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Vor 90 Jahren entdeckte Alexander Fleming das erste Antibiotikum - Penicillin. Gegen den Nachfolger Methicillin sind viele Mikroben (hier Staphylococcus aureus, lila) inzwischen resistent.
© Foto (koloriert): National Institute of Allergy and Infectious Diseases

Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen: "Die Umsetzung der Hygiene-Vorgaben wird in Deutschland unmöglich gemacht"

In den Niederlanden haben Kliniken weniger Probleme mit antibiotikaresistenten Keimen als hierzulande. Der Groninger Arzt Alexander Friedrich über die Gründe.

Vor 90 Jahren entdeckte Alexander Fleming das erste Antibiotikum - Penicillin. Diese Wirkstoffe retteten seitdem viele Menschenleben. Inzwischen sind viele Bakterien dagegen resistent. Aber in den Niederlanden, wo Sie forschen, haben die Kliniken damit weniger Probleme als hierzulande. Wie drastisch ist der Unterschied?

Es hat sich in Deutschland viel getan und trotzdem: Sie fahren über die Grenze, 30 Minuten von hier, und schlagartig ist alles anders. In deutschen Kliniken gibt es bis zu zwanzig Mal mehr Methicillin-resistente Staphylococcus-aureus-Fälle, kurz: MRSA. Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) und vor allem Carbapenem-resistente Enterobakterien (CRE) sind in Deutschland zehn bis zwanzig Mal so häufig. Carbapeneme sind die wichtigste Klasse der Reserveantibiotika. Sie retten Leben – wenn sie wirken.

Woran liegt der Unterschied zwischen beiden Ländern?

Die Richtlinien in Deutschland und den Niederlanden unterscheiden sich kaum. Wir wissen seit 20 Jahren, wie wir Antibiotikaresistenzen vermeiden können: Hygiene, vor allem die regelmäßige Desinfektion der Hände, ausreichend häufige Diagnostik, damit Infektionen zielgerichtet mit dem richtigen Antibiotikum behandelt werden. Zuletzt, richtiges Antibiotikamanagement, also das Verwenden von möglichst wenig und schmal wirksamen Medikamenten, die wenig Resistenzen verursachen.

Was läuft dann an deutschen Kliniken schief?

Die flächendeckende Umsetzung dieser Vorgaben wird in Deutschland fast unmöglich gemacht. Das liegt an gesundheitsstrukturellen und -ökonomischen Faktoren, also am deutschen Gesundheitssystem.

Alexander Friedrich ist Facharzt für Medizinische Mikrobiologie am Universitätsklinikum Groningen in den Niederlanden.
Alexander Friedrich ist Facharzt für Medizinische Mikrobiologie am Universitätsklinikum Groningen in den Niederlanden.
© privat

Das müssen Sie erklären. Können Sie ein Beispiel geben?

Zum Beispiel die Händehygiene. Eine Intensivstation in den Niederlanden wirkt für deutsche Verhältnisse, als sei sie geschlossen. Es gibt sehr viel Personal und wenige Patienten. Jede Pflegekraft kümmert sich üblicherweise um einen Patienten. Nur, wenn sie zur Kaffeemaschine geht, muss sie ihre Hände desinfizieren, um eine Keimübertragung auf andere zu verhindern.

Und in Deutschland?

Die deutsche Pflegekraft muss fast wie ein Roboter ihre Hände desinfizieren, 60 bis 70 Mal in ihrer Schicht. Sie muss drei, manchmal sogar vier Patienten - bedingt durch Urlaub und Krankheitsausfall von Kollegen - versorgen. Aber in Deutschland traut man sich nicht zu fragen: Haben wir zu wenig Hände für zu viele Patienten?

Also braucht Deutschland mehr Pflegekräfte - auch zur Bekämpfung von gefürchteten Superkeimen?

Oder weniger Patienten. Deutschland hat die meisten Intensivbetten pro Einwohner, nämlich etwa 30 pro 100.000. Wir haben keine sieben. Und wir belegen in allen Krankenhäusern höchstens 60 Prozent der Betten. Deshalb haben wir hier immer genug Personal für die Patienten. Das ist der wichtigste Grund für die erfolgreiche Umsetzung der Händehygiene. In Deutschland streben die Krankenhäuser danach, mindestens 85 Prozent der Betten zu füllen, besser sogar 100 Prozent.

Krankenhäuser, die nur halbvoll sind, sollen die Lösung des Resistenzproblems sein?

Das wirkt sich bei uns positiv auf die Qualität aus. Und wir können Patient mit antibiotikaresistenten Keimen isolieren, weil wir freie Betten haben. 

Sie haben weniger Krankenhäuser als in Deutschland. Wie gelingt es diese so leer zu halten? Auch die Niederländer brauchen doch neue Hüften und Knie?

Bei uns müssen die Leute auf eine OP warten. Und zwar einige Monate. Aber wenn sie drankommen, haben sie eine bessere Versorgungsqualität und Patientensicherheit. Ich will es mal so ausdrücken: In Deutschland kriege ich sofort und überall einen Volkswagen; in den Niederlanden muss ich warten, bekomme dann aber einen BMW.

Wenn Patienten nicht rasch ihre OP bekommen, ist das doch zu ihrem Nachteil?

Notfälle und Menschen mit gefährlichen Herz- und Tumorleiden kommen auch bei uns schneller, mitunter sofort dran. Und bei den anderen ist das Warten nicht per se schlecht. Wir bezahlen auch eine Form der Prähabilitation: Fitnesstraining und das Abspecken bei Übergewicht in der Wartezeit. Dann gehen die Patienten fitter in die OP und sind hinterher schneller wieder auf den Beinen. Sie bekommen auch weniger Infektionen. Wir nennen dieses Prinzip: "Better in, better out".

Testen Sie die Patienten routinemäßig auf Resistenzen?

Nur Risikopatienten, etwa solche, die in einem anderen Land zum Beispiel in Deutschland stationär aufgenommen waren oder die auf einem landwirtschaftlichen Betrieb arbeiten. Aber das steht auch in den deutschen Richtlinien, nur wird es nicht flächendeckend umgesetzt. Das hat wieder strukturelle Gründe: Bei uns gibt es in jeder Klinik ein mikrobiologisches Labor, klinische Mikrobiologen und Fachärzte für Krankenhaushygiene. In Deutschland haben 85 Prozent der Krankenhäuser keinen eigenen Mikrobiologen und Krankenhaushygieniker geschweige denn ein hausinternes mikrobiologisches Labor.

Aber die deutschen Kliniken können die Befunde an ein Labor schicken und das passiert doch auch?

Ja, aber jedes Screening kostet diese Häuser extra Geld. Bei uns kostet es im Grunde nichts zusätzlich, weil das Personal und die Laborapparate sowieso vorhanden sind. Hinzu kommt, dass in Deutschland fast immer die Geschäftsführer auch dem Vorstand der Kliniken vorstehen. Wenn sie sich zwischen mehr Eingriffen oder mehr Prävention entscheiden müssen, haben - bei finanziellem Druck - die Eingriffe häufig Vorrang.

Die meisten Antibiotika verordnen hierzulande die niedergelassenen Ärzte. Auch das gilt als Ursache von Resistenzentstehung. Wie ist das bei Ihnen?

Ganz anders. Wir haben gar keine niedergelassenen Fachärzte. Wenn jemand den Kinderarzt aufsuchen will, muss er dafür ins Krankenhaus. Und jeder Arzt dort hat natürlich den Klinischen Mikrobiologen an der Seite, der weiß, welche Labordiagnostik geschehen muss und welche resistenten Keime gerade in Umlauf sind.

Macht das einen Unterschied?

Studien unseres grenzübergreifenden Interreg-Projektes mit der Universität Oldenburg zeigen, dass jedes zweite Kind auf der deutschen Seite einmal im Jahr Antibiotika verschrieben bekommt, viel häufiger als in den Niederlanden. Außerdem geben die Ärzte jedem vierten behandelten Kind in Deutschland ein Breitbandantibiotikum aus der Cephalosporin-Gruppe, das Resistenzen provozieren kann. Hierzulande verschreiben die Pädiater das nur bei 0,1 Prozent der behandelten Kinder. Es gibt einen großen Unterschied im Gesundheitssystem, aber auch im Wissen.

Wieso wissen die deutschen Ärzte weniger über Resistenzen?

Woher denn, wenn zwei Drittel aller medizinischen Fakultäten keinen Lehrstuhl für Hygiene mehr haben? Dasselbe gilt auch für die klinische Mikrobiologie und Infektiologie.

Das Gespräch führte Susanne Donner.

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