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2019 gelang es mehr als 200 Forschern erstmals, das "Drumherum" eines Schwarzen Lochs abzubilden.
©  EHC

Magazin „Science“ stellt Top Ten vor: Erstes Bild eines Schwarzen Lochs ist Durchbruch des Jahres

2019 war ein spektakuläres Jahr für die Forschung: Ebola ist behandelbar, ein Frühmensch bekommt ein Gesicht und Google erreicht Quantenüberlegenheit.

Es gibt wohl nur ein Loch – Loch Ness –, das bei den Menschen mehr Neugier auslöst als die rätselhaften Schwarzen Löcher im Kosmos. Jahrzehntelang waren sie nichts als theoretische Gebilde, vorhergesagt von Albert Einstein, gemäß seiner Relativitätstheorie, und seitdem selbst von Laien als alles vertilgende Phänomene bestaunt. Doch obwohl fantasievoll gezeichnete Bilder von den Licht- und Sternenstaubsaugern zuhauf kursierten, hatte noch nie ein Mensch ein Schwarzes Loch gesehen oder gar fotografiert. Was auch unmöglich ist, weil von dort weder Licht noch irgendwelche andere Strahlung oder Materie entkommen kann. Doch auch vom Rand des Lochs, dem Ereignishorizont „Event Horizon“, kurz bevor alles im Nichts verschwindet, gab es keine Aufzeichnungen.

2019 änderte sich das. Dem „Event Horizon Konsortium“ aus über 200 Wissenschaftlern gelang mit Hilfe von sechs parallel geschalteten Teleskopen ein Schnappschuss des Schwarzen Lochs im Zentrum der 53 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie Messier 87. Die wahlweise als Smiley, Donut oder „Tor zur Hölle“ bezeichnete und etwas unscharf wirkende Aufnahme hat das Fachblatt „Science“ nun zum „Durchbruch des Jahres“ erklärt.

So bedeutend das Ereignis für die Wissenschaft ist, die Leser des Blattes wählten mit fast 49 Prozent aller auf der Website abgegebenen 34 000 Stimmen ein anderes Bild, einen anderen wissenschaftlichen Durchbruch: Das rekonstruierte Antlitz der Denisovaner. Diese Menschenart lebte bis mindestens vor 50 000 Jahren in Asien und hatte sowohl mit Neandertalern als auch Homo sapiens so engen Kontakt, dass ihre Gene im Erbgut beider Spezies Spuren hinterließen. Schädelknochen der Denisovaner wurden allerdings noch nicht gefunden. Daher versuchten Forscher mit Hilfe spezieller Erbgutanalysen, das Denisovaner-Aussehen zu ermitteln. Dabei untersuchten sie chemische Anhängsel der DNA, Methylgruppen, die das Ein- und Ausschaltmuster von Genen steuern, und schlossen so auf Charakteristika des Gesichts: schräge Stirn, hervorstehender Unterkiefer sowie ein breiteres Gesicht und ein breiterer Zahnbogen als moderne Menschen und Neandertaler.

Am zweitwichtigsten (25 Prozent der Stimmen) war den Lesern der Durchbruch in der Behandlung von Ebola. Seit 1976, als das Virus entdeckt wurde, registrierte die Weltgesundheitsorganisation mehr als 30 Ausbrüche. Allein beim bisher schwersten von 2014 bis 2016 in Westafrika tötete es mehr als 11 000 Menschen. Gegenwärtig wütet es im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRK). Doch nun scheint ein Mittel gegen die Seuche erstmals greifbar nahe: Zwei Antikörper, einer ursprünglich isoliert von einem Ebola-Überlebenden, der andere entwickelt in Mäusen, verdoppelten die Überlebensraten von 33 auf 65 Prozent. Menschen, die die Arznei rasch nach der Infektion bekamen, überlebten sogar zu 90 Prozent. Verantwortlich für die zugehörige Studie, die während des Ausbruchs und mitten im Konfliktgebiet der DRK durchgeführt wurde, war der Kongolesische Virologe Jean-Jacques Moyembe-Tamfun. Die Medikamente sind während des aktuellen Ausbruchs weiter im Einsatz. Jetzt suchen Forscher nach Antikörpern, die auch gegen andere Arten des Virus wirken.

Ein weiterer Meilenstein der Medizin wurde im Oktober vermeldet: die Zulassung einer Therapie gegen die Erbkrankheit Mukoviszidose in den USA. Bei Mukoviszidose (oder Zystischer Fibrose, CF) führt ein Defekt im Gen CFTR dazu, dass Chlorid-Ionen die Zellen nicht verlassen können. Dadurch wird zähflüssiger Schleim produziert, der die Atemwege der Patienten verklebt, aber auch andere Organe sind betroffen. Die Lebenserwartung liegt derzeit bei etwa 45 Jahren. Das könnte sich mit „Trikafta“ ändern. Die Kombination aus drei Wirkstoffen beseitigt den Effekt der häufigsten Mutation bei CF, die bei etwa 90 Prozent aller Patienten vorliegt. In Studien verbesserte das Medikament die Lungenkapazität um zehn bis 15 Prozent und verringerte Komplikationen der Krankheit. Derzeit ist Trikafta in den USA für Kinder ab zwölf Jahren zugelassen. Es kostet dort mehr als 300 000 Dollar pro Jahr. Auch in Europa läuft der Zulassungsprozess bereits.

Ebenfalls im Oktober vermeldeten Physiker von Google einen Durchbruch: Sie behaupteten, ein von ihnen entwickelter Quantencomputer habe eine Aufgabe gelöst, an der ein konventioneller Computer scheiterte. Damit hätten sie die sogenannte Quantenüberlegenheit erreicht. Während ein normaler Computer Informationen in Bits verarbeitet, die entweder den Wert null oder eins annehmen, können die Qubits von Quantencomputern beide Werte gleichzeitig annehmen und somit viele mögliche Lösungen parallel durchrechnen. Google baute einen Prozessor mit 53 Qubits. Er schaffe in 200 Sekunden, wofür ein Supercomputer 10 000 Jahre brauche. Forscher von IBM widersprachen allerdings. Andere Wissenschaftler sagen, erst wenn Quantencomputer Fehler in ihren eigenen Qubits korrigieren, können die Rechner auch praktische Probleme lösen. Davon sei man noch weit entfernt, aber 2019 könnte das Jahr sein, in dem die Ära der Quantencomputer begann.

Als weiteren Durchbruch listet „Science“ eine gerade erst bekannt gewordene Überraschung: Archaea-Mikroben könnten Vorfahren aller Mehrzeller sein. Bislang gelten Archaea als Lebewesen, die sich sowohl unabhängig von Bakterien als auch von Eukaryonten entwickelt haben. Zu Eukaryonten gehören auch alle mehrzelligen Arten, etwa der Mensch. Untersuchungen des Erbguts der Archaea-Art Prometheoarchaeum syntrophicum ergaben aber nun, dass es Gene enthält, die sonst nur in Eukaryonten vorkommen. Das nährt die Hypothese, dass es statt drei grundsätzlichen Lebensformen auf der Erde – Bakterien, Archaea und Eukaryonten – nur zwei gibt: Bakterien und Archaea, aus denen sich dann die Eukaryonten entwickelten.

Zu ihnen gehörten auch die Dinosaurier. Sie verschwanden von der Erde, als vor 66 Millionen Jahren ein gigantischer Asteroid die Erde traf. Ein Sedimentkern vom Chicxulub-Krater auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán und weitere Funde beleuchten nun die Details des Massensterbens und wie sich das Leben danach wieder erholte. Als Durchbrüche in der Wissenschaft nennt das Magazin auch Erkenntnisse dazu, wie die richtige Nahrungszusammensetzung das Darm-Mikrobiom mangelernährter Kinder reifen lässt, wie die NASA-Sonde „New Horizons“ Bilder vom 6,6 Milliarden Kilometer entfernten Himmelskörper „Arrokoth“ lieferte und wie die künstliche Intelligenz „Pluribus“ in einer Billion Poker-Partien lernte, selbst die weltbesten Spieler zu besiegen.

Sascha Karberg, Florian Schumann

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