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Seelische Nöte bis hin zur Depression gehören zu den Begleiterscheinungen der Pandemie. Jugendliche sind besonders gefährdet.
© Imago

Alarmierende Bestandsaufnahme: Berliner Schüler verzweifeln im Lockdown

Zehn Wochen nach Beginn des Homeschooling ziehen Jugendliche eine bittere Bilanz. Jetzt soll die Schulpsychologie helfen.

Wie geht es mir? Und was muss sich ändern? Zwei schlichte Fragen - gestellt auf der digitalen Pinnwand einer Berliner Schule - und knapp 100 Antworten auf 20 Seiten werfen ein verstörendes Schlaglicht auf die Stimmungslage unter Oberschülern nach zehn Wochen Lockdown. Am Montagabend wurde die Pinnwand öffentlich gemacht.

Die Schule liegt in Tempelhof-Schöneberg und ist dem Tagesspiegel bekannt. Die Schüler baten aber darum, sie nicht zu nennen.

"Nach Absprache mit der Schulleitung und einzelnen Schüler:innen, haben wir uns als Vorstand der Schülervertretung entschieden dieses, für die Zeit doch sehr repräsentative Stimmungsbild in anonymisierter Form an die Presse weiterzugeben", heißt auf der Pinnwand. Begründet wird der Schritt damit, dass man nicht nur die eigene Schule, sondern auch die Öffentlichkeit für die Lage der Schülerschaft in Zeiten des Homeschooling sensibilisieren wolle.

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Obwohl viele Einträge eine fehlende Rücksicht durch die Lehrkräfte thematisieren, betonen die Initiatorinnen des Austausches, die sich nur Carlotta und Margarethe nennen, dass die Pinnwand "in keiner Hinsicht ein Angriff auf die Schule oder die Lehrer:innen sein solle - weshalb man auch weder die Schule nenne noch die Schulform angebe. Es gehe einfach um einen "freien Raum für unsere Gefühle, Situationen und Wünsche", schrieb Carlotta zu Beginn am 20. Februar.

"Das hat Wellen geschlagen", berichtete ein Schüler der Schule. Eine Schulpsychologin kümmere sich jetzt um die Schüler:innen.

Da allerdings dürfte sie einiges zu tun haben, denn es sind offenbar sehr viele der Jugendlichen in Mitleidenschaft gezogen: Unter den knapp 100 Einträge sind fast ausschließlich negative zu finden. "Man muss das Problem annehmen", steht seit der Lektüre für Bezirksschülersprecher Felix Koeppe fest. Er sei "überrascht" gewesen über das Ausmaß der alarmierenden Botschaften.

Kein Schlussstrich: Die Abiturienten des Tagore-Gymnasiums wollen an ihrer Schule etwas ändern.
Kein Schlussstrich: Die Abiturienten des Tagore-Gymnasiums wollen an ihrer Schule etwas ändern.
© Tobias Kleinschmidt/dpa

So bedrückend war das, was es bald in rund 100 Botschaften zu lesen gab, dass die Initiatorinnen gleich noch eine zweite Pinnwand einrichteten: Mit Tipps, um auf bessere Gedanken zu kommen. Damit sich jeder selbst ein Bild von den Problemen der Schülerschaft machen kann, folgen hier ein paar Auszüge (Schreibweisen wurden belassen):

So beschreiben die Jugendlichen ihren Alltag im Homeschooling

  • Es macht mir Stress, wenn Lehrer einen ZWINGEN, die Kamera anzumachen. Meine persönliche Mitarbeit leidet verdammt stark darunter. Warum bitte ist es notwendig sich vor der Kamera zu zeigen?
  • KEIN Lehrer war gnädig mit irgendeiner Note, oder hat aufgerundet. Es wurde absolut nichts berücksichtigt.
  • Ich habe das Gefühl (und ich glaube viele andere auch), dass die Tage nur vorbeifliegen und man in einer Sackgasse gelandet ist und nicht weiß, wie man wieder heraus kommt.
  • Man darf mal verzweifelt auf dem Bett liegen. Aber steht wieder auf und kämpft.
  • Meine andere Schwester hat einfach aufgegeben und sitzt nachts weinend im bett und schläft tagsüber - sie nimmt einfach nicht mehr am homeschooling teil,weil es ihr zu viel wird. SchülerInnen haben so viel Stress, dass sie mehr trinken, rauchen, Drogen nehmen. Es muss sich dringend etwas ändern.
  • Ich habe täglich kopfschmerzen und panik-attacken. bitte das muss schnell aufhören.
  • 4-5 Kaffees am Tag und abends nicht schlafen können durch Panik, Angst und Herzrasen. Angst haben sich zu „melden“, Angst haben drangenommen zu werden. Unglücklich werden. Keine Zeit mehr haben um über dich selber nachzudenken, glücklich zu sein. Wir müssen funktionieren wie Maschinen.
  • Vor dem Lockdown  habe ich es endlich mal wieder geschafft mich zu beteiligen, alles zerstört seit dem Lockdown.
  • Viele (inklusive mir selbst) macht das Einschalten der Kamera viel unsicherer, ich sitze zum Teil 90 Minuten vor dem Computer und versuchemich nicht groß zu bewegen, nicht auszufallen, bloß keinen unbedachten Gesichtsausdrücke zu machen. Vor allem in großen Gruppen finde ich das schwierig, die Kamera kann doch einfach freiwillig bleiben.
  • Mein Alltag besteht morgens und mittags aus Beruhigungstees um nicht mehr so nervös zu sein und nicht mehr so Angst vor dem Stapel Aufgaben zu haben, Abends und nachts trinke ich Energy-Drinks oder Club Mate um mich wachzuhalten, um die restlichen Aufgaben zu machen damit ich keine schlechte Noten kriege
  • Die Masse an Videochats + Aufgaben + Hausaufgaben ist echt zu viel. Es ist das dreifache von dem was wir normalerweise tun müssten. ich sitze manchmal bis 3 uhr nachts am rechner und am ende wird meine arbeit nicht mal beurteilt oderwertgeschätzt
  • Ich werde nicht müde. Ich kann nicht schlafen. Ich habe keine Energie. Ich will neben meinen Mitschüler*innen sitzen und mit den Lehrer*innen face to face kommunizieren. Bitte.
  • Videokonferenzen lösen in mir Panik aus und eine Meldung online ist für mich schwieriger als im Präsenzunterricht. Ich finde es nicht fair unter diesen Bedingungen das Abitur schreiben zu müssen.
  • .Ich kann nicht mehr. Es geht einfach nicht mehr. Mir graust es jetzt schon vor dem 1. "normalem" Schultag. Ich werde Test und Arbeiten verhauen. Hefter sind unvollständig. Und der Stoff nicht wirklich verstanden. Ich gebe mein absolut Bestes. Aber es reicht einfach nicht. Ich hole alles nach und lerne bis spät in die Nacht. Aber es ist nicht genug. Ich bitte unbedingt um eine Lösung!! Ich weiß einfach nicht mehr weiter..
  • Geld ist eine Voraussetzung. Was ist wenn ich keinen Laptop habe? Was ist wenn ich keinen Drucker habe? Was ist wenn ich kein Internet habe oder es nicht gut ist? Was ist wenn ich einfach nicht die Mittel habe? Momentan, das Gefühl habe ich zumindest, heißt das einfach ich bin nicht gut in der Schule und meine Leistung sinkt. Von Chancengleichheit kann man da nicht reden.

Gute Schüler:innen, die jetzt am Ende sind

"In Zeiten des Lockdowns haben die Medien viele im Blick: Alte, Alleinerziehende, Pfleger und Ärzte, Künstler und andere", lautet die Bestandsaufnahme der Initiatorinnen. Kaum ins Blickfeld dagegen kämen die, die scheinbar gut funktionierten und Leistungen brächten.

Es seien "allesamt gute Schüler:innen, die sich hier zu Wort melden". Schüler:innen, die es gewohnt seien, gute Leistungen zu bringen. Jetzt aber seien sie "am Ende".

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