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Bakterienforscher. Alexander Fleming – hier 1943 in seinem Laboratorium im Londoner St. Mary Hospital – erhielt 1945 für die Entdeckung des Penicillins den Nobelpreis für Medizin.
© dpa

90 Jahre Antibiotika: Gefahr für eine Jahrhundert-Innovation

Am 3. September 1928 entdeckte Alexander Fleming Antibiotika. Doch nun brauchen diese Lebensretter selbst Rettung.

Krebstherapien, Kniegelenkersatz, eine neue Niere – was für Millionen Patienten weltweit selbstverständlich scheint, wäre ohne die Entdeckung von Antibiotika vor 90 Jahren weitaus riskanter. Mit solchen Substanzen werden lebensgefährliche Bakterien, die sich bei Eingriffen verbreiten können, in Schach gehalten. Sie seien „zweifellos eine der wichtigsten Entdeckungen der Medizingeschichte“, sagt Marc Sprenger von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf.

Resistenzen

Doch die Waffe gegen Infektionen wird stumpfer. Resistenzen gegen Antibiotika nehmen zu. Bakterien werden unempfindlich gegen immer mehr Wirkstoffe. Schuld ist zum großen Teil der Mensch. Ein post-antibiotisches Zeitalter könnte bevorstehen. „Im schlimmsten Fall sterben Menschen wieder an einfachen Infektionen etwa der Blase oder an Lungenentzündung oder Sepsis, weil die Medikamente nicht wirken“, sagt Sprenger, der die WHO-Abteilung für den Kampf gegen Antibiotikaresistenzen leitet.

Das antibiotische Zeitalter begann vor genau 90 Jahren: Am 3. September 1928 kehrt ein schottischer Bakterienforscher aus dem Urlaub zurück. Eine der Bakterienkulturen, die jener Alexander Fleming in einer Ecke im Labor aufgestapelt hatte, war verpilzt. Statt sich zu ärgern, sieht er genauer hin und erkennt, dass in der Umgebung des Pilzes die Bakterien verschwunden sind. Er ahnt, was das praktisch bedeuten kann, berät mit Kollegen, experimentiert weiter. Es dauert noch 14 Jahre, bis das erste Penicillin, benannt nach dem Schimmelpilz Penicillium, auf den Markt kommt. 1945 bekommt Fleming den Medizinnobelpreis.

Mästen mit Antibiotika

Nach dem Penicillin werden weitere gegen Bakterien wirkende Verbindungen gefunden. Doch Bakterien entwickeln auf natürlichen Wegen Überlebensstrategien gegen Substanzen, die ihnen schaden. Ärzte, Patienten und Landwirte tragen zu dem Problem bei. Bauern, weil sie Antibiotika lange flächendeckend in der Massentierhaltung eingesetzt haben und teils noch einsetzen, um ihre in der Enge anfälligeren Tiere vor Seuchen zu schützen – und auch, weil Antibiotika auf bislang nicht geklärte Weise bei der Mast helfen. Sie gelangen über das Fleisch in die Nahrungskette. Bakterien, etwa im Darm, können dann Resistenzen entwickeln. Bei Ärzten und Patienten liegt die Sache anders. „Es ist ein kulturelles Phänomen“, sagt Sprenger. „Auch, wenn viele Infektionen eigentlich nach ein paar Tagen von selbst weggehen, verlangen Patienten oft nach Antibiotika und Ärzte sind zu schnell dabei, ihre Wünsche zu erfüllen.“ Die Folgen in Form von Resistenzen unterscheiden sich international stark. In Süd- und Mitteleuropa – etwa Spanien, Italien, Griechenland, Ungarn, Rumänien – gibt es teils schon bei über 50 Prozent bestimmter Bakteriengruppen Resistenzen gegen einzelne Antibiotika. In Deutschland, den Niederlanden und Skandinavien sind es deutlich unter zehn Prozent. In Griechenland und Zypern liegt der Verbrauch von Antibiotika pro 1000 Einwohnern etwa doppelt so hoch wie in Deutschland.

Schlechtes Geschäftsmodell

In manchen Ländern sind Antibiotika gar an der Straßenecke erhältlich oder Wirkstoffe werden von skrupellosen Geschäftemachern verdünnt. Auch das erleichtert es Erregern, zu überleben und sich an Medikamente anzupassen. Besonders gefährlich ist es, wenn Bakterien gegen viele oder gar alle herkömmlichen Antibiotika resistent werden, was immer häufiger beobachtet wird. Nötig wären neuartige Wirkstoffe mit neuen Wirkmechanismen, sagt Sprenger. Seit 30 Jahren seien aber praktisch keine neuen Angriffspunkte mehr gefunden worden. Es seien „neue Medikamente in der Forschungspipeline“, doch viele werden es laut Sprenger wohl nicht zur Marktreife schaffen. Es ist eine Ironie dieses Problems: Grundlagenforschung ist teuer und der Aufwand, ein Präparat zu entwickeln, das später möglichst wenig eingesetzt werden sollte, lohnt sich für Pharmafirmen eher nicht.

„Wir brauchen starke Gesundheitssysteme, damit Antibiotika nur über Ärzte nach Abklärung der Notwendigkeit ausgegeben werden“, sagt Sprenger. Dabei müssten reiche Länder die ärmeren unterstützen. Die WHO verstärke Aufklärungskampagnen für Ärzte und Patienten. In Indien und China, wo viele der Antibiotika hergestellt werden, seien Rückstände aus Fabriken teils in die Umwelt gelangt. Inzwischen seien sich die Länder des Problems bewusst und kümmerten sich.

Christiane Oelrich[dpa]

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