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Forscher haben die Bahn eines Sterns - S2 - vermessen, der dem Schwarzen Loch in der Mitte unserer Galaxie sehr nahe kommt.
© ESO

Und wieder hatte Einstein Recht: Die Bahn eines Sterns ums Schwarze Loch der Milchstraße

Der Stern S2 kommt dem Schwarzen Loch in der Milchstraße bis auf 20 Milliarden Kilometer nah - und wird dabei 25 Millionen Kilometer pro Stunde schnell.

In der Mitte vieler Galaxien – vielleicht sogar in allen – sitzt jeweils ein supermassives Schwarzes Loch. Auch unsere Heimatgalaxis, die Milchstraße, besitzt ein solches bizarres Zentrum. 26 000 Lichtjahre von uns entfernt ist dort innerhalb eines verhältnismäßig kleinen Radius von nur rund 12 Millionen Kilometern rund 4 Millionen Mal mehr Materie zusammengepackt als in der Sonne. Entsprechend stark ist auch die anziehende Gravitationskraft in der Umgebung dieses Schwarzen Lochs.

Und genau durch seine gigantische Gravitation hat es sich auch verraten: Die in seiner Nähe beobachteten Sterne rasen mit so riesigen Geschwindigkeiten um es herum, dass sie überhaupt nur durch die großen Anziehungskräfte eines Schwarzen Lochs auf ihren engen Umlaufbahnen gehalten werden können. Einen dieser rasenden Sterne hat das internationale Forscherkollektiv „Gravity“ seit nunmehr fast 30 Jahren besonders genau im Visier behalten - und dessen Bahn berechnet.

Das ist leichter gesagt als getan. Denn dichte Wolken aus Gas und Staub verhindern den Blick in die Mitte der Milchstraße mit optischen Teleskopen, die nur sichtbares Licht auffangen können. Infrarotes Licht kann die Staub- und Gaswolken jedoch durchdringen, es liefert aber wegen seiner größeren Wellenlängen ein unschärferes Bild als sichtbares Licht.

Bis auf 20 Milliarden Kilometer ans Schwarze Loch heran

Deshalb wendeten die Wissenschaftler seit 2016 zusätzlich immer wieder den aufwändigen technischen Trick der sogenannten Interferometrie an, um die jeweiligen Positionen des Sterns S2 auf seiner Umlaufbahn noch genauer vermessen zu können: Sie benutzten nicht nur eines der vier Riesenteleskope des „Very Large Telescope Arrays“ (VLT) der Europäischen Südsternwarte ESO auf dem Berg Paranal in Chile. Sondern sie richteten die vier Teleskope gleichzeitig auf den Stern S2.

Jedes einzelne dieser Teleskope hat einen Durchmesser von 8,2 Metern. Wenn man die 4 Einzelbilder dieser Spiegel-Teleskope kombiniert, erhält man so scharfe Bilder, als hätte man sie mit einem einzigen Teleskop aufgenommen, das einen Durchmesser von 130 Metern hat.

Stefan Gillessen vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching, der die Analyse der Messdaten leitete, erläuterte dem Tagesspiegel, wie die Positionsdaten des Sterns im Einzelnen gewonnen wurden: „Für S2 waren es 118 Punkte mit Einzelteleskop-Daten, 54 mit Interferometrie und 92 Messungen seiner Radialgeschwindigkeiten. Dazu kamen noch 75 Messungen mit Einzelteleskop-Daten der Position des Schwarzen Lochs, die immer dann funktionieren, wenn seine Umgebung zufällig einmal etwas heller leuchtet“.

Aus insgesamt also fast 300 einzelnen Positions- und Geschwindigkeitsmessungen des Sterns S2 mit dem VLT schälte sich allmählich seine Bahn heraus: Er umrundet das zentrale Schwarze Loch in der Milchstraße fast genau auf einer Ellipsenbahn, wobei ein Umlauf 16 Jahre dauert. Im schwarzlochnächsten Punkt seiner Bahn, dem sogenannten Perihel, nähert sich S2 dem Schwarzen Loch bis auf 20 Milliarden Kilometer; seine Geschwindigkeit steigt dabei auf über 25 Millionen Kilometer pro Stunde.

Eine Abweichung von der Ellipse, die Einsteins Theorie bestätigt

Zur Freude der Forschergruppe unter der Leitung von Frank Eisenhauer vom MPE in Garching zeigte es sich, dass S2, wie erhofft, ein bisschen abwich von der exakten Ellipsenbahn. Stefan Gillessen unterstreicht die Präzision der Beobachtung: „Die gemessene Abweichung im Winkel entspricht einer Strecke von 65 cm auf dem Mond“. Doch so gering diese Abweichung auch sein mag: Sie bestätigt die Richtigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein.

Im Prinzip war es der gleiche Test, mit dem auch schon Einstein selber seine neue Theorie geprüft hatte, kaum dass er sie 1915 veröffentlicht hatte. Zu Zeiten Einsteins war das kosmische Testlabor natürlich noch nicht die ferne Mitte der Milchstraße, sondern das nahe Sonnensystem, genauer: Die Bahn, auf welcher der Planet Merkur die Sonne umrundet. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der französische Astronomen Urbain Le Verrier die Bahn des innersten Planeten des Sonnensystems präzise vermessen. Dabei zeigte es sich, dass die Ellipsenbahn von Merkur sich langsam dreht.

Genauer ausgedrückt: Der sonnennächste Punkt seiner Umlaufbahn, also sein Perihel, wandert langsam aber unablässig in jeweils etwa 250 000 Jahren um die Sonne herum. Wegen dieser Perihelverschiebung umrundet Merkur die Sonne also nicht auf einer Ellipsenbahn, sondern auf einer Rosettenbahn. Selbst unter Berücksichtigung aller im Sonnensystem denkbaren Gravitationskräfte – auch die Planeten selber ziehen sich ja gegenseitig an – gelang es den Astronomen vor Einstein jedoch nicht, die Rosettenbahn des Merkur mit Hilfe des klassischen Newtonschen Gravitationsgesetztes vollständig zu erklären; es verblieb eine zwar kleine, aber doch deutliche Diskrepanz von rund 40 Kilometern pro Umlauf. Erst Einstein fand die Erklärung mit Hilfe seiner Allgemeinen Relativitätstheorie.

Einstein glaubte nicht an Schwarze Löcher

Schon aus den einleitenden Worten seiner Veröffentlichung klingt seine Freude über diese glänzende Bestätigung seiner umstrittenen Gravitationstheorie heraus: „In der vorliegenden Arbeit finde ich eine wichtige Bestätigung dieser radikalsten Relativitätstheorie; es zeigt sich nämlich, dass sie die von Le Verrier entdeckte Drehung der Merkurbahn qualitativ und quantitativ erklärt, ohne dass irgendwelche besondere Hypothesen zugrunde gelegt werden müssten.“

Etwas mehr als 100 Jahre später hat nun das von Reinhard Genzel vom MPE ins Leben gerufene Kollaborationsteam „Gravity“ den klassischen Einstein-Test erneut durchgeführt, nun aber laut Stefan Gillessen „zum ersten Mal mit einem der extremsten Objekte im Universum - einem Schwarzen Loch“.

Und wie Albert Einstein haben auch er und seine Kolleginnen und Kollegen wieder allen Grund zur Freude: Der Stern S2 rast auf einer Rosettenbahn um das supermassive Schwarze Loch in der Mitte der Milchstraße herum, wie Merkur um die Sonne. Auch im Hochgravitationsbereich eines Schwarzen Lochs gehorchen die Himmelskörper offenbar den Gesetzen der Allgemeinen Relativitätstheorie. Die kleine Ironie dieser Geschichte: Albert Einstein glaubte gar nicht, dass es Schwarze Löcher überhaupt geben könnte.

Otto Wöhrbach

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