchi“ gilt, wer im nächsten Jahrzehnt noch immer klassisch studiert und mit Bachelor und/oder Master zu einem berufsqualifizierenden Abschluss kommt.
Ein verkürztes Erststudium, mit dem es schnell in den Beruf und später zurück an die Uni geht, wird als „Jenga“ bezeichnet. „Transformer“ sind Menschen, die nach Ausbildung und Job ein Studium aufsatteln oder umsatteln. Und nach dem „Lego“-Prinzip studieren jene, die sich einzelne Lernbausteine im Lebensverlauf zu einer akademischen Qualifizierung zusammensetzen.
E-Learning ist noch lange kein Alltag an allen Hochschulen
Hintergrund der Studie ist die seit Langem intensiv diskutierte Frage, wie die Digitalisierung in der deutschen Hochschullehre endlich in Schwung kommt. Unis und Fachhochschulen setzen weiter auf die Präsenzlehre in Hörsälen und Seminarräumen. Mit Campus-Management-Systemen sichern sich Studierende zwar online ihre Plätze in den Kursen, finden Lektürelisten und sammeln Leistungspunkte. Aber E-Learning ist lange nicht für alle ein selbstverständlicher Teil des Studiums.
Die Hochschulen wünschen sich einen finanziellen Schub, um digital durchstarten zu können und haben einen Hochschul-Digitalpakt gefordert. Dessen Kosten beziffert die Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI) mit 1,3 Milliarden Euro für fünf Jahre.
Digitalisierung als Konstante der neuen Studienmodelle
Das Hochschulforum Digitalisierung verfolgt einen anderen Ansatz. Experten mehrerer Institute für Hochschulforschung – darunter HIS-HE und FiBs – entwerfen die „Vision einer Hochschullandschaft, die vom Lernenden ausgeht“. Hochschulen sind demnach gefordert, auf eine nach sozialer Herkunft, Vorbildung und Lernbedarf diversere Studierendenschaft zu reagieren. Die Digitalisierung wird dabei als Konstante in den künftigen Modellen gesehen. Reformen gingen nicht von der Technologie aus, vielmehr müsse „Lernen in der Hochschulbildung neu gedacht werden, um von den Vorteilen der Digitalisierung zu profitieren“, wird Dominic Orr, Projektleiter der Studie, zitiert. Finanziert wurde AHEAD (A Higher Education Digital) vom Bundesforschungsministerium. Abrufen lässt sich die Originalstudie ab Donnerstag beim Hochschulforum (hier).
Dass die Lerntypen der Zukunft Namen von Spielzeugen tragen, solle man nicht zu ernst nehmen, bitten die Autoren der Studie, darunter auch Dieter Dohmen vom Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS). Doch die Bezeichnungen sind sprechend.
Typ Tamagotchi - ein aussterbendes Modell?
„Tamagotchi“ war ein aus Japan stammendes virtuelles Küken als „Haustier“ für Kinder, das „starb“, wenn es vernachlässigt wurde. In der Studie sind es klassische Studierende, für die die Hochschule der zentrale Lehr- und Lernraum bleibt – wenn auch „mit der Unterstützung von globalen Kommunikationsnetzwerken, Simulationen und Augmented-Reality-Techniken“. In die künftige Berufswelt sollen sie „durch innovative Lernräume wie Makerspace und Fablabs“, aber auch durch herkömmliche Praktika eingeführt werden. Wegen der zunehmenden Diversität, die flexiblere und individualisierte Studienmodelle verlangt, gerate das Modell „Tamagotchi“ aber unter Druck.
Das radikale Gegenmodell ist „Lego“, ausgerechnet das älteste der vier Spielzeuge. Gedacht wird hier an Lernende, die aus verschiedenen beruflichen Situationen heraus „hoch motiviert und selbstständig“ kleinteilige, nicht-standardisierte Lernwege gehen. Als Praxisbeispiel wird in der Studie ein norwegisches Finanzunternehmen genannt, das seinen Mitarbeitenden den „kostenfreien Zugang zu einer riesigen Menge von digitalen Bildungsinhalten“ gewährt. Übertragen auf ein Hochschulsystem sollen sich Menschen, die sich in solchen Modulen selber weiterbilden, die erworbenen Kompetenzen auf einen früheren oder künftigen Studienabschluss anrechnen lassen können.
Dazu passt auch „Jenga“, der quaderförmige Holzriegel für den spielerischen Turmbau. Nach dem Schulabschluss nicht in ein langjähriges Studium zu gehen, sondern nach einem kurzen, anwendungsorientierten College-Programm schnell in den Beruf, spreche vor allem nicht-traditionelle Studierende an, wird vermutet.
Als Transformer extrem wandlungsfähig
Was die Studie für die „erste Blockphase“ in „Jenga“ zur digitalen Lehre zu sagen hat, gleicht überraschend den Aussagen zum „Tamagotchi“-Studium ebenso wie zu den „Transformers“: Ein Textbaustein mit „Augmented Reality“ und „Fablab“, der von einer gewissen Ratlosigkeit auch bei den Hochschulforschern zeugt.
Spannender wird es, wenn die „Jenga“ sich im Job weiterbilden wollen. Hier nennt die Studie den „Micro Master“ des MIT als Praxisbeispiel: Jede und jeder kann in Online-Kursen für 1000 US-Dollar eine neue Kompetenz etwa in „Supply Chance Management“ (Management von Lieferketten) erlernen – und sich nach bestandener Klausur auf einen vorhandenen Studienabschluss oder andere Qualifikationen anrechnen lassen.
„Transformer“, benannt nach extrem wandlungsfähigen Spielzeugrobotern, absolvieren wieder ein eher klassisches Weiterbildungsstudium nach einer längeren Berufstätigkeit. Hier geht es um den Wandel der Arbeitswelt, für den sich erneut oder spät Studierende qualifizieren wollen.
Denkbar wäre es denn auch, als „Tamagotchi“ zu starten, mit „Lego“ anzubauen – und sich am Ende als „Transformer“ neu zu erfinden. Willkommen in der schönen und womöglich gar nicht so neuen Hochschulwelt.