Generation Corona: Die Jugend könnte auch profitieren
Expert:innen erwarten, dass der Nachwuchs sehr unterschiedlich aus der Krise hervorgehen wird - und sprechen von der „Generation Reset“.
Erwartungen, dass durch die Pandemie eine „Generation Corona“ entstehen könnte, waren bisher vor allem mit negativen Folgen für junge Menschen verknüpft. Doch könnte es auch positive Effekte geben.
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Die britischen Wirtschaftsberater von Oxford Economics kommen in einem aktuellen Report zusammen mit der Kommunikationsplattform Snap zu dem Schluss, dass für die langfristige berufliche Zukunft der sogenannten Generation Z – Jahrgänge 1997 bis 2012 – keine negativen Folgen durch die Pandemie zu erwarten seien.
Vielmehr könnten die heutigen Schüler von der Situation profitieren. Auch für Deutschland erwarten die Ökonomen, dass diese Generation in den kommenden Jahrzehnten zum Motor des Wachstums in einer zunehmend digitalisierten Wirtschaft wird.
Jugendforscher: Krise nicht einfach bloß eine Challenge
Auch der Trend- und Jugendforscher Simon Schnetzer sieht Grund für Optimismus – wenn man weit genug in die Zukunft schaue. „Es wäre jedoch ein Trugschluss, zu denken, dass diese Krise für die Generation Z einfach eine Challenge ist, aus der sie nächstes Jahr schwuppdiwupp gestärkt hervorgeht“, sagte er dem Tagesspiegel.
Schnetzer hat gerade die Studie „Junge Deutsche 2021“ veröffentlicht, für die der renommierte Zukunftsforscher Klaus Hurrelmann beratend tätig war. Schnetzer gibt der Generation ein neues Label: Viel besser als „Generation Corona“ passe „Generation Reset“. „Corona kommt und geht irgendwann, was bleibt, ist das Leben verändernde Reset in den Leben der jungen Menschen.“
Die Jugend bräuchte bei diesem Neustart Unterstützung, denn die sozialen und wirtschaftlichen Einschnitte würden die Lebenswelt und Biografien der jungen Generation grundlegend und nachhaltig verändern. In diesem Zusammenhang werde Vertrauen künftig ein wichtiges Thema für diese Generation.
„Die Herausforderung wird es sein, Vertrauen wieder aufzubauen: zu Freunden, in Teams, zur Politik und in die Zukunft“, sagte Schnetzer. Die „Generation Reset“ müsse nach der Coronakrise mit vielem neu beginnen. Dafür benötigten die jungen Menschen Perspektiven und Unterstützung vor allem in den Übergangsphasen von Schule zu Studium oder Beruf.
[Was die Schulschließungen der vergangenen Wochen für die Schüler:innen bedeutet haben, können lesen Sie in diesem Beitrag aus dem Angebot von Tagesspiegel-Plus nachlesen.]
„Die Generation Z alias Reset ist massiv von der Krise betroffen, und je länger der Schwebezustand anhält, in dem sie nicht wissen, was die Zukunft bringt, desto tiefer ist das Corona-Loch, aus dem sie sich später wieder hocharbeiten müssen“, lautet Schnetzers Einschätzung. Die psychischen Folgen seien jetzt schon alarmierend.
„Digitale Bildung kann nicht ersetzen, was diese Gesellschaft gerade am meisten braucht: Beteiligung und Zusammenhalt.“ Beides sei gegenwärtig aufgrund des Krisenmodus und einer „digitalen Ökonomisierung sämtlicher Kontakte“ in Mitleidenschaft geraten.
Digital affine Schüler in Zukunft stark nachgefragt
Klaus Hurrelmann, Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin, sieht negative Effekte der Pandemie allein bei denen, die schlechte Bildungsvoraussetzungen und geringe digitale Kompetenzen mitbringen.
„Selbstverständlich gibt es positive Effekte: Die gut gebildeten und digital affinen jungen Leute werden in Zukunft noch stärker von Firmen umworben werden, als es vor der Pandemie der Fall war, weil sich alles auf diesen Modus von Produktivität umstellt“, sagte Hurrelmann dem Tagesspiegel. „Die junge Generation ist hier 1000-mal besser vorbereitet als die ältere.“
Und es komme ihnen ein demografischer Faktor zugute: das Ausscheiden der Jahrgänge der Babyboomer aus den Unternehmen. Die 50- bis 65-Jährigen hätten doppelt so starke Jahrgänge wie die jungen, die nun nachrücken.
Grundsätzlich optimistisch ist auch Bildungsforscher Kai Maaz: „Ich glaube, dass die entstandenen Rückstände und Probleme wieder aufgeholt werden können – auch wenn es eine große Herausforderung ist.“ Alles andere wäre eine Kapitulation „mit nicht tragbaren Folgen“ für die einzelnen Menschen und für das System.
Auch Maaz, Geschäftsführender Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation, verweist auf internationale Studien, die nach Schulschließungen besonders große Lernrückstände bei ohnehin schon leistungsschwachen Schülern und bei Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien gezeigt hätten.
Andererseits sei aber zu vermuten, dass manche Schüler sogar von der Eins-zu-eins-Betreuung zu Hause profitieren würden – womit die Coronakrise die Leistungsunterschiede in den Klassen noch verstärken würde.
Auch an den Hochschulen wird nicht ausgeschlossen, dass die jetzigen Absolventen besondere Stärken mitbringen: Für die meisten Abiturienten werde die aktuelle Situation bei aller Belastung im Rückblick auch eine wichtige Erfahrung sein, die bei der weiteren Bewältigung gerade des Selbststudiums helfen könne, sagt HRK-Präsident Peter-André Alt.
Schülervertreter: Coronakrise auch als Qualitätssiegel
Auch unter den Schülern selbst, die zuletzt beispielsweise in Berlin durch alarmierende Äußerungen zu einer allgemeinen Überforderung durch die Krise auf sich aufmerksam gemacht hatten, gibt es optimistischere Töne.
„Ich glaube, dass, ,Generation Corona’ eher ein Qualitätssiegel als ein negativer Stempel ist“, sagte Dario Schramm, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, der selbst kurz vor dem Abitur steht.
Alle boxten sich seit nunmehr einem Jahr durch diese herausfordernde Zeit. „Meine Mitschüler haben so viele Dinge in Windeseile lernen müssen, für die andere normalerweise länger brauchen. Sie haben einen Turbo-Reifeprozess durchlaufen.“
Der Potsdamer Bildungsforscher Wilfried Schubarth sieht in der Coronakrise die Chance, Bildung neu zu denken. Die Forderungen der Oxford Economics-Studie, Schulbildungslücken zu schließen sowie Bildung neu auszurichten, bringen es für ihn auf den Punkt.
„Die Generation Z wird sehr unterschiedlich aus der Krise hervorgehen.“ Hier müsse nach geeigneten Formen zu suchen, die Bildungslücken der Gruppe der Benachteiligten zu schließen, etwa durch freiwillige kostenlose Förderangebot, Einsatz von Coaches, Möglichkeiten individueller Bildungslaufbahnen.
Zudem gehe es um eine kritische Reflexion bisheriger Bildungs- und Kompetenzziele. Die Diskussion zur Frage, welche Kompetenzen in Zukunft benötigt werden, sollte jetzt geführt werden, so Schubarth.
Kritisches Denken, aber auch personale und soziale Kompetenzen – wie etwa Selbstwirksamkeit – würden neben Fachwissen stärker gefragt sein. „In diese Diskussion sollten alle einbezogen werden, auch die Schülerschaft.“
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