Debatte um Grenzen des Artenschutzes: Ein neuer Umgang mit dem Wolf
In Deutschland gibt es immer mehr Wölfe. Was Naturschützer freut, besorgt Landwirte und Anwohner. Jetzt ist der Streit um den Wolf im Bundesrat angekommen.
Der im Internet liebevoll "Kurti" genannte Wolf MT6 wird bei einem Streifzug durch die Lüneburger Heide erschossen. Er wird damit im April 2016 zum bundesweit ersten Wolf, der seit Rückkehr der Tiere nach der Wiedervereinigung legal getötet wird. Das niedersächsische Umweltministerium wird dabei von der Polizei unterstützt, Jäger sind nicht beteiligt. Kurti war Menschen zu nahe gekommen und soll sogar einen angeleinten Hund gebissen haben. Jetzt steht er ausgestopft im Museum.
Zwei Wölfe sind bislang "letal entnommen" worden
Wölfe sind hierzulande durch EU-weite Regelungen und das Bundesnaturschutzgesetz streng geschützt, sie unterliegen nicht dem Jagdrecht. Nur in seltenen Ausnahmen dürfen sie geschossen werden, die Experten sprechen dann von letaler Entnahme. Dieses Schicksal ereilt im vergangenen Februar auch einen Wolf in Sachsen. Er und Kurti blieben bisher die einzigen.
Doch bald könnten es deutlich mehr werden: Niedersachsen hat eine entsprechende Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, über die heute erstmals im Bundesrat diskutiert wird. Angeschlossen haben sich Sachsen und Brandenburg, wodurch die Initiative von den drei Bundesländer mit den meisten Wölfen gestützt wird. Im Agrarland Niedersachsen kommt es zu besonders vielen Rissen. Die Nutztierhalter sehen die Weidehaltung in Gefahr, vor allem in der Heide machen sich einige Bürger gar Sorgen um ihre Kinder.
Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) sagte, derzeit gebe es in Deutschland 60 Wolfsrudel mit jeweils 10 Wölfen. Zu diesen 600 Wölfen kämen jedes Jahr rund 180 hinzu. "Wenn Wölfe sich den Dörfern nähern und Familien mit Kindern Angst haben, ihre Kinder im Sandkasten spielen zu lassen, nehme ich das sehr ernst." Wolf und Mensch müssten in Symbiose leben können. Eindeutige Regeln müsse es auch für das Töten von Wölfen in bestimmten Fällen geben.
Die Initiative soll deutschlandweit klare Regeln bringen. "Der Wolf hat einen sehr hohen Schutzstatus, er ist in Deutschland angekommen und wird auch bleiben", betont Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD), der die Initiative auf den Weg gebracht hat. "Andererseits dürfen wir die Menschen und gerade die in den ländlichen Regionen, die vor großen Herausforderungen stehen, nicht allein lassen", erklärt er. "Natürlich ist ein effektiver Herdenschutz ein wichtiger Beitrag, aber wir werden nicht das ganze Land einzäunen."
Durch Wolfs-Management die Akzeptanz auf dem Land erhöhen
"Wir müssen als Staat handlungsfähig bleiben und Lösungen anbieten. Bei einem Überhandnehmen von Übergriffen auf geschützte Weidetiere muss es möglich sein, die Tötung eines Wolfs rechtssicher durchzuführen", sagt Lies. Man wolle nicht in den Erhaltungszustand eingreifen, sondern durch Management die Akzeptanz auch auf dem Land erhöhen. "Langfristig müssen wir aber eine Lösung finden, wie wir den Bestand der Wölfe regulieren können. Auch dazu wünschen wir uns eine bundesweite Diskussion und eine einheitliche Lösung."
Der Bund soll prüfen, wie weit sich Wölfe menschlichen Einrichtungen nähern dürfen. Auch die Möglichkeit, wolfsfreie Bereiche zu definieren, steht auf der Agenda. Vorbeugemaßnahmen der Tierhalter sollen nach Möglichkeit vollständig gefördert und die Weidetierhaltung mit einer Prämie honoriert werden.
"Wir halten nichts davon, den strengen Schutzstatus aufzuweichen", sagt hingegen Wolfsexpertin Marie Neuwald vom Naturschutzbund (Nabu) in Berlin. "Schon jetzt gibt es genug Möglichkeiten, Wölfe mit auffälligem Verhalten zu entnehmen", meint sie. "Was wir an der Initiative begrüßen, ist die vorgesehene Förderung der Weidetierhaltung." Auch sie betont: "Die Sicherheit des Menschen muss im Vordergrund stehen."
Ein Wolf, der an einem Haus vorbeiläuft, ist noch lange kein "Problemwolf"
"Die Bundesratsinitiative sollte darauf abzielen, dass endlich eine Rechtsgrundlage geschaffen wird, dass kletternde oder den Mindestschutz überspringende Wölfe getötet werden dürfen", fordert Wolfsexperte Frank Faß. "Da sehe ich aber kaum rechtliche Möglichkeiten, weil der strenge Schutz auch nach EU-Regelungen das meiner Einschätzung nach verbietet." Faß hat ein Buch über den Herdenschutz geschrieben und ist Leiter des Wolfcenters Dörverden.
Faß hält die Initiative für sinnvoll, soweit es um Rechtssicherheit und die Unterstützung der Nutztierhalter geht. "Bei den wolfsfreien Zonen sehe ich aber schwarz", sagt er. "Das ist nicht nur ein rechtliches Problem. Ein Wolf kann in einer Nacht 60 bis 70 Kilometer zurücklegen und nach einem Angriff wieder verschwinden." Er befürchte zudem eine Aufweichung der Ausnahmeregelungen: "Wölfe laufen im ländlichen Raum immer wieder an Häusern vorbei, das macht noch keinen Problemwolf aus", erklärt Faß.
"Die Weidetierhalter und viele Menschen in ländlichen Regionen sind höchst erfreut über diesen Vorstoß", sagt Jörn Ehlers, Vizepräsident des Landvolks Niedersachsen. "Er markiert hoffentlich einen Sinneswandel im Umgang mit dem Wolf." Insbesondere Halter mit wenig Tieren müssten wegen der Wolfsangriffe immer häufiger aufgeben.
Und was sagen die Jäger? "Wir begrüßen ausdrücklich, dass die niedersächsische Initiative ein bundesweites Konzept zum Interessenausgleich fordert", sagt Torsten Reinwald, Sprecher des Deutschen Jagdverbands (DJV) in Berlin. Die Ausnahmeregelungen der EU müssten genutzt werden, das Bundesnaturschutzgesetz sei da bislang weit strenger.
"Wir werden im kommenden Frühjahr mehr als tausend Wölfe in Deutschland haben", prophezeit er. Bereits 2016 sei bundesweit die Grenze von insgesamt tausend gerissenen und verletzten Nutztieren überschritten worden. Der DJV hatte schon im April die Aufnahme des Wolfs ins Jagdrecht gefordert. Der ausgestopfte Kurti könnte demnächst immer mehr Gesellschaft bekommen. Peer Körner (dpa)