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Am Südpol. Die Langzeitbelichtung zeigt, wie Sterne über dem Observatorium La Silla um den südlichen Himmelspol kreisen. Dahinter steckt aber nicht etwa eine rasante Eigenbewegung der Sterne, sondern die Drehung der Erde, die zu diesem optischen Effekt führt.
© Iztok Boncina/Eso

Astronomie: Blick in die andere Hälfte des Alls

Seit 50 Jahren erkunden europäische Astronomen von Chile aus den Südhimmel. Von dort aus können sie nicht nur das Zentrum der Milchstraße studieren, sondern auch Objekte, die kurz nach dem Urknall entstanden.

Die Luft ist dünn und extrem trocken, die Anreise beschwerlich und dauert oft mehrere Tage. Dennoch nehmen Forscher diese Hindernisse klaglos in Kauf, um mit einem der Teleskope im chilenischen Hochland arbeiten zu können. Betrieben werden sie von der Europäischen Südsternwarte (Eso), die vor 50 Jahren gegründet wurde, mit dem Ziel, die Forschungsbedingungen europäischer Astronomen zu verbessern.

Der Südhimmel bietet viele faszinierende Objekte, die von der Nordhalbkugel aus kaum zu sehen sind. „Dazu gehört das Zentrum unserer Milchstraße, das ein supermassives Schwarzes Loch enthält“, sagt der Eso-Generaldirektor Tim de Zeeuw. „Oder die Magellanschen Wolken, die der Milchstraße am nächsten stehenden Zwerggalaxien, sowie die uns nächste Supernova, die in den letzten 400 Jahren explodiert ist, genannt SN 1987A.“

Bis zum Beginn des Jet-Zeitalters konnten nur einige Privilegierte wie Seefahrer, Kaufleute und betuchte Bildungsbürger den südlichen Himmel sehen. „Die Astronomen bildeten da keine Ausnahme“, sagt Dieter B. Herrmann, ehemaliger Direktor der Archenhold-Sternwarte in Berlin-Treptow und Spezialist für die Geschichte der Astronomie. Zum einen war der Seeweg von Europa aus sehr lang. Und wer den geschafft hatte, musste sich oft durch Dschungel und Hochgebirgswüsten kämpfen, um geeignete Orte für Himmelsbeobachtungen zu finden. Das gelang nur wenigen „Nord-Astronomen“. „Zu ihnen gehörte zum Beispiel John Herschel“, sagt Herrmann. „Er ergänzte ab 1834 die ,Nordbeobachtungen’ durch umfangreiche Entdeckungen am südlichen Himmel, die er von Kapstadt aus machte.“

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass amerikanische Astronomen bereits ab der Mitte des 19. Jahrhunderts mit ihren Instrumenten nach Chile zogen, einige sogar in jene Regionen, wo heute die großen Eso-Teleskope stehen. „Sie blieben aber nur vorübergehend“, sagt Herrmann. „An einer systematischen Erforschung des Südhimmels – und damit praktisch des halben Universums – mangelte es.“

Das wollten die Europäer durch die Gründung der Eso ändern. Am 5. Oktober 1962 unterzeichneten Belgien, Deutschland, Frankreich, die Niederlande und Schweden in Paris die Gründungsurkunde. Auf dem 2400 Meter hohen Berg La Silla, 600 Kilometer nördlich von Santiago, entstand in der südlichen Atacamawüste das erste Großobservatorium, das 1969 seine Arbeit aufnahm. Es umfasst mehrere optische Teleskope mit Spiegeldurchmessern von bis zu 3,6 Metern sowie die entsprechenden Versorgungseinrichtungen und Unterkünfte.

Unter den 19 Spiegelteleskopen, von denen die kleineren inzwischen stillgelegt worden sind, befindet sich auch das „New Technology Telescope“. Sein 3,5- Meter-Spiegel war weltweit der erste Spiegel mit „aktiver Optik“. „Das System wurde bei der Eso entwickelt“, sagt de Zeeuw. „Dabei überwachen Sensoren die Spiegel und korrigieren ständig deren Form und Lage, um eine optimale Abbildungsqualität zu erreichen.“ Ein weiteres angewandtes Verfahren ist das System der adaptiven Optik. „Mit dieser Technik werden die atmosphärischen Störungen, die das Bild eines Sternes verzerren, ausgeglichen.“

Mit diesen beiden Systemen arbeitet auch das zweite Eso-Observatorium auf dem 2600 Meter hohen Paranal, 130 Kilometer südlich der Stadt Antofagasta gelegen. Dort, in einer der trockensten Gegenden der Welt, befindet sich der Verbund namens Very Large Telescope („sehr großes Teleskop“): vier Spiegelteleskope von je 8,2 Meter Durchmesser. Ferner gehören noch vier bewegliche Hilfsteleskope mit je 1,8 Meter Durchmesser dazu. Die Stärke des VLT besteht darin, die einzelnen Anlagen zusammenzubringen. Es kann das Licht von mehreren der Hauptteleskope oder der Hilfsteleskope so kombinieren, dass der Teleskopverbund am Himmel so feine Details auflösen kann wie ein Einzelteleskop von bis zu 200 Meter Durchmesser.

Kein Wunder, dass die Wartelisten für die Teleskope in Chile lang sind. Jedes Jahr gehen bei der Eso, deren Hauptsitz in Garching ist, rund 2000 Anträge auf Beobachtungszeit ein. Diese umfassen vier- bis sechsmal so viel Zeit, wie tatsächlich zur Verfügung steht. Prinzipiell erhalten Astronomen aus den 15 Eso-Mitgliedsstaaten sowie aus dem Gastgeberland Chile bevorzugt Messzeit.

Der Antennenpark auf der Südhalbkugel wird ständig weiter ausgebaut. Seit 2011 arbeitet auf der Hochebene von Chajnantor in über 5000 Metern Höhe das Atacama Large Millimeter Array. Bei dieser Kooperation mit Nordamerika, Ostasien und Chile werden elektromagnetische Wellen aus dem Millimeter- und Submillimeterbereich aufgespürt, die für das menschliche Auge nicht sichtbar sind.Die gesuchten Wellen verweisen etwa auf ferne Gasmoleküle und Staub. Forscher hoffen dadurch mehr über die Entwicklung junger Galaxien und Planetensysteme zu erfahren.

Zudem laufen bereits die Planungen für das nächste Vorhaben: das E-ELT oder European Extremely Large Telescope. Tatsächlich würde es mit einem Durchmesser von 39 Metern das größte Teleskop der Welt sein. Es soll 16 Mal schärfere Bilder liefern als das Weltraumteleskop „Hubble“. Übertragen auf die Erde bedeutet das: Das E-ELT wird so scharfsichtig sein, dass ein Münchner eine Zeitung in Lübeck lesen könnte.

Das Teleskop ist nicht nur extrem groß, sondern auch extrem teuer. Eine Milliarde Euro wird es nach derzeitigem Stand kosten. Es soll ab dem Jahr 2023 vom 3060 Meter hohen Berg Cerro Armazones mehr als 13 Milliarden Lichtjahre zurück in die Ursprünge des Weltalls schauen. „Das ist der weiteste Punkt, wohin man zurückgucken kann“, sagt der Eso-Astronom Dietrich Baade der dpa. Die Forscher wollen herausfinden, wie sich im anfänglich chaotischen Universum Strukturen und dann erste Sterne und Galaxien formten.

Bernhard Mackowiak

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