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Aufgerüstet. Colibakterien eignen sich Resistenzgene von anderen Keimen an.
© mauritius images

Resistente Erreger: Die Superkeime sind unter uns

Bakterien trotzen immer häufiger Colistin, einem der letzten Reserve-Antibiotika. Wie groß ist die Gefahr?

Wenn eine 49-jährige Frau eine Harnwegsentzündung hat, ist das normalerweise kein Grund für Schlagzeilen. Doch im Urin der Patientin aus Pennsylvania fand sich ein besonderes E.coli-Bakterium. Auf zwei ringförmigen Erbgutstücken – die harmlose und krank machende Bakterien wie Karten in einem Spiel untereinander austauschen – fanden Forscher neben 14 anderen Resistenzgenen das Gen mcr-1. Ein As, denn es macht die Keime gegen Colistin unempfindlich: Die Forscher waren auf einen „Superkeim“ gestoßen.

Warum ist der Erreger so brisant?

Colistin ist ein Uralt-Antibiotikum aus den 1950er Jahren. Es gehört zur eisernen Reserve der Ärzte. Sie spritzen es nur, wenn nichts anderes mehr hilft. Denn es kann unter anderem die Nieren schwer schädigen. Dass Keime nun auch Colistin widerstehen, ist ein Alarmzeichen für Infektionsforscher. In den USA wurde dieser Resistenzmechanismus zuvor noch nie beobachtet, schreiben Forscher um Patrick McGann vom Walter Reed National Military Medical Center in einer Studie. Bereits ihr erster Satz klingt dramatisch: „Mcr-1 läutet die Entstehung wirklich panresistenter Bakterien ein.“

Sorge bereitet Ärzten und Gesundheitsschützern weltweit vor allem, dass sich immer mehr Patienten mit extrem hartnäckigen Keimvarianten infizieren. Wenn zum Beipsiel gegen Klebsiella pneumoniae und Acinetobacter baumanii selbst Reserveantibiotika aus der Klasse der Carbapeneme versagen, bleibt nur Colistin als letzte Rettung. In Deutschlands Kliniken sind jedes Jahr etwa 1500 Patienten mit Krankenhausinfektionen auf das Mittel angewiesen. Sollte sich mcr-1 unter diesen Keimen verbreiten, wäre es eine echte Gefahr.

Heißt das, dass die Infektion der Frau nicht behandelbar war?

Nein, gegen die E.coli-Bakterien, die den Harnwegsinfekt verursacht hatten, gibt es noch wirksame Antibiotika. Außerdem gilt, dass Keime Resistenzen nicht nur sammeln, sondern auch wieder verlieren können.

Wird sich mcr-1 nun schnell verbreiten?

Das ist unwahrscheinlich. Offenbar ist das Gen bereits seit einiger Zeit weltweit verbreitet – ohne aufzufallen. Chinesische Wissenschaftler haben den übertragbaren Schutzmechanismus Ende 2015 bei Darmkeimen von Hühnern und Schweinen entdeckt. In einzelnen Fällen auch beim Menschen.

Die Fachleute waren alarmiert. Sie durchforsteten ihre Proben mit dem Erbgut von Erregern, die sie seit Jahren in Kliniken und Ställen gesammelt hatten. Sie fanden das Gen weltweit. Auch Deutschland ist keine Ausnahme. 577 Keimgenome wurden hier seit 2009 gespeichert, vier davon enthalten das Gen. Drei Mal hatten die Keime Schweine besiedelt und ein Mal die Wunde eines Patienten, schrieben die Forscher vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung im Januar im Fachblatt „Lancet“.

Insgesamt 20 Staaten haben das Gen bei Keimen gefunden, darunter nun auch die USA. Es ist dabei kein neuer Import, die Frau war seit fünf Monaten nicht mehr gereist. Völlig unabhängig von ihr wurde Mcr-1 zudem bei einem Keim identifiziert, der aus dem Darm eines texanischen Schweines stammte.

„Der älteste Nachweis stammt aus dem Jahr 2005, von einem Tier in Frankreich“, sagt Tim Eckmanns von der Abteilung für Infektionsepidemiologie des Robert Koch-Instituts in Berlin. Eventuell sei die Resistenz von Europa aus nach Asien exportiert worden. „Um die Gefährdung besser einschätzen zu können, müssen wir überwachen, welche menschlichen Keime dieses Gen in sich tragen. Bisher ist es anscheinend recht selten.“

Welche Rolle spielt die Landwirtschaft bei der Entstehung dieser Resistenz?

Vermutlich ist dieses Problem im Stall entstanden. Denn in der Tiermedizin ist das Mittel beliebt. Es ist billig und es verursacht bei Nutztieren keine Nebenwirkungen. Darüber hinaus hilft es gegen Durchfälle. Außerdem hatte es die Humanmedizin „ausrangiert“. In Deutschland wird es von Veterinären am vierthäufigsten verordnet. Dass manche Keime nicht mehr darauf reagieren, ist in den Ställen nicht neu. Aber bis 2015 wurde nie eine übertragbare Resistenz gefunden. So mahnte die Europäische Kommission lediglich, Colistin umsichtig einzusetzen. Prophylaktisch Tiere damit zu behandeln, wird seit 2013 nicht mehr gutgeheißen.

Mit der Entdeckung von mcr-1 hat sich die Situation geändert. Auf Anfrage der Europäischen Kommission hat eine Expertengruppe der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA neue Empfehlungen erarbeitet und am letzten Donnerstag vorgelegt. Demnach sollte die Colistin-Nutzung in der Tierzucht in den nächsten drei bis vier Jahren auf ein Minimum reduziert werden.

Wäre das Problem damit beseitigt?

Nein. So nimmt nur die Wahrscheinlichkeit ab, dass ein tierischer Keim mit dem Resistenzen zufällig auf einen menschlichen trifft und bei der Begegnung mcr-1 überträgt. Ist der Resistenzmechanismus einmal bei den Keimen des Menschen angekommen, kommt es auf das Verhalten von jedem Einzelnen an. Es bringe nichts, über „Schuld“ zu diskutieren, sagt Eckmanns. Die Gesundheit von Tieren und Menschen müsse zusammen bedacht werden. „Die weitere Ausbreitung geht von Mensch zu Mensch.“ Und dies über Kontinente hinweg. Antibiotikaresistenzen seien eine von drei sich langsam entfaltenden Katastrophen, sagte Margaret Chan am Montag bei der Eröffnung der Weltgesundheitsversammlung in Genf. Wenn man jetzt nicht handele, würden diese Katastrophen eine Dynamik entfalten, wo man sie nicht mehr aufhalten kann.

Welche neuen Ansätze zur Behandlung von Infektionen gibt es?

Die Antibiotika-Entwicklung verläuft nur schleppend. Doch erproben Forscher auch ungewöhnliche Bekämpfungsmethoden. Eine Möglichkeit besteht darin, „räuberische“ Bakterien einzusetzen, die sich von anderen Bakterien ernähren. So haben Wissenschaftler den in der Regel harmlosen Darmkeim E. coli genetisch so verändert, dass er krank machende Pseudomonas-Bakterien attackiert. Neue Medikamente könnten auch gewonnen werden, indem man die Abwehrsysteme von Pflanzen, Tieren und Pilzen studiert. Diese bilden Peptide – kurze Aminosäure-Ketten –, die für Bakterien giftig sind. Peptide wurden unter anderem in Fröschen, Schlangen und Alligatoren gefunden. Die aus Froschhaut gewonnene Substanz Pexiganan wird etwa bei Fußgeschwüren von Zuckerkranken erprobt.

Ein weiterer Ansatz sind Bakteriophagen – Viren, die Bakterien befallen. In der Sowjetunion wurden sie bereits in den 1920er Jahren erprobt. Im Zeichen der Antibiotika-Krise erlebt sie eine Renaissance und soll in Europa bei Infektionen nach Verbrennungen eingesetzt werden. Ganz neu sind hingegen hochpräzise Gen-Scheren. Die Technik mit Namen „Crispr“ (sprich: Krisper) wurde bei Bakterien abgeguckt und soll nun helfen, diese zu bekämpfen. „Crispr“-Gen-Scheren können zum Beispiel Erbanlagen bei Bakterien heraustrennen, die Informationen für Antibiotika-Resistenz enthalten. Auch Metalle, die ältesten Mittel gegen Bakterien, sind wieder en vogue. So sollen metallische Nanoteilchen bei Hautinfektionen eingesetzt werden.

Sind resistente Erreger gefährlicher?

Nicht unbedingt. Alles in der Natur hat seinen Preis. Das gilt auch für Bakterien, die sich mit Resistenzgenen gegen Antibiotika abschirmen. Resistenz kostet Energie. Resistente Erreger vermehren sich deshalb häufig weniger stark, sie sind weniger „fit“. Meist sind sie auch weniger giftig und aggressiv („virulent“) als andere Keime. Allerdings gilt das längst nicht immer. Manchmal gehen Resistenz und Virulenz Hand in Hand – eine gefährliche Entwicklung.

Warum schädigen Bakterien überhaupt ihre Wirte, wie den Menschen? Evolutionsforscher vermuten, dass Gifte und andere krankmachende Virulenz-Faktoren Bakterien helfen, sich im Körper festzusetzen und sich auf andere Wirte auszudehnen. Ein neues Feld der Arzneimittel-Entwicklung sind Anti-Virulenz-Mittel. Dabei geht es darum, Krankheitserreger wie Colibakterien, Cholera- und Ruhr-Keime nicht zu töten, sondern lediglich zu „entwaffnen“, indem man ihre Giftproduktion lähmt.

Werden wirklich zu viele Antibiotika eingesetzt?

Weltweit ist das eindeutig der Fall. In Ländern wie Indien, in denen Infektionen besonders häufig sind, kann man hochwirksame Breitspektrum-Antibiotika rezeptfrei kaufen. In Deutschland sieht die Situation nicht ganz so bedrohlich aus, sagt Petra Gastmeier, Leiterin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Charité. „Wir gehören nicht zu den Hochverbrauchern.“ 2015 hat die Berliner Universitätsklinik gemeinsam mit sechs Partnern das Modellvorhaben „Rationaler Antibiotikaeinsatz durch Information und Kommunikation“ gestartet. Dabei handelt es sich um eine Aufklärungskampagne, die sich an Ärzte, Tierärzte, Landwirte und Patienten richtet.

Was kann die Politik tun, um Antibiotika-Resistenzen zurückzudrängen?

Das Thema ist weltweit auf der politischen Agenda. Auch die Bundesregierung hat 2015 einen 10-Punkte-Plan zur Bekämpfung resistenter Keime vorgelegt. Aufsehen erregte vor kurzem der im Auftrag der britischen Regierung erstellte globale Aktionsplan eines Expertenteams um den Ökonomen Jim O'Neill. Die Fachleute warnten: Wenn man das Problem der Resistenzen nicht löse, könnten 2050 jedes Jahr zehn Millionen Menschen resistenten Keimen zum Opfer fallen. Bereits heute würden jährlich 700000 Menschen an Infektionen mit resistenten Erregern sterben.

O'Neill fordert eine Öffentlichkeitskampagne, verbesserte Hygiene (sauberes Wasser und Toiletten in Entwicklungsländern, Händedesinfektion in Kliniken) zur Infektionsvorbeugung und weniger Antibiotikaverbrauch in der Landwirtschaft. Internationale Überwachung, Schnelltests und Impfstoffentwicklung müssten gefördert, die Arbeit auf dem Feld der Infektionskrankheiten stärker anerkannt werden. Ein globaler Innovations-Fonds müsse aufgelegt werden.

Auch Firmen sollten finanzielle Anreize für die Entwicklung neuer Mittel bekommen. Um all das durchzusetzen, sei eine globale Koalition zu schmieden, etwa mit Hilfe der G20-Länder oder der Vereinten Nationen. 40 Milliarden Dollar, verteilt über zehn Jahre, koste der globale Aktionsplan, schätzt O'Neill. Unternehme man dagegen nichts, würden sich die Kosten auf 100 Billionen Dollar aufsummieren.

Jana Schlütter, Hartmut Wewetzer

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