Ebola in Guinea: Der Kampf gegen das Dschungelfieber
Guinea ist eines der ärmsten Länder der Welt. Nun breitet sich dort Ebola aus, ein tödliches Virus. Deutsche Forscher suchen im Wald nach dem Ursprung des Ausbruchs und untersuchen den Erreger im Hochsicherheitslabor.
Eine halbe Stunde. Länger kann sie nicht für die Patienten in der Isolation da sein. In den Zelten steht die tropische Hitze. Unter dem gelben Ganzkörperanzug rinnt der Schweiß. Die Augen verschwinden hinter einer Schutzbrille, die Hände stecken in zwei Paar Handschuhen. „Wer nicht auf sich achtet, riskiert sein Leben“, sagt Anja Wolz. Die Krankenschwester aus Würzburg gehört zum Notfallteam von „Ärzte ohne Grenzen“, das im westafrikanischen Guinea einen Ausbruch des Ebola-Virus bekämpft.
Für Wolz ist es bereits der dritte Ebola-Einsatz. „Aber so etwas habe ich noch nicht gesehen“, sagt sie. In der Zwei-Millionen-Metropole Conakry musste das Team die Quarantäne-Zelte mitten im Hof des größten staatlichen Krankenhauses aufbauen; einen anderen Platz gab es nicht. Guinea ist eines der ärmsten Länder der Welt. Auf 10 000 Menschen kommt hier ein Arzt, Strom und Wasser sind nicht einmal in den Kliniken selbstverständlich. Malaria geht um, Typhus und Cholera. Die Lebenserwartung liegt bei 55 Jahren.
Ausgerechnet hier breitet sich nun eines der tödlichsten Viren überhaupt aus. Die ersten Menschen erkrankten wohl schon im Januar. Erst Mitte März wurden einige Ärzte misstrauisch und schickten zwölf Proben zum Institut Pasteur im französischen Lyon. Die Experten schlugen Alarm: Bei sechs Proben konnten sie Ebola-Zaire nachweisen, eine besonders gefährliche Variante des Virus. Es gibt keine Impfung und keine Therapie. Nur Tollwut ist tödlicher.
Der Ursprung der Viren sind vermutlich Flughunde und Fledermäuse (siehe Grafik). Sie werden nicht krank, im Laufe von Jahrmillionen haben Virus und Immunsystem ein Gleichgewicht gefunden. Springt das Virus aber auf Affen oder andere Wildtiere über, verenden diese in kurzer Zeit. Menschen können sich vermutlich direkt bei Fledermäusen anstecken. Oder bei anderen Wildtieren, wie Affen. So ähnlich in Marburg.
In Marburg sterben sieben Menschen. Dann ist der Spuk vorbei
1967 infizieren sich in der hessischen Universitätsstadt neun Mitarbeiter der Behringwerke mit einem unbekannten Erreger. Sie haben einen Polio-Impfstoff an Affen getestet, Grünen Meerkatzen aus Uganda. Später klagen sie über Kopf- und Muskelschmerzen, dann Fieber. Ihr Zustand verschlechtert sich. Am 24. August verblutet der erste Laborant. Einen Tag später ist der nächste tot. Die Ärzte schauen hilflos zu, wie sieben Patienten sterben. Dann ist der Spuk vorbei.
Einem Assistenzarzt, Werner Slenzcka, und seinen Kollegen gelingt es später im Experiment mit Meerschweinchen den Erreger zu isolieren: Bilder aus dem Elektronenmikroskop zeigen ein völlig unbekanntes Virus, fadenförmig und tödlich. Es bekommt den Namen Marburg und es ist das erste Virus in der Familie der Filoviren. Neun Jahre später wird im Kongo das verwandte Ebola-Virus entdeckt. Und Marburg wird eines der wenigen Zentren in der Welt, wo diese Viren erforscht werden.
„Wir wissen bis heute nicht genau, warum sie so gefährlich sind“, sagt Stephan Becker, der Direktor des Instituts für Virologie an der Philipps-Universität Marburg. Sicher ist: Sie bringen das Immunsystem des Menschen völlig durcheinander. Bei manchen Patienten reagiert es viel zu heftig – als wolle es sagen: „Da werfe ich alles drauf, was ich habe!“ Dann stirbt der Mensch an der eigenen Abwehr. Oder es ignoriert den Fremdkörper und das Virus kann sich ungehindert vermehren.
Die Helfer können den Körper der Kranken nur unterstützen
Zuerst gleichen die Symptome einer schweren Malaria: Schmerzen, Schwäche, Fieber, Durchfall, Erbrechen. Dann wird es immer schlimmer. Ebola benutzt Immunzellen als Trojanisches Pferd. So kann es den ganzen Körper angreifen, besonders Leber und Nieren. Die Blutgerinnung gerät außer Kontrolle. Schließlich versagt ein Organ nach dem anderen.
Die vorläufige Bilanz des ersten Ebola-Ausbruchs in Westafrika ist entsprechend trostlos. Bisher hat das Virus allein in Guinea wahrscheinlich 151 Menschen krank gemacht, 95 von ihnen sind inzwischen tot. Etliche wurden beerdigt, bevor irgend jemand Blutproben nehmen und sie analysieren konnte. Inzwischen haben die mobilen Labore des Instituts Pasteur und des Bernhard-Nocht-Instituts bei 53 Patienten die Infektion bestätigt.
Anja Wolz und ihre Kollegen versorgen die Patienten, so gut es eben geht. Infusionen und Spezialnahrung gleichen den Flüssigkeits- und Nährstoffverlust aus. Weil viele Patienten zusätzlich bakterielle Infektionen haben, sorgen Antibiotika für etwas Entlastung. Schmerz- und Beruhigungsmittel lindern das Leiden.
Den Sterbenden nicht zu helfen, sei am schwersten zu ertragen, sagt Wolz. Doch die Ärzte und Schwestern haben manchmal keine Wahl. Wenn das Virus den Körper so weit zugrunde gerichtet hat, dass ihre Patienten nur noch verwirrt sind, halten sie Abstand. Eine Infusion legen? Wiederbelebung? Besser nicht. Jede verschmutzte Nadel kann die Viren übertragen. Und kurz vor dem Tod explodiert ihre Zahl. Sie verwandeln den Körper des Kranken in eine Waffe, die jeden trifft, der nicht vorsichtig genug ist.
Drei Schleusen bis ins Hochsicherheitslabor
Olga Dolnik ist äußerst umsichtig. Für die letzten Meter zu ihrem Arbeitsplatz braucht die Marburger Virologin eine halbe Stunde. Sie arbeitet in einem S4-Labor. S4, das steht für Sicherheitsstufe 4 und ist den gefährlichsten Viren der Welt vorbehalten. Um in das Labor zu kommen, muss Dolnik durch drei Schleusen. In der ersten Schleuse zieht sie sich komplett aus, weder Unterwäsche noch Schmuck dürfen ins Labor. Frische OP-Kleidung ersetzt die Alltagsmontur. Ihre braunen, halblangen Haare verschwinden unter einer Haube. Fertig für Schleuse zwei.
Dort hängen knallgelbe Ganzkörperanzüge kopfüber an gelben Haken. Auf jedem steht ein Name, sie sind maßgeschneidert. Ähnlich wie ein Fahrradschlauch auf undichte Stellen untersucht wird, überprüft Dolnik ihre Lebensversicherung alle vier Wochen mit Seifenwasser auf kleinste Löcher. In der Schleuse muss der Augenschein reichen, bevor sie in die erste Lage Handschuhe schlüpft, in den Anzug steigt und die Luftzufuhr anstöpselt. Um das Rauschen auszublenden und mit der Außenwelt sprechen zu können, zieht sie Kopfhörer auf. „Olga Dolnik, Radiocheck“, sagt sie. „Technik hört“, antwortet es aus der Ferne. Erst jetzt zieht sie den Reißverschluss ganz zu. Eine dritte Lage Handschuhe folgt. Auf drei Millibar wird das gelbe Ungetüm nun aufgeblasen.
Gemeinsam mit ihrer Kollegin geht sie in Schleuse drei. Erst wenn die schwere Stahltür zugefallen ist, können sie die Tür zum Labor öffnen. Während sie an ihre Arbeitsplätze gehen und sich wieder an die blauen Luftschläuche anstöpseln, springt in Schleuse drei für eine Minute eine Desinfektionsdusche an. „Ich bin nirgends sicherer als da drin“, sagt sie.
Es gibt Impfstoffkandidaten. Doch ihre Entwicklung lohnt sich für Pharmafirmen nicht
Olga Dolnik erforscht den Lebenszyklus von Ebola, seine Tricks. Unter einem Mikroskop nimmt sie Filme von den grünlich fluoreszierenden Partikeln auf: Wie sie eine Zelle entern, sich vermehren und wie sie sich eine Art Rolltreppe zur nächsten Zelle bauen. Dank solcher Forschung ist Ebola kein komplettes Mysterium mehr.
Im Tierversuch sind sogar Impfung und Behandlung lösbare Probleme. Seit 2005 gibt es zum Beispiel unterschiedliche und vielversprechende Impfstoffkandidaten. Doch die Entwicklung steckt in Phase eins fest, nicht nur wegen ethischer Probleme. „Das Zulassungsverfahren ist den Pharmafirmen zu teuer“, sagt Becker. Denn so dramatisch Infektionen mit Ebola und Marburg auch verlaufen – die Ausbrüche sind selten, insgesamt forderten sie seit ihrer Entdeckung etwa 2000 Todesopfer. Geimpft würden vor allem arme Menschen in Zentralafrika. Gewinn? Fehlanzeige.
Dass sich ein Virus wie Ebola über den ganzen Globus ausbreitet, halten Forscher für extrem unwahrscheinlich. Das Virus ist so gefährlich, dass die meisten Ausbrüche sich selbst begrenzen. Es tötet, bevor es genug neue Wirte finden kann. Trotzdem schüren erste Fälle in Liberia sowie Verdachtsfälle in Mali und Ghana Angst.
Ebola wird nicht über die Luft übertragen. Das Virus kann nur so weit reisen wie die Zelle, die es infiziert. Ein neues Opfer findet es, wenn ein gesunder Mensch mit den Körperflüssigkeiten eines Kranken oder Toten – Blut, Schweiß, Samen, Muttermilch, Erbrochenes, Exkremente – in Berührung kommt. Das Dschungelfieber blieb deshalb in der Vergangenheit fast immer auf abgelegene Dörfer irgendwo im zentralafrikanischen Regenwald beschränkt. Dort hat das Virus ganze Familien ausgelöscht. Aber es kam selten weiter.
Ein Virus als blinder Passagier
In Guinea boten sich dem blinden Passagier dieses Mal günstigere Gelegenheiten. In Guéckédou, einer kleinen Stadt in Waldguinea, infizierte es einen Händler, der das Virus ins 250 Kilometer entfernte Dabola schleppte und starb. Sein Handelspartner in Dabola fühlte sich bald ebenfalls miserabel. „Er muss ins Krankenhaus, nach Conakry“, beschlossen seine vier Brüder und fuhren mit dem Patienten in die 300 Kilometer entfernte Hauptstadt. Er kam am 17. März an, einen Tag später war er tot. Die Familie nahm den Leichnam mit, um ihn in seinem Geburtsort zu bestatten. Wieder reiste das Virus mit, zu einem Dorf etwa 350 Kilometer weiter.
Die ersten Ebola-Fälle in Conakry waren alle eine Folge dieser Odyssee: Sie gehören entweder zur Familie des Händlers, haben ihn betreut, seine Leiche transportiert und gewaschen oder sie haben sich bei der Beerdigung von ihm verabschiedet. Andere haben den Sterbenden im Krankenhaus gepflegt, bevor sie von der seltenen Seuche wussten.
Mit solchen Ansteckungsketten soll nun Schluss sein. Koordiniert über die Weltgesundheitsorganisation versuchen internationale Helfer, den Ausbruch einzudämmen. „Die Situation ist komplexer als sonst“, sagt Bart Janssen, Einsatzleiter von „Ärzte ohne Grenzen“ in Brüssel. „Vor allem wegen der weit verstreuten Fälle.“ Die Helfer fahnden nach mehr als 623 Menschen, die Kontakt mit den Kranken oder den Toten hatten – egal ob sie in den Slums von Conakry leben oder in abgelegenen Dörfern, die nur zu Fuß erreichbar sind. Sobald sie Symptome bekommen, sollen sie ebenfalls isoliert werden.
Die Suche nach dem Ursprung des Ausbruchs
Fabian Leendertz vom Robert-Koch-Institut (RKI) sucht in der Zwischenzeit nach etwas anderem: dem Ursprung des Ausbruchs. Am Mittwoch ist er mit Kollegen vom Tropeninstitut der Berliner Charité, vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig, von der Wild-Schimpansen-Stiftung Guinea und Elfenbeinküste und dem Nationallabor für landwirtschaftliche Entwicklung in Guinea angekommen. Sie wollen nach kranken Wildtieren und Kadavern suchen. Und Flughunde fangen.
„Es würde uns nicht überraschen, wenn Ebola-Zaire in dieser Gegend verbreitet ist“, sagt Sabrina Weiß vom RKI. Zwar kennt man den Virusstamm bisher eher aus Zentralafrika, tausende Kilometer entfernt. Doch in Ghana hatten Forscher schon 2007 Ebola-Zaire-Antikörper bei Flughunden gefunden. Einige dieser Arten sind auch in Guinea heimisch. Wenn man mehr über die Verbreitung des Virus wüsste, könnte man vielleicht die Gefahr neuer Ausbrüche besser abschätzen, hoffen die Forscher. Sie wissen, dass es im Kampf gegen das Virus keine Zeit zu verlieren gilt. Während Anja Wolz noch um das Leben ihrer Patienten ringt, denken sie bereits an den nächsten Ausbruch.