zum Hauptinhalt
So wie hier auf der Intensivstation des Pariser Krankenhauses Bichat werden Covid-19-Patienten auch in der Charité Berlin beatmet.
© Anne Chaon/AFP

Wie Covid-19-Kranke in Berlin behandelt werden: „Die therapeutischen Möglichkeiten sind noch unzureichend“

Es gibt kein Medikament, keinen Impfstoff gegen Covid-19. Dennoch werden Patienten behandelt. Charité-Infektiologe Norbert Suttorp erklärt, wie das geht.

Wie viele Erkrankte liegen derzeit auf den Covid-19-Stationen der Charité, und wie sieht die Behandlung der Patienten aus, die zu Ihnen kommen?

Wir haben auf unserer Covid-19-Station derzeit neun Patienten, darunter einige, denen es recht gut geht, die aber nicht gut zuhause versorgt werden können, und etwas schwerer Erkrankte, die Unterstützung durch ein bis zwei Liter Sauerstoff pro Minute brauchen. Bei einigen von ihnen muss man auch wiederholt prüfen, ob sie nicht doch auf die Intensivstation verlegt und maschinell beatmet werden müssen. Und schließlich liegen auf unserer Covid-Intensivstation heute elf beatmete Patienten.

Wann muss Beatmung sein?

Wichtig ist die Atemfrequenz, also die Häufigkeit, mit der der Patient atmet, und die Sättigung seines Bluts mit Sauerstoff. Wir beobachten: Wie viel Sauerstoff gebe ich, wie viel kommt an? Das ist ein guter Parameter für das Ausmaß der Lungenschädigung. Beim Patienten kommt es an einem bestimmten Punkt zur Erschöpfung, dann müssen wir beatmen. Covid-19  hat etwas sehr Zerstörerisches für die Lungenzellen.

[Die neuesten Entwicklungen und Hintergründe zum Coronavirus können Sie hier in unserem Newsblog mitverfolgen.]

Wenn es gut geht, bessert sich die Situation innerhalb von drei Tagen, so dass wir den Patienten „weanen“, also vom Beatmungsgerät entwöhnen können, es kann aber auch eine Woche oder zwei dauern. Bei einer Untergruppe reicht diese Art der Beatmung zudem nicht, hier setzen wir eine Art Ersatzlunge außerhalb des Körpers ein. All das ist für die Intensivmedizin kein Neuland, doch es ist sehr aufwändig und personalintensiv.

Der Infektiologe Norbert Suttorp leitet die Abteilung an der Charité, Campus Virchow-Klinikum, wo die ersten Covid-19-Fälle Berlins behandelt werden.
Der Infektiologe Norbert Suttorp leitet die Abteilung an der Charité, Campus Virchow-Klinikum, wo die ersten Covid-19-Fälle Berlins behandelt werden.
© promo

In jedem Jahr erkranken 750.000 Menschen an einer Lungenentzündung, 290.000 von ihnen müssen ins Krankenhaus. Es gibt also reichlich Erfahrung mit Pneumonien. Was ist an der jetzigen Lage besonders?

Betrachtet man die klassische bakterielle Pneumonie, dann kommen gegen die Bakterien Antibiotika zum Einsatz. In diesen Fällen sieht man oft einen Schwarz-Weiß-Effekt: Schwer kranke Menschen werden durch Medikamente schnell gesund. Das ist jetzt anders, in der Behandlung der Virus-Infektion Covid-19 spielen Antibiotika zunächst keine Rolle, sie kommen eventuell später bei Komplikationen ins Spiel, die durch Bakterien verursacht werden. Was wir bisher an Möglichkeiten gegen Covid-19 haben, ist unzureichend.

Welche Medikamente kommen denn zum Einsatz?

Da ist zunächst ein altes Präparat aus der HIV-Behandlung, Kaletra, das die gegen Retroviren gerichteten Wirkstoffe Lopinavir und Retonavir enthält. Allerdings muss man hier Wirkung und mögliche Nebenwirkungen abwägen, denn das Mittel kann zum Beispiel die Leberwerte erhöhen. Im „New England Journal of Medicine“ (NEJM) ist außerdem gerade eine Arbeit aus China erschienen, in der sein Einsatz keinen Unterschied gemacht hat. Allerdings wurde dort erst sehr spät, nämlich zwölf bis 13 Tage nach Beginn der Erkrankung, mit der Therapie begonnen.

Hintergrund über das Coronavirus:

Dann gibt es da noch einen Kandidaten aus der Ebola-Forschung, den Wirkstoff Remdesivir. Er zeigt ersten Erkenntnissen zufolge wohl eher gute Wirksamkeit, aber die Erfahrungen sind natürlich nicht unendlich groß. Es laufen Studien dazu, und man kann es im Rahmen eines individuellen Heilversuchs einsetzen.  Allerdings kommt man derzeit an das Medikament schwer heran, es wird nicht in großen Mengen geliefert.  Ganz wichtig ist, man kann es nur im Rahmen eines formalisierten Ablaufs geben. Es gibt ein schmales Behandlungsfenster: Der Patient muss intubiert sein, aber er darf kein Kreislaufversagen haben.

Was ist mit dem Malaria-Mittel Hydroxychloroquin, über das zwischen den Virologen in Frankreich nach einer kleinen, unkontrollierten Studie ein heftiger Streit entbrannt ist?

Hydroxycloroquin taucht bei jeder neuartigen Virus-Infektion auf, weil es eine gewisse Wirksamkeit hat. Auch dieser Wirkstoff hat allerdings Nebenwirkungen, hier besonders auf das Erregungsleitungssystem des Herzens. Deshalb ist es wichtig, das EKG der Patienten zu beobachten. Es startet gerade eine große randomisierte klinische Studie zu Hydroxychloroquin unter der Leitung der Uniklinik in Tübingen.

Wie sieht es überhaupt mit klinischen Studien aus, kommt die Wissenschaft angesichts der angespannten Situation im Klinikalltag überhaupt zu ihrem Recht?

Ja, wir werden es besser machen als vor ein paar Jahren bei EHEC! Damals standen am Ende keine richtig neuen Erkenntnisse. Das ändert sich diesmal,  wir sind eng vernetzt, es laufen randomisierte klinische Studien, die mehrere Zentren umfassen, und die Abläufe werden abgesprochen. Es kann nicht jeder machen, was er will. Wir haben uns in Kompetenznetzen zusammengeschlossen. Im CAP-Netz für außerhalb vom Krankenhaus erworbene Pneumonien, das vom Bundesforschungsministerium gefördert wurde und jetzt als Stiftung arbeitet, arbeiten niedergelassene Ärzte, große Kliniken und Wissenschaftler aus der Grundlagenforschung schon seit Jahren gut zusammen. Auch international laufen jetzt große klinische Studien.

Die nationale französische Forschungs-Institution Inserm kündigte gestern an, dass unter ihrer Ägide die Substanzen Kaletra, Remedesvir und Hydrochloroquin, von denen wir gerade gesprochen haben, in einer großen internationalen Studie namens „Discovery“ verglichen werden sollen, , die WHO hat die Großstudie „Solidarity“ aufgesetzt. Getestet werden Mittel, die schon gegen andere Krankheiten im Einsatz sind. Wie steht es mit dem  ACE2-Hemmer, von dem derzeit viel gesprochen wird?

Wir haben Zugang zu dem Hemmer, der an ACE2 und von dessen assoziierter Protease ansetzt und so die Virusaufnahme in die Zelle blockieren kann, und wir werden es auch in einer Studie prüfen. Allerdings hat dieser ACE2-Inhibitor seine Wirksamkeit bisher nur in der Zellkultur bewiesen. Es bleibt die Frage, ob und in welcher Dosis er beim Menschen wirkt. Ich weiß von einem Dutzend weiteren Medikamenten-Kandidaten, deren Untersuchung im Rahmen von Studien in unserer Klinik geplant ist. Dazu gehören auch einige experimentelle Ansätze, mit denen Signalwege in der Zelle blockiert werden sollen, sodass das Virus sich nicht replizieren kann, oder bei denen Stammzellen zum Einsatz kommen. Ein Ansatz ist auch, die Dichtigkeit der Gefäße wiederherzustellen. Bei schweren Lungenentzündungen ist in der Lunge ja dort Wasser, wo früher Luft war. Auf dem Röntgenbild sieht die Lunge dann weiß aus.

Was ist mit der Idee, Blutplasma von Menschen einzusetzen, die die Krankheit überstanden haben, um Erkrankte zu heilen?

Das ist naheliegend und wird derzeit auch verfolgt. Wenn man es weiterdenkt, könnte man eine Antikörper-basierte Therapie einsetzen. Man isoliert zuvor die Zellen, die bei einem früheren Patienten den Antikörper gemacht haben, und lässt diese am Ende große Mengen von Antikörper produzieren.

Neben dieser Suche nach neuen Therapien ist aber auch Forschung zu anderen Fragen wichtig: In dem BMBF-geförderten Projekt „PROGRESS-net“ beschäftigen wir uns seit einiger Zeit mit genetischen Unterschieden zwischen Patienten mit schweren Lungenentzündungen. Wir möchten verstehen, warum einige von ihnen später auf die Intensivstation müssen, weil sie ein Lungenversagen und eventuell auch eine Sepsis entwickeln. Und wir möchten es vorhersagen können.

In welcher Situation befinden wir uns jetzt, und wie wird es weitergehen?
Aktuell ist das therapeutische Instrumentarium sehr bescheiden ausgestattet. Es ist jetzt die Phase der Wissenschaft und der klinischen Studien. Wir haben aber, anders als derzeit Italien, die Chance, nicht von Covid-19 überrollt zu werden, wenn wir vernünftig testen und jeweils wissen, wo wir stehen.

Wir sind in einer anderen Situation als bei der Pest im Mittelalter, wo die Menschen ja schon klug genug waren, Kontaktsperren einzusetzen, die Seuche aber erst zum Stehen kam, nachdem nicht mehr genug Opfer da waren. Wir können hoffen, dass am Ende ein neues Therapeutikum oder eine neue Vakzine dem Spuk ein Ende setzen werden.

Zur Startseite