Flüchtlinge in Deutschland: Bundesamt rechnet mit noch größerem Antragsstau
Hunderttausende Asylanträge türmen sich unbearbeitet bei den Behörden - obwohl Tausende neue Mitarbeiter für Entlastung sorgen sollen. Doch das Problem könnte länger fortbestehen.
Ungeachtet der Einstellung Tausender neuer Mitarbeiter könnte es aus Sicht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) weiterhin einen Berg unerledigter Asylanträge geben. Das führt Behördenchef Frank-Jürgen Weise auch auf den Umstand zurück, dass mehrere hunderttausend Flüchtlinge, die schon länger in Deutschland sind, erst jetzt einen Asylantrag stellen werden.
„Wir gehen davon aus, dass 300.000 bis 400.000 Flüchtlinge im Land sind, die noch keinen Antrag gestellt haben. Dazu kommen 370.000 Altfälle, über die noch entschieden werden muss“, sagte Weise der „Passauer Neuen Presse“.
Amt hat inzwischen 4000 Stellen besetzt
Darüber hinaus werde es in diesem Jahr noch Kapazität geben, um über 500.000 neue Fälle zu entscheiden. „Alles, was darüber hinausgeht, wird einen neuen Antragsrückstau bedeuten. Wir müssten diese Anträge dann ins Jahr 2017 schieben.“ Insgesamt könne es das Bundesamt schaffen, in diesem Jahr mehr als eine Million Verfahren von Flüchtlingen abzuschließen. Allein im Januar und Februar wurden in Deutschland über 150.000 angekommene Flüchtlinge registriert. Dass der Berg in Nürnberg trotz mehr Personal weiter wächst, hatte das Bundesinnenministerium bereits Anfang Februar eingestanden: Zwischen Dezember und Januar waren rund 7000 unerledigte Anträge mehr aufgelaufen. Das Amt verfügt nach eigenen Angaben inzwischen über 4000 Vollzeitstellen (Stand Mitte Februar).
Bayerns Sozialministerin verteidigt Ende der Kurzverfahren für Syrer
Der stellvertretende Geschäftsführer der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl Bernd Mesovic sieht das Bundesamt und seinen Chef in der Sündenbockrolle für falsche politische Entscheidungen: „Statt die nicht entschiedenen Verfahren mit einer Altfallregelung abzubauen, wurden die bisher zügig betriebenen Verfahren sogar noch verlangsamt“, sagte Mesovic dem Tagesspiegel. Die Innenminister von Bund und Ländern hatten Anfang Dezember 2015 entschieden, dass für Syrer wieder Einzelfallprüfungen gelten sollten. Erst im Monat zuvor war ein viel kürzeres, weitgehend schriftliches Verfahren eingeführt worden, weil syrische Kriegsflüchtlinge ohnehin zu fast 100 Prozent Schutz erhielten. Seit Spätsommer wird im Falle syrischer Staatsangehöriger auch wieder geprüft, ob für sie nicht andere EU-Länder zuständig sind.
Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) zeigte sich besorgt angesichts der weiterhin langen Verfahren. Sie machten Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern teurer und erschwerten sowohl ihre Integration als auch die Abschiebung derer, die keinen Schutz erhielten, sagte sie dem Tagesspiegel. Gleichzeitig verteidigte sie die Rückkehr zum längeren Verfahren: "Wir brauchen auch bei Syrern eine gründliche Prüfung im Rahmen der Anhörung, ob die Angaben richtig sind oder welcher Schutzstatus zu gewähren ist. Reine Schnellverfahren helfen hier nicht weiter. Wir brauchen beides - Geschwindigkeit und Qualität.“
Kauder: Deutschen wird nichts weggenommen
Weise äußerte sich auch auf zur Warnung von SPD-Chef Sigmar Gabriel, in der Bevölkerung könne der Eindruck entstehen, es werde nur etwas für Flüchtlinge getan, nicht aber für die Bürger. „Bei den Langzeitarbeitslosen ist kein Cent gespart worden. Die Förderung wird fortgesetzt. Es gibt keine Benachteiligung“, sagte Weise.
Gabriel hatte ein „neues Solidaritätsprojekt“ für die deutsche Bevölkerung verlangt und war damit auf scharfe Kritik bei der Union gestoßen. Die Menschen müssten merken, „dass ihre Bedürfnisse nicht weiter unter die Räder geraten“, sagte der Vizekanzler vor wenigen Tagen in der ZDF-Sendung „Maybritt Illner“. Neben den Ausgaben für die Integration von Flüchtlingen müsse es mehr Geld für sozialen Wohnungsbau und mehr Kita-Plätze für alle geben. Niedrige Renten müssten aufgestockt werden.
Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) warf dem SPD-Vorsitzenden vor, er trage zur Verunsicherung der Bevölkerung in der Flüchtlingskrise bei. „Ein Vizekanzler sollte beruhigen und Unruhe bei einigen Bürgern nicht noch fördern“, sagte Kauder dem „Tagesspiegel“. Keinem Bürger werde etwas weggenommen, weil Flüchtlingen geholfen werde.
Dagegen warnte der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Clemens Fuest, vor einer Irreführung der deutschen Bevölkerung. Er sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, man habe jetzt zusätzliche Ausgaben durch den Zustrom der Flüchtlinge. „Trotzdem soll der Bevölkerung offenbar signalisiert werden, dass die höheren Ausgaben nicht zu einer Belastung der Bürger führen. Das ist schlicht eine Irreführung.“ Es sei klar, dass „weniger Geld für uns selbst“ da sei, wenn man Geld für Menschen ausgebe, die nach Deutschland kommen. (mit KNA/dpa)