Trotz Epidemie in West-Afrika: Ebola-Medikamente unter Quarantäne
Experimentelle Therapien gegen Ebola bleiben im Labor – dabei werden sie gebraucht. Ein Kommentar.
Sie trug drei Schichten Handschuhe, die Nadel durchdrang sie alle. Ein Albtraum für jeden, der in Hochsicherheitslaboren mit Ebola arbeitet. Die Hamburger Forscherin musste in Quarantäne. Ihre Kollegen setzten Himmel und Hölle in Bewegung, um für sie einen experimentellen Impfstoff aus Kanada zu besorgen. 48 Stunden nach dem Laborunfall bekam sie die Spritze. Sie wurde nicht krank. Niemand weiß, ob der Impfstoff schützte oder sie nur Glück hatte.
Das war 2009. Die neuen Wirkstoffe wurden wieder ins Labor verbannt. Für die Ebola-Epidemie in Westafrika gilt: Es gibt weder eine zugelassene Impfung noch Medikamente. Auch wenn sich mehr als 1200 Menschen angesteckt haben. Das sei ein Unding, meint Jeremy Farrar, der Direktor des britischen „Wellcome Trust“.
38 Jahre nach dem ersten Ausbruch funktioniert die Eindämmung immer noch nach dem Prinzip „wegsperren und begraben“. Wenn Ebola in Europa wüten würde, würde sich niemand allein darauf verlassen. Es würde Ausnahmegenehmigungen geben. Warum aber nicht in Afrika?
Das wäre unethisch und kontraproduktiv, sagt die Weltgesundheitsorganisation. Man müsste das Mittel allen anbieten. Doch kein neuer Wirkstoff kann sofort massenhaft produziert werden. Die Nebenwirkungen sind kaum abzuschätzen. Nur die Giftigkeit von Tekmira-Ebola wurde zumindest an Gesunden geprüft. Die Experimente wurden gestoppt, weil die US-Zulassungsbehörde FDA sich um die Sicherheit der Probanden sorgt. Alle anderen Daten stammen aus Versuchen mit Affen.
Aber wie soll man solche Risiken verzweifelten Patienten erklären? Die Hamburger Forscherin wusste, worauf sie sich einließ. Auch der Zeitpunkt der möglichen Ansteckung stand fest. Denn kein Mittel kann Ebola-Infizierten helfen, die erst spät einen Arzt sehen.
Die Epidemie in Westafrika ist derart außer Kontrolle, dass schon die Auslieferung von Elektrolyten, Schutzkleidung und Leichensäcken die Helfer an ihre Grenzen treibt. Die Bevölkerung misstraut ihnen, greift sie an. Patienten werden aus den Isolationszelten „befreit“ oder versteckt. Die Ärzte hätten Ebola erst eingeschleppt, sagen die einen. Andere meinen, die Ausländer hätten Ebola erfunden. Eigentlich würden sie ihren Opfern Organe entnehmen. In diesem Umfeld experimentelle Therapien zu erproben, gleicht einem Glücksspiel. Im schlimmsten Fall hieße es, die Afrikaner würden als „Versuchskaninchen“ missbraucht.
Aber so kommen wir nie voran, sagen viele Forscher. Für Pharmafirmen ist Ebola nicht interessant. Die Ausbrüche sind meist klein, bis 2014 gab es knapp 2400 bestätigte Fälle. Während die Grundlagenforschung von Amerikas Bioterror-Paranoia profitiert, will niemand in Studien mit Menschen investieren. Die Wirksamkeit kann nur während eines Ausbruchs überprüft werden, mit allen Unwägbarkeiten. Ein klassisches Zulassungsverfahren ist unmöglich.
So füllen sich die Regale mit ungenutzten Impfstoff- und Therapiepräparaten. Dabei geht es auch anders. Die Industrienationen könnten Studien unterstützen, die die Nebenwirkungen prüfen. Wir brauchen Regeln für Studien, die während einer Epidemie starten. Möglich wäre, zum Beispiel Ärzten und Pflegekräften Impfstoffe anzubieten. Sie sind besonders gefährdet.
Für die Epidemie in Westafrika kommt das zu spät. Doch das ist keine Entschuldigung dafür, die Hände in den Schoß zu legen. Wer vorbereitet ist, kann etwas tun.
Jana Schlütter