zum Hauptinhalt
Zwei Seiten eines Menschen. Freude und Traurigkeit sind die Pole unserer Gefühlswelt.
© imago stock&people

Psychologie: Wie sich Gefühle im Laufe des Lebens ändern

Weniger Verachtung, mehr Traurigkeit: Wie unterscheidet sich die Gefühlswelt junger und alter Menschen? Darüber diskutieren Fachleute auf dem Psychologenkongress in Leipzig.

„Emotionen sind der Strohhalm, mit dem der Drink umgerührt wird“, sagt der Psychologe Robert Levenson von der Universität Berkeley. Er meint den Drink des Lebens. Und da Levenson Alternsforscher ist, beschäftigt er sich vor allem mit dem Umrühren des je nach Perspektive mindestens schon halb leeren oder höchstens noch halb vollen Glases. Wie verändert sich die Gefühlswelt des Menschen, wenn er älter und schließlich alt wird? Das war eines der wichtigen Themen des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Leipzig.

Die Befunde erscheinen zunächst widersprüchlich. Senioren sind Studien zufolge mit ihrem Leben trotz vielfältiger Einschränkungen zufriedener. Und doch ist die Suizidrate im Alter besonders hoch, wie die Statistiken zeigen. Was stimmt also: Wird man im Lauf des Lebens glücklicher oder unglücklicher?

Man macht eine Entwicklung durch, lautete das Urteil der Psychologin Ute Kunzmann von der Universität Leipzig. Die emotionale Entwicklung von der Jugend bis ins hohe Alter sei ein Prozess, der zu jedem Zeitpunkt gleichzeitig Verluste und Gewinne umfasst. Gewinne unter der Voraussetzung, dass man seelisch und geistig gesund bleibt.

„Ältere haben seltener beziehungsschädliche Emotionen“

Kunzmann und ihre Arbeitsgruppe haben diese Entwicklung vor allem hinsichtlich negativer Emotionen untersucht, und zwar mithilfe repräsentativer Befragungen von 18- bis 87-Jährigen und in Experimenten. „Ältere haben seltener beziehungsschädliche Emotionen wie Ärger, Feindseligkeit und Verachtung“, resümierte die Psychologin.

Bei der Traurigkeit sieht das Bild anders aus. Dieses Gefühl bleibt annähernd gleich, nimmt im hohen Alter eher etwas zu. Möglicherweise ist beides hilfreich. Ärger könnte eine Antriebskraft sein, die jungen Menschen Energie verleiht und ihnen dadurch beim Erreichen ihrer Ziele hilft, notfalls auf Kosten sozialer Beziehungen, die man im schlimmsten Fall später neu knüpfen muss.

Im Lauf des Lebens werden andere Entwicklungsaufgaben bedeutsamer. Etwa die, mit Verlusten zurechtzukommen und sich von nicht (mehr) erfüllbaren Wünschen zu lösen. Traurigkeit kann dabei helfen, vor allem wenn man enge soziale Beziehungen hat, die für die meisten im Alter wichtiger werden. Denn anders als eine länger anhaltende Depression, für die die Mitmenschen keinen konkreten Anlass erkennen können, ist Traurigkeit ein soziales Signal und löst den Impuls aus zu trösten.

Ältere fühlen sich am Abend eines Arbeitstages besser

Niemand wünscht sich diese negativen Emotionen. „Trotzdem ist es nicht schlecht, ärgerlich zu sein, wenn Sie jung sind. Und es ist nicht schlecht, traurig zu sein, wenn Sie älter sind“, lautete Kunzmanns Resümee. Schlecht sind Ärger und Wut aber oft im Arbeitsleben. Ausgerechnet das Alter könnte hier also ein Vorteil sein. Doch bisher wurde das noch wenig erforscht. Dabei ist es spannend, Menschen verschiedener Altersgruppen in einer Situation zu vergleichen, die ihnen allen unterschiedslos Effektivität und das Erfüllen fester Rollenanforderungen abverlangt.

Susanne Scheibe von der Universität Groningen befragte und untersuchte für zwei Studien Angehörige von Gesundheitsberufen und Arbeitskräfte mit Kundenkontakt, alle zwischen 17 und 64 Jahre alt. Die Älteren fühlten sich am Abend eines Arbeitstages besser, sie reagierten weniger auf negative Erlebnisse. „Das ist eine gute Nachricht“, kommentierte die Psychologin. Sie gestand jedoch auch zu, dass in die Studien nur Personen einbezogen werden konnten, die so lange im Beruf durchgehalten hatten, bis sie schon etwas älter waren, was für sich genommen schon ein Zeichen für psychische Robustheit und positive Gefühle bei der Arbeit sein kann.

Junge Menschen bevorzugen intensive Emotionen

Erwachsene, die mitten im Leben stehen, berichten nicht nur über mehr positive Gefühle als Jugendliche und junge Erwachsene, sie brauchen sie auch. Den Jungen scheint es damit anders zu gehen. Michaela Riediger, die am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin über Affekte im Lebenslauf forscht, berichtete beim Kongress über eine Reihe von Studien, die belegen, dass gerade Teenager zwischen 14 und 18 Jahren Zustände schätzen, in denen sie sich „zugleich gut und schlecht fühlen“. Nicht nur hinsichtlich dieser Bewertung negativer Gefühle, sondern auch bei der Intensität von Gefühlen unterscheiden sich die Generationen. So haben die Forscher bei Musikexperimenten festgestellt, dass Ältere Stimuli bevorzugen, die den Gefühlspegel weniger hoch treiben. Möglicherweise wollen sie sich selbst schonen.

Die Rushhour des Lebens ist wenig erforscht

Selbstverständlich unterscheiden sich Gleichaltrige in allen Lebensphasen aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur und ihrer Lebenssituation und auch, was das Auftreten, die Intensität und die Bewertung verschiedener Emotionen betrifft. Selbstverständlich gibt es wütende Alte und tieftraurige Teenager. Und selbstverständlich werden Menschen nicht von heute auf morgen von Heranwachsenden, die Ärger mit ihren Eltern haben und Horrorfilme genießen können, zu abgeklärten Senioren, die nur sanfte Musik hören und sich für den Rest des Lebens mit eingeschränkten Möglichkeiten bescheiden. Nur weiß die Entwicklungspsychologie über die Phasen dazwischen, über die Rushhour des Lebens, die meist von Beruf, Partnerschaft und Familie bestimmt wird, noch deutlich weniger als über Jugend und Alter. „Es gibt noch zu wenig empirische Forschung, und die vorliegenden Befunde sind nicht konsistent“, berichtete Kunzmann.

Da ist einerseits von der Midlife-Crisis, andererseits aber davon die Rede, dass diese Altersgruppe sich auf dem Höhepunkt ihrer psychischen Leistungsfähigkeit befindet. Während der Mangel an großen Studien sich auch dadurch erklärt, dass viel beschäftigte 40-Jährige meist keine Zeit zur Teilnahme daran finden, deutet das Auseinanderdriften der spärlichen Ergebnisse darauf hin, dass die emotionalen Reaktionen der „Mittelalten“ doch deutlich unterschiedlicher sind als die der Menschen, die noch ziemlich am Anfang oder schon eher am Ende des Lebens stehen.

Ältere sind eher bereit, Leidtragenden zu helfen

Levenson, der Mann mit dem Strohhalm im Drink des Lebens, betonte in seinem Vortrag, dass die Veränderungen im emotionalen Erleben, die das Altern mit sich bringt, im Unterschied zu körperlichen Veränderungen nicht automatisch einen Verfall bedeuten.

Ein Paradebeispiel der Entwicklungspsychologen für die ausgeglichene Bilanz ist die Empathie, die Fähigkeit, sich in andere Menschen und ihr Erleben hineinzuversetzen. Mit dem Alter werden Menschen im Allgemeinen schlechter darin, Emotionen anderer zu erkennen, zum Beispiel an ihrem Gesichtsausdruck. Dafür gelingt es ihnen besser, mit ihren Mitmenschen zu fühlen, wenn sie von einem schlimmen Erlebnis erfahren. Und sie zeigen eine größere Bereitschaft, den vom Leid Betroffenen zu helfen.

Zur Startseite