Verwirrende Vielfalt bei Deutschkursen für Flüchtlinge: Die Schlingerkurse
Flüchtlinge, die Deutsch lernen wollen, treffen auf ein verwirrendes Angebot mit teils fragwürdiger Qualität.
Deutsch lernen, den Bus- oder Autoführerschein machen – das hat auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun. Doch nicht nur in Berlin, wo das Busunternehmen Gullivers Ende vergangenen Jahres um Deutschschüler geworben hat, gibt es Anbieter, die sonst bestenfalls in der Aus- und Weiterbildung im Verkehrsgewerbe tätig sind. Möglich machte das ein Programm der Bundesagentur für Arbeit, mit dem seit November 2015 in kürzester Zeit bundesweit Einstiegskurse für Flüchtlinge finanziert wurden.
"Wildwuchs aus der reinen Not heraus"
Doch auch ohne die unorthodoxen Anbieter sehen sich Geflüchtete einer verwirrenden Vielzahl von Kursformen gegenüber. Es gibt Willkommenskurse, Basis- oder Einstiegskurse, Alphabetisierungskurse und Integrationskurse. Noch unübersichtlicher wird die Lage durch die vielen Stellen, die solche Kurse finanzieren: Rathäuser, Landesregierungen, Ausländerbehörden, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Arbeitsagenturen. Von „Wildwuchs aus der reinen Not heraus“, spricht Roland Meinert, Leiter der Region Deutschland des Goethe-Instituts. „Das System ist durch die große Nachfrage teilweise ins Schlingern geraten.“
Vor dem großen Anstieg der Flüchtlingszahlen im vergangenen Sommer führte ein Königsweg zur sprachlichen Integration: der Integrationskurs mit 600 Stunden Deutschunterricht und 60 Stunden Landeskunde. Ein streng reglementiertes Format, für das die Sprachschulen ebenso wie die Lehrkräfte klar definierte Qualifikationen mitbringen müssen. Das BAMF verlangt für die Kostenübernahme immer einen Hochschulabschluss und eine zusätzliche Qualifizierung für Deutsch als Fremd- beziehungsweise als Zweitsprache (DaF, DaZ). Wer diese nicht direkt an der Uni absolviert hat, muss eine einschlägige Fortbildung mit 70 bis 140 Stunden je nach Studienfach nachweisen.
Abgesenkte Standards bei Kursen der Bundesagentur für Arbeit
Die Institute, die Integrationskurse geben, werden nach einem aufwendigen Punktesystem bewertet, unter anderem müssen sie eine mindestens fünfjährige Erfahrung in der Erwachsenenbildung haben. Deshalb beschränkt sich der Kreis der Anbieter üblicherweise auf Volkshochschulen, erfahrene private Spracheninstitute oder die Goethe-Institute.
Wie kam es dann zum „Wildwuchs“ und was hatte das für Folgen? Um schnell viele Neuankömmlinge mit Sprachkursen zu versorgen, wurden und werden von den Ländern und Kommunen etliche neue Formate für Basis-Deutschkurse aufgelegt – mit weniger Unterrichtsstunden und vielerorts abgesenkten Ansprüchen an die Lehrkräfte.
Den Boom beflügelt hat die Bundesagentur für Arbeit (BA). Im Herbst 2015 gab sie 160 Millionen Euro für 220 000 Plätze in achtwöchigen Einstiegskursen frei. Den Richtlinien der BA zufolge mussten die Träger nicht offiziell als Sprachschulen zugelassen sein. Sie hätten lediglich „die erforderliche Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit besitzen“ und diese „glaubhaft darstellen“ müssen, heißt es auf Anfrage. Konkrete Anforderungen an die Lehrkräfte wurden nicht formuliert. Die Auswahl liege „in der Verantwortung der Bildungsträger“, teilt die BA mit.
Ein Deutschkurs in der Fahrschule? Für den Fahrlehrer kein Problem
Die Folge: Zum Zuge kamen auch Anbieter, „die nicht aus dem klassischen Weiterbildungsbereich kommen“, sagt Simone Kaucher, Sprecherin des Deutschen Volkshochschulverbandes (DVV). Newcomer wurden offenbar durch die höheren Pauschalen des BA-Programms angelockt, die die Bundesanstalt anbot, um schnell auf eine hohe Zahl von Kursen zu kommen. Bei den klassischen Integrationskursen zahlt der Staat den Schulen seit Anfang des Jahres 3,10 Euro pro Teilnehmer à 45 Minuten, bei den BA-Kursen sind es 4,50 Euro.
Der Inhaber einer Fahrschule im hessischen Gießen bestätigt, dass er darin ein einträgliches Zusatzgeschäft gesehen habe. Bei einem achtwöchigen Kurs mit der vorgegebenen Höchstzahl von 25 Teilnehmern „wären das 15 000 Euro Gewinn gewesen“, sagt der Mann. Ein Deutschkurs in einer Fahrschule? Der Inhaber sieht da kein Problem. Weil er Berufskraftfahrer ausbilde, sei er „als Bildungsträger anerkannt und zertifiziert“. Eine Sprachlehrerin habe bereitgestanden. Nur die Zusammenarbeit mit den Flüchtlingsheimen habe dann nicht geklappt, die hätten ihre Leute zu anderen Anbietern geschickt – auch zu solchen, die ad hoc leerstehende Räume angemietet und mit Schulmöbeln ausgestattet hätten.
Pech hat auch, wer in einem Land ohne Basiskurse ankommt
Hoffnung auf eine neue Chance bei einer Fortsetzung dieses Programms kann sich der Fahrlehrer nicht machen. Eine BA-Sprecherin betont, es habe sich um „eine einmalige Nothilfe“ gehandelt, allgemeine Sprachvermittlung gehöre nicht zum Auftrag der Bundesagentur.
Simone Kaucher fordert „ein neues bundeseinheitliches Einstiegsformat“. Sie kritisiert vor allem die unübersichtlichen Angebote in den Ländern. Bislang sei es für Flüchtlinge Glückssache, wenn sie etwa in Berlin oder Schleswig-Holstein ankommen, wo es solche Kurse als Landesprogramm gibt. Pech hat, wer in Ländern ohne Programm landet. Vielerorts müssten Flüchtlinge mitunter monatelang auf ein Bildungsangebot warten. In Nordrhein-Westfalen hat ein Bündnis aus Gewerkschaftern, Unternehmern und der Handelskammern soeben die Regierung aufgefordert, Geld für 45 000 zusätzliche Basissprachkurse bereitzustellen.
Pech hat auch, wem aus staatlicher Sicht kein Integrationskurs zusteht, also Menschen aus Ländern mit einer (knapp) unter 50-prozentigen Anerkennungsquote, darunter Afghanistan, Somalia oder Pakistan. In Berlin stehen die Chancen etwas besser. Aus Landesmitteln werden für diese Gruppe Basiskurse an den Volkshochschulen angeboten. Hinzu kommen Kurse für berufsbezogene Sprachförderung, die aus dem Europäischen Sozialfonds kofinanziert werden.
Mehr Flüchtlinge, mehr Integrationskurse - und ein krasser Lehrermangel
Doch wer einen Platz im Integrationskurs ergattert hat, trifft trotz offiziell hoher Standards nicht immer auf ideale Bedingungen. In den Kursen sitzen Akademiker, die gut Englisch sprechen und in der lateinischen Schrift geübt sind, neben Menschen, die noch keine Fremdsprache sprechen und wenig Bildungserfahrung haben. Schon die Selbstzahler aus den EU-Staaten, die als Arbeitsmigranten gekommen sind, hätten vielfach unterschiedliche Voraussetzungen, sagt Kaucher. „Die Flüchtlinge bringen noch mehr Heterogenität in die Kurse – und auch traumatische Erfahrungen.“
Für das BAMF steht unterdessen fest, dass jetzt die Zahl der Integrationskurse wachsen muss. Es rechnet für 2016 mit bis zu 430 000 Teilnehmern, also mit weit mehr als einer Verdoppelung der Zahl von 185 000 aus dem vergangenen Jahr. Das liegt auch daran, dass die Kurse im November auch für noch nicht anerkannte Flüchtlinge geöffnet wurden, die aus Ländern mit guter Bleibeperspektive wie Iran, Irak, Eritrea und Syrien kommen.
Viele aus dieser Gruppe sind noch gar nicht in den Volkshochschulen angekommen. Doch bereits jetzt gibt es teilweise monatelange Wartezeiten für die Kurse. Schon räumlich sei es häufig sehr schwierig, das Angebot zu verdoppeln, sagt Kaucher. Zudem droht ein eklatanter Lehrermangel. Allein die Volkshochschulen bräuchten 5000 zusätzliche Lehrkräfte, wenn die BAMF-Prognose zutrifft.
Die hochqualifizierten DaZ-Lehrkräfte sind weiterhin unterbezahlt
Deutschkurse zu geben, ist aber in der Regel ein prekärer Job. Bislang sah das BAMF 20 Euro pro erteilter Stunde vor, ab März ist das Honorar generell auf mindestens 23 Euro gestiegen. Immer noch viel zu wenig, protestieren Gewerkschaften und auch der Volkshochschulverband, der Satz müsse mindestens auf 30 Euro steigen. „Sie unterrichten 25 Stunden, mit der nötigen Vorbereitung ist das ein Vollzeitjob, der netto aber unter 1000 Euro im Monat einbringt“, rechnet Simone Kaucher vor.
Der Mangel an Integrationslehrern wird durch die Abwanderung in den Schuldienst verstärkt – als Lehrkraft in Willkommensklassen. Die Volkshochschulen wollen deshalb 420 Sprachlehrkräfte pro Jahr für die eigenen Integrationskurse selber ausbilden.
Ausbildungskapazitäten an den Hochschulen wurden vielerorts abgebaut
Gefordert sind auch die Hochschulen. Deren Institute für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache bilden zwar seit über 40 Jahren Lehrkräfte aus. Doch die Kapazitäten wurden vielerorts zurückgefahren, auch weil sich weniger Studierende für das ökonomisch unattraktive Studium entschieden. Ein breites Bündnis von Universitäten hat kürzlich einen schnellen Ausbau der DaZ-Institute gefordert.
Als eines der ersten Länder ragiert jetzt Nordrhein-Westfalen auf den Mangel. Die NRW-Hochschulen sollen bis 2019 sechs Millionen Euro erhalten, vor allem, um Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte anzubieten, die an Schulen, Volkshochschulen und anderen Sprachinstituten Flüchtlinge unterrichten wollen.